05.10.2016FDPWiedervereinigung

ZASTROW-Interview: Einen gewissen Prozentsatz an Idioten gibt es überall

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied HOLGER ZASTROW gab der „Welt“ (Mittwoch-Ausgabe) und „Welt.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte THORSTEN JUNGHOLT:

Frage: Der Tag der Deutschen Einheit ist am Montag in Ihrer Heimatstadt Dresden gefeiert worden. Etwas Besonderes für Sie, Herr Zastrow?

ZASTROW: Eigentlich ja. Es hätte etwas Besonderes werden können. Die Friedliche Revolution hat hier ihre Wurzeln, Dresden ist heute eine fantastische Stadt, Sachsen ein großartiges Land und die Region in Europa, die sich in den vergangenen 25 Jahren am tiefgreifendsten verändert hat. Wir haben hier, mit viel Unterstützung, etwas geschaffen. Aber ich war wie viele andere Dresdner nicht in Feierlaune.

Frage: Warum das?

ZASTROW: In jeder Gesellschaft, an jedem Ort gibt es einen gewissen Prozentsatz an Idioten und Irregeleiteten. Wenn ich die Berichterstattung über uns lese, muss ich aber glauben: Hier leben nur solche Menschen. Was für ein Quatsch und was für eine Anmaßung! Eine Zeitung stellte kürzlich Sachsen auf ihrer Titelseite sogar als braunen Schandfleck dar. Ein ganzes Bundesland wird pauschal an den Pranger gestellt. Gab es so etwas schon mal in Deutschland? Vor der Einheitsfeier waren die Zeitungen voll mit Terrorwarnungen und den Protestankündigungen von Radikalen jeder Couleur. Über das Festprogramm und die Gründe, warum wir feiern, war wenig zu lesen.

Frage: Es gab im Vorfeld einen Sprengstoffanschlag auf eine Moschee. Sollen Medien das totschweigen?

ZASTROW: Nein, aber einordnen. Es geht um das Maß. Ob Medien, Politiker, Verbände oder sonstige Multiplikatoren: Alle bewegen sich bereits seit einiger Zeit in einer Empörungsspirale, die immer neue Superlative gebiert, aber mit der Realität nicht mehr viel zu tun hat. Aus jeder Mücke wird ein Elefant gemacht. Beispiel Pegida: Diese irrlichternden Pöbler, diese unappetitlichen Typen mit ihren zweifelhaften Biografien und schlechter Kinderstube bekommen eine Aufmerksamkeit eingeräumt, die mit ihrer Bedeutung in der Stadt nichts zu tun hat. Diese Gestalten sind nicht Dresden! Bei der Einheitsfeier standen 300 dieser Leute gegen 550.000 Dresdner. Aber die 300 bestimmen die Berichterstattung und das Bild, das über meine Stadt gezeichnet wird.

Frage: Dennoch ist Dresden die Keimzelle von Pegida. Nachahmer in anderen Städten haben sich schnell erledigt.

ZASTROW: Ja, wir leben hier in einer Gesellschaft, die stärker als die westdeutsche von Brüchen, von Extremen und von Widersprüchen geprägt ist. Das ist so, das hat Gründe. Einer ist sicher eine gewisse Unzufriedenheit der Wendegeneration. Ein Vierteljahrhundert nach der Friedlichen Revolution fragen sich viele, die damals mit auf der Straße waren: Was ist aus deinen Träumen geworden? Auch ich stelle mir diese Frage, denn auch ich hatte große Erwartungen an die gewonnene Freiheit, die neuen Chancen, an die Marktwirtschaft, daran, dass sich Leistung lohnt, dass Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit in der Bundesrepublik einen hohen und respektierten Wert haben.

Frage: Was ist denn draus geworden?

ZASTROW: Es mag manchen im Westen Aufgewachsenen verstören, aber ich finde es erschreckend, wie viel DDR in der heutigen Bundesrepublik steckt. Allerorts setzt man auf den allein selig machenden Staat, beschränkt persönliche und unternehmerische Freiheiten und misstraut Leuten, die selbst was auf die Reihe kriegen, zutiefst. Politiker halten sich zunehmend für die besseren Unternehmer, ja Menschen. Die Bürokratie würgt Kreativität, Unternehmergeist und Elan der Bürger ab, und Leistung lohnt sich mit diesem ungerechten Steuersystem längst nicht mehr. Wettbewerb spürt nur der kleine Unternehmer und der Mittelstand, die Großkonzerne werden im Notfall sowieso durch den Steuerzahler gerettet. Ein Teil der Gesellschaft erfreut sich enormer Besitzstände und Pfründe, die niemand angeht, während sich der andere Teil immer krummer machen muss. Und das große Freiheitsprojekt Europa läuft Gefahr durch nationale Egoismen, Rechthaberei und die Arroganz der Großen gegenüber den Kleinen. Und dann diese Ideologie, diese Parolen, dieses Geschwätz und die substanzlosen Phrasen.

Frage: Sie meinen „Wir schaffen das“?

ZASTROW: Tut mir leid, so ähnlich klang das auch in der DDR, und die hat es übrigens nicht geschafft. Und überall wird gekuscht. Auch wie früher. Ich kenne hier niemanden in der CDU, der die Politik von Angela Merkel gut findet. Trotzdem haben auf dem Bundesparteitag fast alle die Hand gehoben. Daraus resultiert ein Vertrauensverlust gegenüber der Politik, gegenüber den sogenannten Eliten.

Frage: Was wäre also nötig?

ZASTROW: Reflexion. Ja, viele Hoffnungen haben sich erfüllt. Aber manche eben auch nicht. Ja, viele Gebäude wurden wunderschön wieder aufgebaut oder neu geschaffen. Dennoch gibt es Enttäuschung. Dabei geht es nicht nur um die Flüchtlinge. Es geht um die Dominanz der moralisch Überlegenen, die jedem erzählen, wie er zu leben hat. Begründbar ist das aus einem Wohlstandsdenken heraus. Wer selbst sein Schäfchen längst ins Trockene gebracht hat, dem ist egal, ob der Strom wegen der Energiewende einen Euro mehr kostet oder ein Ausstieg aus der Braunkohle in der Lausitz Tausende Arbeitsplätze kosten würde. Der zahlt auch gern Dosenpfand oder Autobahnmaut und hat nichts gegen noch mehr Fesseln für Unternehmen. Denn mit ihm selbst und seinem eigenen Wohlstand hat das kaum etwas zu tun. Im Osten aber ist das anders.

Frage: Nämlich wie?

ZASTROW: In Deutschland ist es leicht, zu erben, aber verdammt schwer, etwas aus eigener Kraft aufzubauen. Obwohl man fleißig ist und ohne Ende arbeitet, kommt man kaum vom Fleck. Eine gerade in Ostdeutschland in den letzten 25 Jahren gemachte Erfahrung. Ein Gründerland wie Sachsen braucht nun mal andere Regeln als ein Erbenland wie Baden-Württemberg, wo man es sich sogar leisten kann, Grün zu wählen. Diesen Unterschied nicht gemacht zu haben ist der Konstruktionsfehler der Wiedervereinigung. Der Westen Deutschlands ist ein Erbenland, dort profitieren nicht wenige von dem, was einst die Großeltern geschaffen haben. Wir dagegen stehen noch am Anfang und nicht selten im Wettbewerb mit den Platzhirschen von dort und ihren weit in den Osten reichenden Verbindungen und Netzwerken. Deshalb gibt es eine andere Sicht auf die Dinge. Das ist zunächst weder gut noch schlecht. Aber es wird zu oft übersehen: In den neuen Bundesländern gab es vor 25 Jahren einen großen Bruch, der sich in jeder Biografie findet. Den haben wir gewollt, und der war auch gut und richtig. Aber das hat natürlich Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft, die Widersprüche hier sind durch den Transformationsprozess viel größer. Das heißt: Es ist auch so, dass extreme Formen von gesellschaftlichen Strömungen hier eher eine Bühne finden. Zu den Anfangszeiten von Pegida marschierte dort noch die Mitte der Gesellschaft, viele Handwerker und kleine Unternehmer mit. Die sind längst nicht mehr da, mit der zunehmenden Radikalisierung der Rest-Pegida wollten und wollen die nichts zu tun haben. Aber ihre Unzufriedenheit ist nicht verschwunden.

Frage: Die Proteste richten sich aber nicht gegen die Energiewende oder das Dosenpfand, sondern gegen Flüchtlinge. Dabei leben in Sachsen eher wenig Ausländer.

ZASTROW: Aber eine Stadt wie Dresden ist von der Flüchtlingsthematik genauso betroffen, und ich finde es nachvollziehbar, wenn man angesichts der in den letzten Jahrzehnten vielerorts gescheiterten Integrationspolitik in den alten Ländern skeptisch ist. Es gibt zum Beispiel neuerdings eine offene Drogenszene nahe dem Bahnhof. Diese wird von Nordafrikanern geprägt. Die Ladenbesitzer, Anwohner und Passanten klagen über die Beschaffungskriminalität, über Diebstähle und Gewalt. Dass die Bürger dann sagen: „So eine Drogenszene kannten wir in Dresden bisher noch nicht, und wir wollen uns nicht daran gewöhnen“, kann ich gut verstehen. Wer Flüchtlinge aufnimmt, der muss einen Plan haben und sich auch um die Risiken und Nebenwirkungen kümmern. Das tut Berlin nicht im notwendigen Maß.

Social Media Button