06.01.2025FDP

LINDNER-Rede auf dem Dreikönigstreffen 2025

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner MdB hielt auf dem diesjährigen Dreikönigstreffen der Freien Demokraten in Stuttgart folgende Rede:

Lieber Marco [Buschmann], herzliche Gratulation zu dieser herausragenden Premiere hier bei unserem Dreikönigstreffen. Liebe Judith [Skudelny], Dir herzlichen Dank für Deine flammende Verteidigungsrede. Freilich fürchte ich, dass Du noch nicht ganz vollständig warst. Du hast das automobile Kulturgut erwähnt, meine Hochzeit in Nordfriesland. Nicht gesprochen hast Du davon, dass ich Jäger bin. Ich bin überzeugt von Freiheit und dem Leistungsprinzip. Ich bin stolz darauf, einmal meinen Lebensunterhalt als Selbständiger bestritten zu haben. Ich habe ein abgeschlossenes Studium. Verehrte Anwesende, ich darf mich vorstellen, mein Name ist Christian Lindner. Ich bin noch 45 Jahre alt und offensichtlich der schlimmste Albtraum des links-grünen Mainstreams in Deutschland.

Es tut gut, Sie alle hier zu unserem Jahresempfang zu sehen. Ich wünsche Ihnen ein gutes neues Jahr, Glück und Gesundheit, und dass Sie all die Ziele erreichen, die Sie sich für das Jahr 2025 vorgenommen haben. Für uns ist das Dreikönigstreffen ein traditioneller Jahresauftakt. Wir sind über Jahrzehnte erprobt in den Aufs und Abs der Politik, und öfters haben wir den Jahresanfang in der Defensive begonnen. Unser Dreikönigstreffen ist deshalb ein Anlass zur Selbstvergewisserung. Es gibt uns Orientierung und lässt uns anknüpfen an die große Tradition, in der wir stehen. Mögen wir fehlbar, mögen wir umstritten und bekämpft sein. Die Freien Demokraten waren, bleiben und werden immer die einzige Stimme der Freiheit in Deutschland, die einzige Partei des Liberalismus in unserem Land sein.

Ich erlaube mir, einen Ehrengast auch noch einmal selbst zu begrüßen. Dr. Hans Friderichs war der Nachfolger von Hans-Dietrich Genscher als Bundesgeschäftsführer der FDP. Von 1972 bis 1977 war er Bundesminister für Wirtschaft. Er hat sich eingesetzt für steuerliche Entlastungen für die Wirtschaft. Er ist eingetreten für internationale Handelsbeziehungen und die Perspektive des Freihandels. Er hat während der Ölkrise die Inflation bekämpft. Und der Spiegel schrieb über ihn 1976, seine Lieblingsbeschäftigung sei, den SPD-Kabinettskollegen auf die Finger zu klopfen. Lieber Hans Friderichs, Sie schreiben mir gerne und oft gute Hinweise, stärken uns den Rücken. Und Ihre Schreiben sind bei mir gewissermaßen immer auf der „Fast Lane“. Dass Sie hier heute in Ihrem 94. Lebensjahr zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder ein Dreikönigstreffen besuchen, gerade zu Beginn dieses wichtigen Jahres 2025, das ist für alle Freien Demokraten in Deutschland ein Zeichen der Bestärkung und der Motivation. Herzlich willkommen!

Zu Beginn dieses Jahres 2025, wie übrigens im letzten Jahr auch, gibt es in unserer Gesellschaft ein beklagenswertes Defizit, ein Defizit an Zuversicht und Zukunftsvertrauen. Es scheinen eher Ängste zu dominieren. Die Angst vor dem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes, die Befürchtung, das eigene Leben nicht mehr bezahlen zu können. Dass die eigenen Kinder einmal wirtschaftlich schlechtere Möglichkeiten haben werden, als man selbst sie nutzen kann. Es gibt die Angst einer sogenannten „Letzten Generation“ vor der Erderwärmung. Und es gibt die Angst gewissermaßen auch einer letzten Generation, die glaubt, sie könnten die letzten Deutschen sein, wegen der drohenden Überfremdung unseres Landes. Diese Ängste, sie dominieren. Sie führen dazu, dass nicht investiert wird, dass nicht konsumiert wird. Und diese Ängste tragen auch zur Polarisierung unserer Gesellschaft und der politischen Landschaft bei. Sprechen wir es offen aus: Diese Ängste haben Deutschland in eine Abwärtsspirale geführt. Und aus dieser Abwärtsspirale müssen wir uns nunmehr befreien.

Diese Ängste sind eine Versuchung für Politikerinnen und Politiker, für Parteien. Man kann die Ängste teilen oder sie ignorieren. Dann verbreitet man die Illusion, nämlich, der Status quo könne einfach so fortgesetzt werden. Wer so denkt, gefährdet die Zukunft unseres Landes. Andere wollen die Ängste gewissermaßen bewirtschaften, sie zu einem Geschäftsmodell machen. Sie wollen aus Krisen politisches Kapital schlagen. Wer so agiert, zerstört die innere Liberalität unseres Landes.

Wir gehen einen anderen Weg. Wir wissen um die Gefühls- und Stimmungslage unserer Gesellschaft. Aber wir wollen diese Ängste nicht bestätigen. Wir wollen erst recht diese Ängste nicht verstärken. Der Auftrag von uns Freien Demokraten ist, jede und jeden Einzelnen in unserer Gesellschaft so stark zu machen, dass die Menschen sich selbst aus diesen Ängsten befreien können durch neue Zuversicht. Also unsere Antwort auf die Angst vor der Erderwärmung ist nicht Verbot oder Verzicht und Einschränkung der Freiheit, sondern ist das Vertrauen auf den Einfluss, auf den Einfallsreichtum unserer Ingenieure und Techniker, durch Spitzentechnologie unsere Lebensweise mit der Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen zu versöhnen. Unsere Antwort auf die Angst vor Überfremdung ist nicht die Abschottung, sondern das Eintreten für die Werteordnung unseres Grundgesetzes, die uns vielleicht nicht ethnisch und kulturell verbindet, aber im gemeinsamen Eintreten für die liberalen Werte dieser Gesellschaft. Unsere Antwort auf die Angst vor Jobverlust und Verlust von Lebensstandard und gesellschaftlichem Wohlstand ist nicht die Illusion der Subventionierung von allem und jedem und die Vorstellung, wir müssten uns nur unterhaken und andere könnten unsere Probleme lösen. Sondern unsere Antwort ist die Erneuerung des Aufstiegsversprechens der sozialen Marktwirtschaft, dass sich individuelle Anstrengung nicht nur für den Einzelnen auszahlt, sondern auch unsere wirtschaftliche Stärke insgesamt begründet.

Verehrte Anwesende, meine Damen und Herren, diese Zuversicht, die schenkt uns kein höheres Wesen. Diese Zuversicht wird sich auch nicht von selbst einstellen, wenn man nur lange genug wartet. Die Zuversicht, die wir suchen, meine Damen und Herren, diese Zuversicht sind wir selbst im Bewusstsein. Alles lässt sich ändern, wenn wir nur wollen. Verunsicherte Gesellschaften sind beeinflussbar. Wenn es dafür noch einen Anlass bräuchte, dies festzustellen, war das die Intervention eines gewissen amerikanischen Unternehmers in unseren deutschen Wahlkampf, die enorme Wellen geschlagen hat. Sie konnte nur deshalb solche Wellen schlagen, weil es ein Klima der Verunsicherung und der Orientierungssuche gibt. Es ist bekannt, dass ich beeindruckt bin von der unternehmerischen Gestaltungskraft eines Elon Musk und auch von seinem Mut zur Veränderung. Nur er belegt zugleich auch eines: Unternehmerische Gestaltungskraft ist nicht zwingend automatisch verbunden mit politischem Urteilsvermögen. Es gibt übrigens inzwischen ja auch Spekulationen, dass er jenen Wahlaufruf für die AfD gar nicht selbst verfasst habe, sondern dass er eine künstliche Intelligenz genutzt haben soll. Das freilich würde manches erklären. Nämlich, dass unbemerkt geblieben ist, dass die AfD geprägt ist auch von den Höckes, die nationale und sozialistische Ideen vertreten. Ein schwacher Trost bei politischen Werturteilen ist: Die natürliche Intelligenz ist der künstlichen offenbar immer noch überlegen.

Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass solche Einflussnahmen in den nächsten Tagen und Wochen häufiger zu beobachten sind. Die offensichtlichen wie die von Musk, aber auch weniger offensichtliche, von denen wir noch nicht wissen, welchen Ursprung sie haben und in welcher Weise sie Einfluss nehmen sollen auf die politische Willensbildung des deutschen Volkes. Für mich kann die Konsequenz nur sein, dass wir alle, jede und jeder die eigene Urteilskraft stärkt. Zu hinterfragen, was sind die Fakten? Zu prüfen, was sind die Motive? Nicht einfach zu verbreiten und erst recht nicht zu schweigen, wenn andere Unsinn verbreiten. Denn wer schweigt, wenn Unsinn verbreitet wird, der stimmt in Wahrheit zu.

Was also könnten die Motive sein? Der wohlwollende Blick von Putin aus dem Kreml ruht auf Alice Weidel. Die AfD als fünfte Kolonne Moskaus in Deutschland. Und gleichzeitig empfiehlt ein libertärer amerikanischer Unternehmer deren Wahl. Ein Vertreter der „Make America Great Again“-Bewegung, die klar gerichtet ist auch gegen die wirtschaftlichen Interessen unseres Landes. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei diesen Interventionen, da geht es doch nicht um Deutschland. Wenn der Kreml Sympathie für die AfD hat oder Sympathie für die AfD äußert, dann geht es doch nicht um die Stärkung unseres Vaterlandes, sondern es geht darum, Deutschland zu schwächen und zu kritisieren. Keine Patriotin und kein Patriot darf darauf hereinfallen.

Marco Buschmann hat ja eben schon zur Wirtschaftspolitik ausgeführt und ich werde gleich auch noch einige politisch-technische Anmerkungen machen. Gleichwohl bin ich überzeugt: Es geht, wenn wir wirklich wieder an alten Erfolg anknüpfen wollen, nicht allein um die Stärkung unserer harten Standortfaktoren, sondern es geht auch um eine Frage der inneren Einstellung. Ich habe das Gefühl, dass unser Land schon vor der Pandemie, aber verstärkt durch die Corona-Maßnahmen und Interventionen falsch abgebogen ist hinsichtlich der inneren Einstellung. Wir haben uns zum Beispiel daran gewöhnt, dass wir spitzenmäßigen Lebensstandard haben im weltweiten Vergleich, dass wir eine global spitzenmäßige soziale Absicherung haben. Und es versteht sich von selbst, dass wir höchste ökologische Standards verfolgen.

Aber hinterlegen wir das tatsächlich noch? In den weltweiten Rankings führt Deutschland nur eines an, nämlich das Ranking der Wachstumsschwäche. Leistung ist für viele nicht etwas was man erbringt, sondern was man beantragt. Wenn wir also unseren Platz in der Weltspitze behaupten wollen, bei Lebensstandard, sozialer Absicherung und ökologischem Bewusstsein, dann ist das eine Aufgabe, die sich an alle richtet, an jede und jeden Einzelnen, seinen Beitrag dazu zu leisten, dass wir wieder neu in der Weltspitze vertreten sind. Es ist ein Appell, der sich richtet an den Schüler, der sich auch den Anstrengungen des naturwissenschaftlichen Unterrichts widmet, statt wie Cem Özdemir nur zwangsweise Physik und Chemie weiterzuverfolgen. Und damit denen das Freude macht, sollten unsere Fachräume wieder im besten Zustand sein, damit es Spaß macht, sich mit Naturwissenschaft und Technik zu beschäftigen. Der Appell richtet sich an die Unternehmerinnen und Unternehmer, die nicht in einer Situation des Wandels nach dem Staat mit seinen Subventionen rufen sollten, sondern die selbst wieder den Mut zum unternehmerischen Risiko aufbringen müssen. Und was wir ihnen dafür geben können, ist Anerkennung und Freiheit für das, was sie für unser Land leisten.

Wenn wir in die Weltspitze zurückkehren wollen, dann brauchen wir auch Mut in der Politik. Nämlich den Mut der Politik zu klaren, teilweise nicht sofort populären Entscheidungen. Den Mut, Technologie-Optionen offen zu halten, die erst erklärt werden müssen, und nicht sofort jeder Skepsis bei neuer Technologie mit Verbot oder Forschungseinschränkung zu antworten. Denn bei uns müssen die Spitzentechnologien entstehen können, damit sie bei uns auch Wohlstand und Arbeitsplätze schaffen. Wenn wir in die Weltspitze zurückkehren wollen, dann müssen wir eine Gesellschaft sein, die auf herausragende Einzelleistungen nicht länger mit Neid oder der Forderung nach Steuererhöhung reagiert, sondern mit Respekt, Anerkennung und Würdigung dessen, was Einzelne für unser Land leisten. Kurz gesagt: Dieses Land muss sich entscheiden, möchte es bei Lebensstandard, Absicherung, in sozialen und ökologischen Möglichkeiten ins Mittelfeld in der Welt oder will es in der Spitzengruppe verbleiben, dann müssen wir auch wieder die Bereitschaft zur Spitzenleistung haben.

Ein zweites Beispiel: Unser Verhältnis zur Arbeit. Da hat sich etwas in meinen Augen doch sehr deutlich verändert. Damit wir uns nicht missverstehen: Wir sind die Partei der individuellen Selbstbestimmung, auch was das eigene Erwerbsleben angeht. Und mir liegt es fern, Mitgliedern unserer Gesellschaft individuell Antriebslosigkeit oder gar Faulheit vorzuwerfen. Insgesamt wird in Deutschland aber weniger gearbeitet als anderswo. Wir haben eine Mentalität von Work-Life-Balance entwickelt, weil wir es uns auch leisten konnten. Viele träumen von der Vier-Tage-Woche, freilich bezahlt wie fünf. Das Homeoffice ist für manche eine Verheißung geworden. Und ich habe den Eindruck, dass auch bei leichten Unpässlichkeiten manche denken, die Arbeit im Büro könnten doch auch heute mal die Kollegen erledigen. Es hat sich etwas verändert in unserer Einstellung zur Arbeit. Und vielleicht ist das, was wir brauchen, eine Art Imagekampagne für Arbeit. Arbeit ist nämlich nicht nur diese lästige Unterbrechung der Freizeit. Arbeit vermittelt soziale Teilhabe, wenn man andere Menschen trifft. Arbeit strukturiert den Alltag. Arbeit vermittelt das Gefühl, gebraucht zu werden. Arbeit gibt den Stolz, etwas beigetragen zu haben mit seiner eigenen Schaffenskraft. Arbeit gehört zum Leben und Arbeit ist nichts Lästiges. Arbeit kann auch Sinn stiften. Jeder möge sein Leben gestalten, wie er will. Diejenigen aber, die mehr wollen, denen müssen wir es ermöglichen. Also bessere Angebote für Kinderbetreuung, damit nicht insbesondere zu oft Mütter auf berufliche Möglichkeiten verzichten müssen, weil sie nicht wissen, wie ihre Kinder versorgt sind. Sorgen wir dafür, dass die bezahlte Überstunde, dass dort die Zuschläge steuerfrei sind. Sorgen wir dafür, dass nicht der frühere Renteneintritt belohnt wird, sondern dass wir prämieren und individuell belohnen, wenn Menschen länger im Berufsleben verbleiben wollen mit ihren Möglichkeiten.

Und überhaupt, wie schränken wir Menschen ein: Neulich erzählte mir jemand von einem Baggerfahrer, der in seinem Betrieb arbeitete. Und er sagte mir: Ich habe einen Baggerfahrer. Der ist auf Montage hier und seine Familie wohnt woanders. Der will gerne baggern und Geld verdienen. Der darf aber nur acht Stunden am Tag. Und dann sagte er mir, ich würde lieber zwölf Stunden arbeiten, damit ich im Leben vorankomme. Erlaubt das Arbeitszeitgesetz nicht. Warum erlauben wir nicht Menschen zu arbeiten, wenn sie arbeiten wollen? Vor wem schützen wir diese Menschen?

Mir jedenfalls ist klar, es hat noch niemals in der Geschichte und noch nirgendwo auf der Welt eine Gesellschaft ihren Wohlstand dadurch erhalten, dass sie weniger arbeitet. Wohlstand hat die Voraussetzung von Anstrengung, Bereitschaft zum unternehmerischen Risiko und einem Klima, etwas aufbauen zu wollen. Davon profitieren alle. Und das ist eine Mentalitätswende, die wir in unserem Land benötigen.

Falsch abgebogen sind wir in den vergangenen 15 Jahren auch bei unserem Staat selbst. Unser Staat hat sich ausgedehnt und überdehnt. Und gleichzeitig hat er in wesentlichen Fragen an Handlungsfähigkeit eingebüßt. Er ist groß darin, zu hohe Steuern einzuziehen und Bürokratismus und Bevormundung zu schaffen. Er traut sich zu, die Erderwärmung auf 1,5 Grad genau zu steuern. Er scheitert aber bei der zeitnahen Lieferung eines neuen Personalausweises. Unser Staat ist in der Lage, alles zu regeln und zu kontrollieren, aber er schafft es nicht, sicherzustellen, dass jede Frau und jeder Mann und jeder junge Mensch sich zu jeder Zeit, an jeder Stelle auf die öffentliche Ordnung und ihre Sicherung verlassen kann.

Unser Staat ist in weiten Teilen dysfunktional geworden, nicht, weil er zu klein ist. Er ist dysfunktional geworden, weil er zu groß geworden ist. Ich habe in meiner früheren beruflichen Funktion immer gesagt: Bevor unser Staat neue Staatsaufgaben übernimmt, sollte er zunächst einmal überzeugen bei denjenigen, die er schon hat, bevor sich Politikerinnen und Beamte neue Aufgaben für diesen Staat einfallen lassen. Das habe ich in früherer politischer, beruflicher Funktion gesagt. Heute will ich es ganz klarer formulieren, weil auch bei mir während der letzten drei Jahre in beruflicher Funktion Erkenntnisse gereift sind: Wir müssen unseren Staat in den Bereichen zurückschneiden, in denen er lästig ist, damit er neue Kraft in den Bereichen bekommt, wo wir ihn dringend und dringender benötigen. Ich habe gerade gesprochen vom Arbeitszeitgesetz. Das ließe sich fortsetzen mit unzähligen Berichtspflichten, Vorschriften, Verfahrensregeln. Wir haben ein feines Gespinst bürokratischer Regeln über ganz Deutschland gelegt. Bis hinein in das Leben eines jeden Einzelnen gibt der Staat vor, wie man zu arbeiten, wie man zu leben hat, wann man in Ruhestand eintritt, unter welchen Bedingungen. Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, es soll nicht der Staat sein, der mit seinen Schablonen das Leben prägt. Es sind die Menschen, die entscheiden, wie sie ihr Leben führen wollen. Und dabei soll der Staat ein Partner, aber nicht Zensor der Lebensentwürfe sein.

Und deshalb, meine Damen und Herren, vom Arbeitszeitgesetz über bestimmte Energieeffizienzgesetzgebung, über das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, die Nachhaltigkeitsberichterstattung und und und brauchen wir einen drastischen Abbau von Bürokratie. Und ich mache einen experimentellen Vorschlag: Schaffen wir doch einmal testweise alle Berichts- und Dokumentationsverpflichtungen ab und danach führen wir nur diejenigen wieder neu ein, die irgendjemand vermisst hat. Auch der Staatsapparat selbst – ich sehe ihn nach drei Jahren Arbeit in einer Regierungsfunktion anders als zuvor und ich war vorher auch kein Etatist – aber ich sehe ihn skeptischer als zuvor. Wir haben in Deutschland alleine 700 nachgeordnete Bundesbehörden, 16 Bundesministerien. Der Verwaltungsapparat wächst. Und es ist ein Naturgesetz der Administration, dass damit auch die Verwaltung von Verwaltung ausgedehnt wird. Ein Bundesverwaltungsamt und eine Bundesanstalt für Verwaltungsdienstleistungen gibt es gleichzeitig. Das klingt ein bisschen nach Monty Python: Judäische Volksfront und Volksfront von Judäa. Wir haben ein Umweltbundesamt mit gut 1.800 Stellen, das Aufgaben wahrnimmt, die andere auch wahrnehmen. 16 Länder, andere Bundesbehörden. Und darüber hinaus hat sich diese Behörde darauf spezialisiert, Regierung und Wirtschaft in die Speichen zu greifen, wenn es darum geht, wirtschaftliches Wachstum in unserem Land zurückzubringen. Das kann man aufteilen, dieses Umweltbundesamt, und damit hunderte Beamtinnen und Beamte freisetzen, für Sinnvolleres. Und wissen Sie was? Für die Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen ist es kein Nachteil, sondern sogar ein Vorteil, weil schneller entschieden wird.

[Nach Zuruf aus dem Publikum] Lieber Rudi Rentschler, ich weiß schon, dass das Umweltbundesamt damals von einem FDP-Innenminister eingeführt worden ist. Da sind aber inzwischen über 50 Jahre ins Land gegangen und heute haben wir andere Möglichkeiten als das, denn damals war es ein Wächter der natürlichen Lebensgrundlagen. Heute ist es eine Behörde, die eine aktivistische Agenda verfolgt. Ich muss das so sagen.

Und auch die Bundesministerien: 16 Stück sind es gegenwärtig. Auch da ist Verschlankung möglich. Und dabei geht es nicht alleine nur darum, Verwaltungspersonal, Beamtinnen und Beamte einzusparen – die werden ja an anderer Stelle dann eingesetzt werden – sondern es geht auch um die Agilität unserer Staatsverwaltung. Auswärtiges Amt und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Ja, wir haben es damals mal übernommen, weil es nicht möglich war, beides zusammenzuführen. Aber die Idee, es aus einer Hand, wie beispielsweise in Frankreich, zu gestalten, bleibt richtig. Gesundheitsministerium, Sozialministerium, Familienministerium beschäftigen sich mit gleichen Themen, könnten zusammengefasst werden. Und vor allen Dingen gehört die Arbeitsmarktpolitik wieder in das Wirtschaftsministerium. Damit wieder klar wird: Die beste Arbeitsmarktpolitik, die man machen kann, ist, dafür zu sorgen, dass es eine wachsende Wirtschaft gibt, in dem Mittelstand, Handwerk und Industrie gut bezahlte, sichere Jobs anbieten. Das ist die beste Arbeitsmarktpolitik. Eine Politik, die dafür sorgt, dass der Staat möglichst nicht gebraucht wird am Arbeitsmarkt.

Und es gibt noch einen weiteren Umstand, der hinsichtlich unserer Mentalität mich aufmerksam gemacht hat in der letzten Zeit. Und das ist die Frage, inwieweit Menschen in unserem Land sich selbst individuell eigentlich frei fühlen. Und hier ist ein guter Indikator der sogenannte Freiheitsindex. Im letzten Jahr haben nur 47 Prozent der Deutschen gesagt, dass sie frei von der Leber weg sagen, was sie denken, was sie hoffen, was sie wünschen. Bei den Hauptschulabgängern waren es, glaube ich, nur 28 Prozent, die sich noch trauen, offen ihre Meinung zu artikulieren. Es gibt also so etwas wie eine Art mentalen Lockdown. Wenn umgekehrt fast die Hälfte der Bevölkerung sagt, sie wagen eben nicht mehr offen das zu sagen, was sie denken, das passt nicht zu Deutschland. 1990 haben 78 Prozent der Deutschen gesagt, die freie Meinungsäußerung, die freie Rede sei ihnen wichtig, und sie trauten sich auch, ihre freie Meinung zu äußern, selbst wenn sie auf Widerspruch stoßen. Und deshalb: Wenn wir mentalitätspolitisch in unserem Land etwas verändern wollen, um wieder ein Deutschland der Freiheit zu werden, dann sollten wir damit beginnen, wieder in Freiheit offen darüber zu sprechen, was wir gemeinschaftlich erreichen wollen.

Meine Damen und Herren, wer bis vor kurzem Führungsverantwortung in Deutschland getragen hat und nunmehr für grundlegende Veränderungen wirbt, der muss Rechenschaft ablegen. So zumindest ist unser demokratischer Selbstanspruch. Die CDU/CSU spricht in diesen Tagen ja gerne davon, auch schon etwas länger, die Ampelkoalition, das sei die schlechteste Regierung der Nachkriegsgeschichte gewesen. Das ist parteipolitisch nachvollziehbar, um die Spuren der Ära Merkel zu verwischen. Korrekt ist es dennoch nicht. Wir haben Dinge erreicht. Es ist schon gesagt worden: Marco Buschmann hat den zähen und – wie wir heute wissen – oft auch nicht lauteren Widerstand von Karl Lauterbach gegen die Aufhebung der Corona-Maßnahmen überwunden. Wir haben das Klimaschutzgesetz marktwirtschaftlich novelliert. Wir haben die Bürgerinnen und Bürger bei der Steuer entlastet. Wir haben begonnen, eine neue Ordnung zu schaffen bei der Migration. Die Ertüchtigung der Bundeswehr – wir haben sie angestoßen. Marco Buschmann hat begonnen, Bürokratie in einem größeren Maßstab abzubauen. Trotz der Bedingungen der Schuldenbremse haben wir verfassungskonforme Haushalte mit Rekordinvestitionen vorgelegt. Und Bettina Stark-Watzinger hat das Startchancen-Programm eingeführt, durch das Zehntausende junge Menschen in den nächsten Jahren eine bessere Förderung insbesondere in Schulen mit besonderen Herausforderungen erhalten.

Gerade, meine Damen und Herren, auf dieses Startchancen-Programm bin ich in besonderer Weise stolz. Denn was kann man Besseres tun für die Erneuerung des Aufstiegsversprechens unserer Gesellschaft, als dafür zu sorgen, dass die Herkunft aus dem Elternhaus nicht mehr entscheidend ist für den Lebensweg, sondern Fleiß, Talent und Einsatzbereitschaft? Deshalb halten wir ja auch seit über zehn Jahren daran fest, dass unsere Wahlprogramme immer mit der Bildung beginnen, weil durch Bildung, kulturellen Horizont und beruflich verwertbare Qualifikation stärkt man jede und jeden Einzelnen. Bildung zu stärken bedeutet, den Menschen ein Leben auch in der Unabhängigkeit vom Staat und seinen Systemen zu eröffnen. Und das ist unser Leitbild von selbstbewussten Bürgerinnen und Bürgern, die sich mit Zivilcourage in der Gesellschaft engagieren, die aber auch mit einer Qualifikation in der Lage sind, ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Familie zu bestreiten. Bildung ist dafür die beste Ressource.

Aber zu einer nüchternen Bilanz gehört dazu, dass die Ampelkoalition am Ende nicht mehr die Kraft gefunden hat, auf die sich unserem Land stellenden Herausforderungen gemeinsam zu reagieren. Mit einem Wirtschaftsminister, bei allem Respekt, der sich vor allen Dingen als Klimaminister versteht, und einem Kanzler, der noch vor kurzem von zweistelligen Wachstumsraten in unserem Land geträumt hat, wie wir sie in den 50er Jahren vielleicht gesehen haben, der lange die traurige wirtschaftliche Realität nicht wahrnehmen wollte. Die aktuellen Wahlprogramme legen im Nachhinein offen, welche grundlegenden Bewertungsunterschiede und welche grundlegenden Unterschiede hinsichtlich der weiteren Richtung unseres Landes hier auf dem Tisch lagen. Auf der einen Seite Rot-Grün, die mehr oder weniger die Idee verfolgen, unsere Wirtschaft könne man lenken mit Gesetzen und Verboten einerseits und mit Subventionen andererseits. Dahinter steht, wie Friedrich August von Hayek vielleicht zu Recht gesagt hat, eine Anmaßung von Wissen. Als könnte man wortwörtlich am grünen Tisch planen, welche Branche, welches Unternehmen, welche Technologie Zukunft haben soll, um es danach dann auch mit staatlichen Machtmitteln durchzusetzen. An dieses Paradigma glauben wir nicht. Erst recht nicht, da sich bei Intel, Northvolt und an anderer Stelle gezeigt hat, dass der Staat mit Subventionen noch und nöcher grundlegende Probleme der Wettbewerbsfähigkeit nicht ausgleichen kann. Und mehr noch: Olaf Scholz und Robert Habeck, die wissen schlicht nicht, welche Technologie Zukunft hat. Ich weiß es auch nicht. Deshalb sollten die entscheiden, die mit ihrem Kapital finanzieren und am Ende auch individuell dafür haften müssen.

Unser wirtschaftspolitisches Konzept unterscheidet sich davon fundamental. Es ist, wenn Sie so wollen, bescheidener hinsichtlich des Wissens, das wir uns zutrauen. Es ist offener, dass wir selbst überrascht werden können von wissenschaftlich technologischen Durchbrüchen, die heute noch niemand auf dem Plan hatte. Wer konnte wissen, dass Mainz ein neues Supercluster für hoch effiziente und hoch innovative Pharmazie werden würde? Das hat keiner geplant. Unser wirtschaftspolitischer Ansatz ist der Ansatz der sozialen Marktwirtschaft: faire und gute Rahmenbedingungen für alle, damit die individuelle Idee, die Entscheidungen der Kundinnen und Kunden, der Erfolg auf den Weltmärkten und die technologischen Möglichkeiten, die wir uns erarbeiten, die zukünftige Struktur der Wirtschaft bestimmen. Wettbewerbsfähige Arbeitsplätze kann der Staat nicht auf Dauer subventionieren. Es ist nicht der Staat, der die Wirtschaft finanziert. Die Wirtschaft muss den Staat finanzieren, also müssen wir sie stärken.

Am Ende gab es eine klare Entscheidungssituation. Der Bundeskanzler Olaf Scholz hatte uns ultimativ aufgefordert, seine Linie der Wirtschaftspolitik fortzusetzen und 15 Milliarden Euro Schulden am Grundgesetz und der Schuldenbremse vorbei aufzunehmen. Hätten wir dieses Diktat angenommen, die FDP hätte nicht nur ihre Selbstachtung und Glaubwürdigkeit verloren – wir hätten unserem Land geschadet. Freilich sind wir danach unsouverän und auch unprofessionell mit Indiskretionen, mit menschlichen Enttäuschungen und mit den gezielten Kampagnen unserer politischen Gegner umgegangen. Niemand bedauert es mehr als ich, dass die Deutung über das Ende der Ampel sehr stark von unseren politischen Gegnern bestimmt wird. Deshalb halte ich auch Kritik und auch persönliche Herabwürdigungen aus. Das gehört zum Berufsrisiko eines FDP-Vorsitzenden.

Aber niemals werde ich unwidersprochen lassen, wenn die Integrität und Glaubwürdigkeit der Freien Demokratischen Partei und ihrer Mitglieder von unseren Gegnern öffentlich in Frage gestellt werden. Denn uns ging es immer um das Land. Und keine Tatsache belegt das mehr, als dass wir für unsere Überzeugung, dass das Land eine Wirtschaftswende braucht, ein weiteres Mal in unserer Geschichte unsere gesamte politische Existenz in die Waagschale werfen. Ja, ich weiß, viele sagen heute, ihr hättet schon eher konsequent sein müssen. Und vielleicht hätten wir seinerzeit um des Koalitionsfriedens willen nicht zustimmen dürfen bei der Frage der Kernenergie. Vielleicht hätten wir unsere Bedenken hinsichtlich der Konsequenzen des Bürgergeldes vehementer gegen die SPD durchsetzen müssen. Vielleicht hätten wir das Heizungsgesetz nicht im Kabinett verabschieden dürfen, um Robert Habeck einen Gefallen zu tun. Vielleicht hätten wir gar nicht so lange über das Demokratiefördergesetz verhandeln dürfen, als es einfach nur abzusagen. Vielleicht hätten wir die Wucht des Haushaltsurteils nehmen müssen, als der 60 Milliarden Euro Buchungstrick von Olaf Scholz für verfassungswidrig erklärt worden ist, um die Koalition neu zu verhandeln. Das mag sein. Und die Bürgerinnen und Bürger dürfen darüber urteilen, wenn ich jetzt sage: Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass wir es zum Ampel-Aus haben kommen lassen. Was ich bedauere, ist, dass wir nicht vorher mehr Konsequenz in einzelnen Fragen hatten. Deshalb ist es gut, dass die Bürgerinnen und Bürger jetzt die Richtungsentscheidung treffen können, zu der die Ampelkoalition offensichtlich nicht mehr in der Lage war. Nun liegen die unterschiedlichen Konzepte auf dem Tisch. In der Demokratie jedenfalls ist es, wenn Parlament und Regierung nicht weiterwissen, niemals ein Zeichen einer Krise, den Souverän zu befragen. In Neuwahlen liegt immer eine Chance auch auf Neuanfang für unser Land.

Meine Damen und Herren, ich habe vor drei Tagen gelesen, dass eine Tochter der Stadtwerke Köln jetzt eine Dependance in der Schweiz aufmacht. Weil dort für die Gewinnung von Fachkräften die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Bedingungen besser sind als bei uns. Wenn schon die öffentlichen Unternehmen erkennen, dass der Standort Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig ist, dann unterstreicht das die Dramatik der Situation. Und deshalb ist unser Programm, das ich skizziert habe, genau darauf gerichtet, diese Standortqualität wiederherzustellen.

Es beginnt auch bei der Steuer. Wir haben mit viel Mühe erreicht in den vergangenen Jahren, dass sowohl 2023/24 wie jetzt 2025 die kalte Progression bei den Beschäftigten mehr als beseitigt wird. Und das ist nur eine Frage der Fairness. Wenn Sozialleistungen automatisch angesichts der Preise erhöht werden, dann müssen auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vor Mehrbelastung durch Inflation geschützt werden. Ich habe aber gelernt, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Deshalb sollten wir das zukünftig automatisch auch bei der Anpassung der Freibeträge und des Tarifs der Einkommensteuer vornehmen.

Dies wird aber nicht reichen, denn es ist nur Verzicht auf zusätzliche Steuerbelastung im Prozess der Inflation. Wir brauchen echte Entlastung. Donald Trump in den USA denkt offen darüber nach, die Belastung der Unternehmen dort auf 15 Prozent zu reduzieren. In Deutschland ist die effektive Belastung der Wirtschaft bei 30 Prozent. Liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren, weil wir nicht mehr doppelt so gut sind wie die USA, können wir auch nicht länger doppelt so teuer sein wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Und aus diesem Grund empfehle ich steuerpolitischen Ehrgeiz. Noch in meiner früheren Funktion als Finanzminister habe ich amtlich vorgerechnet, dass der Einstieg in das Auslaufen des Solidaritätszuschlags, eine Senkung der Körperschaftsteuer und auch andere Maßnahmen wie etwa die Steuerfreiheit der Überstundenzuschläge finanzierbar sind. Mit mehr Ehrgeiz wäre auch mehr möglich. Ich treffe Bürgerinnen und Bürger auf der Straße oder in meinen Veranstaltungen, die mir offen sagen: Herr Lindner, der Abstand zwischen meinem Lohn und dem, was die Nachbarsfamilie an Bürgergeld bekommt, er stimmt nicht mehr, er ist nicht mehr fair. Die Menschen sagen mir ins Gesicht: Bürgergeld runter, Netto rauf.

Und meine Damen und Herren, vielleicht müssen wir genau diesen Gedanken verfolgen, ohne dabei schäbig zu werden. Aber fraglos brauchen wir eine neue Grundsicherung, die die Arbeitsanreize stärkt, die Vermittlung intensiviert, Sanktionen klarer ausspricht bei Pflichtverstößen und die Arrangements aus Sozialtransfers und Schwarzarbeit unterbindet. Und die Milliarden, die wir in den nächsten Jahren einsparen, die lassen wir nicht im Staatshaushalt versickern, sondern mit denen erhöhen wir das steuerfrei bleibende Einkommen bei Beschäftigten und Rentnerinnen und Rentnern. Es ist möglich, bis zu 1.000 Euro Einkommen im Jahr von jeder Besteuerung zu verschonen durch eine Reform allein der Grundsicherung. Davon profitieren insbesondere die Bezieher von kleinen Einkommen und genau die sollen es auch merken, dass sich ihre Arbeit für sie auszahlt.

Weiter geht’s: Der Solidaritätszuschlag wird inzwischen nur noch von denjenigen gezahlt, die eine besondere berufliche Qualifikation erworben haben, die sich angestrengt haben, die in ihre Ausbildung investiert haben. Der Solidaritätszuschlag wird heute noch von denen gezahlt, die Verantwortung für Arbeitsplätze und Investitionen tragen. Was brauchen wir eigentlich für einen Aufschwung, wenn nicht Qualifikation und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen für Arbeitsplätze und für private Investitionen? Genau das aber wird mit dem Solidaritätszuschlag in Deutschland belastet. Er ist in Wahrheit nicht mehr Ausdruck der Solidarität. Er ist zu einer Wirtschaftsstrafsteuer geworden. Der erste Schritt zum Aufschwung ist die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, damit die Wirtschaft mehr Luft zum Atmen gewinnt.

Und dieses ambitionierte Programm ist finanzierbar. Nicht alles im ersten Schritt, aber Schritt für Schritt werden wir uns auf den Weg machen. Nicht nur zu einer Wirtschaftswende, sondern auch zu einer Neujustierung des Verhältnisses zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Wirtschaft auf der einen und Staat auf der anderen Seite. Ein solches Programm ist finanzierbar durch eine Reform des Sozialstaats, wo niemand, der Hilfe benötigt, weniger Solidarität erfährt, wo aber die Treffsicherheit erhöht wird und das Ziel immer ist, wenn gearbeitet werden kann, dass auch ein Job angenommen wird. Wir können es erreichen durch eine Einwanderungspolitik, die unser Land attraktiv hält und attraktiver macht für die klugen Köpfe und fleißigen Hände, die wir brauchen, um unseren Wohlstand zu sichern, die aber zugleich die irreguläre Migration in unseren Sozialstaat unterbindet, die uns jedes Jahr zweistellige Milliarden Euro Beträge kostet. Ein solches Programm ist finanzierbar durch die Beendigung des deutschen Sonderwegs in der Klima- und Energiepolitik. Wir als größte Industrienation Europas wollen fünf Jahre schneller treibhausgasneutral sein als der Rest. Und wir verzichten dabei auf Kernenergie. Technologien und Anlagen, die noch zur Wertschöpfung beitragen können, werden deshalb vor der Zeit verschrottet. Und sie werden ersetzt durch Anlagen, die der Staat subventionieren muss. Milliarden Euro können wir für Investitionen und Entlastung gewinnen, ohne dass die europäischen Ziele später erreicht werden, wenn wir zum Maßstab der Klima- und Energiepolitik nicht länger Ideologie, sondern Physik machen.

Was wir nicht in Frage stellen müssen, ist indessen die Schuldenbremse. Auf besonderen Wunsch von Herrn Friderichs möchte ich dazu eine Bemerkung machen. Die Schuldenbremse ist ja Gegenstand der politischen Machtauseinandersetzung und der Deutungskämpfe. Es wird der Eindruck erweckt, unsere ganze Zukunft hänge daran, dass wir jetzt mehr Schulden machen können. Um was es in Wahrheit geht, wurde unfreiwillig entlarvt durch den Kanzlerkandidaten der SPD selbst. Denn Olaf Scholz hat zeitgleich mit seinen Vorschlägen für eine Reform der Schuldenbremse ja gefordert, dass es einen reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel geben soll, der Milliarden Euro kostet. Das wären Milliarden, die man auch für Investitionen nutzen könnte. Stattdessen soll die Schuldenbremse aufgehoben werden. Verstehen Sie, meine Damen und Herren, ich komme aus dem Rheinland. Mir ist deshalb das nicht ganz fremd: kleine Geschenke anbieten, um populär zu werden. Wir im Rheinland machen das am Rosenmontag, wenn der Prinz Karneval Kamelle verteilt. Ich bin deshalb davon überzeugt: Das Prinzip Kamelle taugt, um am Rosenmontag populär zu werden. Aber mit dem Prinzip Kamelle kann man die Bundesrepublik Deutschland nicht führen. Nicht ein Job wird dadurch sicherer. Nicht ein neuer Arbeitsplatz wird geschaffen. Kein Effekt auf das Wachstum, keine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Es ist einfach nur eines: Gefälligkeitspolitik für eine Generation zulasten all derjenigen, die nach uns kommen werden, um es bezahlen zu müssen.

Aber das ist noch nicht der Gipfel der Entwicklung. Den Gipfel der Entwicklung markiert mein früherer Kollege Robert Habeck. Das Programm der Grünen enthält zahlreiche Vorschläge, was man finanzieren kann, indem man die Schuldenbremse aufhebt, beispielsweise den Ausbau des Energienetzes in Deutschland. Statt zu fragen, ob es nicht günstiger werden kann, etwa durch Überlandleitungen statt Erdverkabelung, sollen es Schulden sein. Dann gibt es unzählige andere Ideen der Wirtschaftsförderung, wie eine pauschale Investitionsförderung, wogegen ordnungspolitisch etwas einzuwenden ist. Denn wenn der Staat pauschal jede Investition fördert, ist damit keine Erfolgskontrolle verbunden, noch nicht einmal die individuelle unternehmerische Risikobereitschaft. Und das Neueste ist jetzt: Die Verteidigungsausgaben will Herr Habeck erhöhen und gleichzeitig dafür die Schuldenbremse aufheben. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, das sehr, sehr konservativ zu kalkulieren, über welche Summen inklusive der Zinslasten wir da sprechen in den wenigen nächsten Jahren: Die Vorschläge für Schulden an der Schuldenbremse vorbei von Robert Habeck belaufen sich auf mindestens eine halbe Billionen Euro bis ungefähr zum Jahr 2030. Eine halbe Billionen Euro Schulden, die wir tilgen müssen und für die wir bereits dann in jedem Jahr Zinsen aus Steuergeld zahlen müssen. Bei allem Respekt: Robert Habeck und die Grünen sind inzwischen völlig losgelöst von den ökonomischen Realitäten. Eine halbe Billionen Euro zusätzliche Schulden, nur um nicht staatliche Ausgaben und Subventionen in Frage stellen zu müssen. Eine halbe Billionen Euro, in die man sich flüchtet, weil der Mut fehlt, zu einer realistischen Beschreibung der Lage und der Setzung der Prioritäten. Ich habe in den vergangenen Jahren aufgepasst. Aber auch auf Dauer muss es so sein: Robert Habeck und die Grünen dürfen keine Kontrolle über die Finanzen dieses Staates erhalten.

Und zwar nicht nur unseretwegen, sondern auch mit dem Blick nach Europa. Fällt uns nicht auf, dass es in Frankreich eine veritable Regierungs- und Haushaltskrise gibt? Frankreich bekommt seine öffentlichen Finanzen nicht unter Kontrolle. Das mögen jetzt die Griechen nicht missverstehen, aber Frankreich ist nicht Griechenland. In Italien gibt es ebenfalls Bedenken, wenngleich weniger groß als die aktuell in Frankreich. Die Vorschläge, sowohl von Sozialdemokraten als auch Grünen, die Schuldenbremse zu schleifen, sie alle laufen auf den Bruch der europäischen Fiskalregeln hinaus. Regeln, die die Europäische Union und insbesondere unsere Währungsunion des Euros zusammenhalten sollen. Wenn Deutschland vorsätzlich die Fiskalregeln bricht – und Robert Habeck schlägt sogar vor, wir sollen sie neu verhandeln, also kündigen, obwohl sie gerade erst im letzten Jahr neu beschlossen worden sind – wenn Deutschland diesen Weg geht, dann wird endgültig der Damm der öffentlichen Finanzen auch bei anderen in Europa brechen. Über wenige Jahre würde uferlose Staatsverschuldung das Fundament des Euros unterspülen. Es ist ein Krisensymptom, das der deutsche Wirtschaftsminister nicht mehr weiß, dass seine oberste politische Priorität, die Stabilität der Währung sein muss.

Liebe Freundinnen und Freunde, Deutschland hat in der Welt an Gewicht verloren. Und zwar in einem auch für mich zuvor kaum vorstellbaren Tempo. Wir sind nicht mehr ein Vorbild für andere und wir beeindrucken andere auch nicht mehr. Ich habe es schon mal einigen erzählt, aber für mich wurde das augenfällig bei der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds im April des vergangenen Jahres, an dem ich noch als Finanzminister teilgenommen habe. Diese Tagung, die Frühjahrstagung im April des letzten Jahres, die hatte zwei große Themen: die globale Verschuldungssituation und die globale Wachstumsschwäche. Die globale Verschuldungssituation wurde mit einer Innenstadtszene aus Afrika eingeleitet. Ich glaube, es war Accra in Ghana. Das Symbolbild für die globale Wachstumsschwäche bei der Tagung von 190 Finanzministern der Welt war Berlin. Und ich habe mir seinerzeit eines geschworen: Ich habe mir gesagt, im April des letzten Jahres, bei der nächsten Frühjahrstagung des IWF, die ich als Finanzminister besuche, muss Deutschland das Beispiel sein für den Mut zu strukturellen Reformen. Die nächste Tagung des Internationalen Währungsfonds ist im April dieses Jahres. Am 23. Februar ist Bundestagswahl. Ich kann es noch schaffen.

Ich würde es auf einen zentralen Punkt bringen. Deutschland hat in der Vergangenheit großen Einfluss in der Welt gehabt, auch wenn es seine Werte vertreten hat, weil wir unsere Werte immer mit wirtschaftlichem Erfolg untermauern konnten. Wir haben andere beeindruckt durch unser Wirtschaftsmodell, durch unsere Innovationskraft, durch unsere Technologien. Durch unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten haben wir auch Interessen und humanitäre Werte zur Geltung bringen können. Wenn Deutschland also an Wirtschaftskraft verliert, dann verliert es zugleich auch an geopolitischem Einfluss. Die Stärkung unseres wirtschaftlichen Erfolgs ist deshalb auch ein wesentlicher Beitrag dazu, dass wir unsere außenpolitischen Ziele, unsere Werte und Interessen in der Welt zur Geltung bringen können.

Das gilt auch für Europa. Deutschland nimmt seine Führungsrolle in Europa nicht so wahr, wie sie wahrgenommen werden müsste. Die deutschen Regierungen stimmen meistens ja mit Enthaltung. Das ist sprichwörtlich geworden für „German Vote“. Und das gilt nicht nur für die Ampel, sondern auch für die Große Koalition zuvor. Deutschland vertritt zu oft auch seine eigenen Interessen in einer Weise, dass andere sich benachteiligt fühlen. Ich nenne dafür nur ein Beispiel aus der jüngsten Zeit. Frankreich geht eine Wette ein, nämlich die Wette, dass die eigene wirtschaftliche Transformation gelingen wird mit Kernenergie. Und der engste Partner und Freund, nämlich Berlin, hat, getrieben durch Rot und insbesondere Grün, nichts anderes zu tun, bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf der europäischen Ebene den Franzosen mit ihrer Wirtschafts- und Energiepolitik Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Da darf man sich nicht wundern, wenn die deutsch-französische Freundschaft abkühlt, wenn man nicht mehr Respekt dafür hat, dass andere andere Entscheidungen treffen als man selbst.

Vor uns steht also in der Welt, in Europa und im transatlantischen Verhältnis eine neue Ära der Diplomatie, in der wir nicht mit der Tür ins Haus fallen dürfen, sondern wo wir nüchtern die Interessen anderer erkennen und unserer eigenen entgegensetzen müssen, um dann zu einem Konsens zu kommen. Das ist nicht nur eine Frage eines strategischen Verständnisses unseres Landes, es ist auch eine Stilfrage. Bei allem Respekt, wir haben einen Kanzler, der zu wenig kommuniziert, und eine Außenministerin, die zu viel spricht.

Wir sind 48 Tage vor einer wichtigen Bundestagswahl und das ist meine Schlussbemerkung. Wir sind 48 Tage vor einer wichtigen Bundestagswahl. Seit 1998 mit einer kurzen Unterbrechung regieren in Deutschland Sozialdemokraten. Und Hand aufs Herz, 2009, als wir mit Angela Merkel koaliert haben, dann war das auch keine Reformerin mehr. Die war schon durch die Große Koalition deformiert. 2017, als wir über Jamaika sondiert haben, war sie endgültig eine Grüne. Wir haben also seit langer Zeit in Deutschland Mitte-Links-Regierungen. Jetzt in 48 Tagen steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Kanzlerwechsel an. Friedrich Merz wird nach Stand der Dinge der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland sein. Aber Stand der Dinge wird er regieren Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün. Also nach GroKo, nach Ampel, nach über 20 Jahren ohne Reformen haben wir dann wieder de facto eine Mitte-Links-Regierung. Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün. Das wäre nur Ampel light. Wir brauchen nicht nur einen Kanzlerwechsel, wir brauchen einen Politikwechsel in Deutschland.

Gegenwärtig kämpft die Union für diesen Politikwechsel freilich noch nicht. Im Gegenteil: Die Lockerungsübungen gegen SPD und Grünen sind doch mit Händen zu greifen. Steuererhöhungen nicht ausgeschlossen, sagt die stellvertretende CDU-Vorsitzende. Lockerung der Schuldenbremse – wir können darüber reden. Robert Habeck als Wirtschaftsminister im Kabinett Merz, da ist er offen. Ich kann nur eines sagen: Wir wären nicht offen. Denn Deutschlands Wirtschaft braucht vor allen Dingen das Gegenteil von dem, was Robert Habeck vertritt.

Also man merkt diese Offenheit. Ich dagegen bin überzeugt, in dieser politischen Situation gibt es einen wirklichen Politikwechsel nur in einer Koalition von CDU, CSU und FDP. Denn die CDU/CSU nimmt in Koalitionen immer die Farbe ihrer Koalitionspartner an, sie ist ein politisches Chamäleon. Und Gelb täte Deutschland gut, jedenfalls besser als Rot und Grün.

Die Perspektive mag manchen angesichts der Umfragen noch wenig realistisch erscheinen. Man führt aber Wahlkämpfe nicht, um Umfragen zu bestätigen. Man führt Wahlkämpfe, um Umfragen zu verändern, damit es ein anderes Ergebnis ist als zu Beginn des Wahlkampfs. Es geht um die Perspektive. Sprechen wir es offen aus: Ohne AfD und BSW gäbe es längst eine schwarz-gelbe Mehrheit im Deutschen Bundestag. Also müssen wir doch einen Versuch unternehmen, um Menschen zu erreichen, die gegenwärtig nicht für die Parteien des demokratischen Zentrums sind und nicht für sie stimmen würden. Ich bin überzeugt davon, mit der Perspektive einer Wirtschaftswende, mit der Kraft aktiver, kontrollierter, aber weltoffener Einwanderung nach Deutschland, mit der Perspektive von mehr Freiheit statt Bevormundung, würde man viele gemäßigte Wählerinnen und Wähler treffen, die dann statt zu AfD und BSW wieder zurück ins demokratische Zentrum kommen sollten.

Und um die geht es mir. Und das ist nicht nur eine machtpolitische Frage. Sondern im Gegenteil: Ich halte es für den Auftrag der demokratischen Parteien, nicht so zu reden wie die Rechtspopulisten, nicht so zu werden wie die Rechtspopulisten. Aber den Bürgerinnen und Bürgern eine Alternative zu den Rechtspopulisten anzubieten, damit sie zurückkehren können in die Mitte.

Und da geht es um viel mehr als die Bundestagswahl am 23. Februar. Am 6. November haben sich zwei Ereignisse überkreuzt, die Wahl von Donald Trump und das Ende der Ampel. Das war Zufall. Und trotzdem, zwischen beiden Ereignissen Anfang November gibt es, wie ich heute glaube, einen inneren Zusammenhang. Die Ampel ist gescheitert, weil wir uns angesichts einer zuspitzenden Wirtschaftskrise nicht mehr auf eine gemeinsame Politik verständigen konnten. Menschen in unserem Land haben Angst vor Jobverlust, vor der Einschränkung ihres Lebensstandards, und sie fühlen sich bevormundet. Die Ampel hatte darauf keine Antwort mehr. In den USA haben sich auch über viele Jahre Menschen bevormundet gefühlt. Sie haben dort Angst vor Jobverlust oder haben ihre Jobs verloren in bestimmten Bereichen der Gesellschaft. Und auch dort gibt es die Sorge, das eigene Leben nicht mehr finanzieren zu können. Diese Menschen haben nach Jahren der Beschwichtigung dann trotz aller Defizite, die dieser Mann hat, trotz seiner autoritativen Züge sich entschieden, ihn zu wählen, weil er ein Versprechen auf wirtschaftliche Gesundung gegeben hat. Darin steckt doch in Wahrheit für uns eine Lehre.

Wir haben es nicht vermocht, in jener Mitte-Links-Ampel ein Programm zu beschreiben, das Menschen Ängste, insbesondere wirtschaftliche Ängste nimmt. Und in den USA hat das eine Regierung ebenfalls zuvor nicht vermocht. Und dann wurde ein Mann mit autoritären Zügen und charakterlichen Defiziten der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Das ist eine Lehre für uns, für die Wahl 2029, wenn es denn in den nächsten Jahren in Deutschland nicht gelingt, die Wirtschaft wieder auf Erfolgskurs zu bringen, den Menschen ein Sicherheitsgefühl zurückzugeben und ihre Freiheit ernst zu nehmen. Was werden diese Menschen dann nach weiteren vier Jahren wählen? Welche Optionen haben sie dann?

Und deshalb geht es bei der Wahl am 23. Februar nicht um die FDP. Es geht um die Zukunft unseres Landes. Es geht um den Charakter unserer Demokratie. In einem Satz. Es geht um alles. Und deshalb gilt für uns: Jetzt erst recht.

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