FDPBrexit-Referendum

Wir müssen wieder für ein gemeinsames Europa brennen

Michael Theurer regt eine Optimierung europäischer Institutionen anMichael Theurer regt eine Optimierung europäischer Institutionen an
21.06.2016

Im "Focus"-Gastbeitrag setzt sich FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer mit den Folgen eines britischen EU-Austritts auseinander. Der Freidemokrat plädiert dafür, die Strukturen und Institutionen der EU zu optimieren. "Wir müssen wieder für ein gemeinsames Europa brennen, damit der Funke auch auf Zweifler überspringt", erklärt Theurer. Dazu gehörten eine europäische Armee und Staatsanwaltschaft sowie eine wirklich gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. "Ein zweiter Anlauf mit einem neuen Konvent unter Einbeziehung der europäischen Öffentlichkeit und der Schaffung einer echten Bürgerrepublik Europa muss das Ziel sein – Brexit hin oder her", fordert er.

Der liberale EU-Abgeordnete plädiert für eine Besinnung auf die Erfolge und Stärken des einzigartigen Friedensprojektes Europa. "Wir dürfen unsere Identität als Europäer nicht abhängig machen von kurzfristigen Stimmungen, aber auch nicht im Status quo verharren oder uns gar lähmen und verunsichern lassen", betont er mit Blick auf die unmittelbar anstehende Brexit-Abstimmung. "Sondern wir müssen noch entschiedener prüfen, wo und wie sich das institutionelle Gefüge der EU und die offensichtlich bestehenden juristischen Konstruktionsfehler reparieren lassen."

"Schon jetzt ist den Briten zugesagt, sich an der einst vereinbarten stetig voranschreitenden Vertiefung nicht beteiligen zu müssen", hebt Theurer hervor. De facto gebe es mit Euro-Zone und Schengen-Raum bereits ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Nun gelte es, Europa im Ganzen zu stärken und das Mikromanagement zu beenden.

Lesen Sie hier den gesamten Gastbeitrag.

Bei der Diskussion über den Brexit geht es meist um wirtschaftliche Folgen eines britischen EU-Austritts. Ein solcher Schritt würde aber auch die EU-Institutionen jahrelang beschäftigen – oder sogar in eine zweite „Eurosklerose“ stürzen.

Spätestens seit das größte Boulevardblatt der Insel, die „Sun“, den jahrzehntelangen Kampf vor allem der Murdoch-Presse gegen die EU mit ihrer Brexit-Kampagne auf die Spitze getrieben hat, halte auch ich eine Niederlage des Pro-EU-Lagers für möglich.

In seiner Verzweiflung zieht dieses „politische Fossilien“ wie John Major oder Gordon Brown aus dem Hut, und auf dem Kontinent versuchen Brexit-Gegner mit Kuschel-Kampagnen in den Sozialen Medien wie #HugABrit, EU-Befürworter oder Unentschiedene zu mobilisieren – auch meine liberale ALDE-Partei ist aktiv.

Wird David Cameron als der Mann in die Geschichte eingehen, der nicht nur den Ausstieg seines Landes aus der Europäischen Union eingeläutet hat, sondern auch den Zerfall des Vereinigten Königreichs? Denn dass die Abspaltung Schottlands nach einem Brexit wieder auf die Agenda kommt, daran hege ich keinen Zweifel. Auch ob die Nordiren eine EU-Außengrenze quer über die irische Insel akzeptieren würden, ist mehr als fraglich.

Wie geht es mit den britischen Beamten weiter, die bei den EU-Institutionen beschäftigt sind? Wie mit den EU-Institutionen selber? Wird Europa auf Jahre in Schockstarre gelähmt sein, sich ewig um sich selbst drehen so wie in Zeiten der „Eurosklerose“ in den 1970er und 1980er Jahren oder nach dem Scheitern der geplanten EU-Verfassung?

Die Brexit-Befürworter liegen in Umfragen vorn, und deshalb werden derlei Fragen in Brüssel immer intensiver diskutiert. Genau weiß es niemand. Zwar ist seit dem Lissabonner Vertrag ein EU-Ausstieg in den Verträgen vorgesehen. Demnach müsste die EU-Kommission nach gültigen Regularien mit Großbritannien ein Austrittsabkommen verhandeln.

Danach würden Verhandlungen über den neuen Status Großbritanniens in den Beziehungen zur EU beginnen. Geschätzte Dauer: Ein gutes Jahrzehnt. Die gesamte Prozedur ist so noch nie passiert. Einzig Grönland hat als weitgehend selbstbestimmter Teil Dänemarks 1982 die Gemeinschaft verlassen.

Zunächst einmal sollte Brüssel am Tag nach dem Referendum besonnen reagieren, egal wie es ausgeht. Die Sorge vor einem Brexit beeinflusst seit Monaten die Arbeit der Institutionen. Die Kommission ist angehalten, die bürokratische Gesetzesmaschinerie zu mäßigen. Im Steuer-Sonderausschuss zur Aufarbeitung der LuxLeaks-Enthüllungen, in dem ich Berichterstatter bin, hat man die Idee, den britischen Finanzminister einzuladen, erst gar nicht weiterverfolgen wollen, um kein Öl ins Feuer zu gießen.

Wie nun ginge es nach einem Brexit weiter? Ich plädiere für ein engagiertes, pro-europäisches Plädoyer, für eine Besinnung auf die Erfolge und Stärken dieses einzigartigen Friedensprojektes. Ja, die Stimmen unserer britischen Freunde würden fehlen, nicht nur im Bereich des Freihandels.

Gleichwohl dürfen wir unsere Identität als Europäer nicht abhängig machen von kurzfristigen Stimmungen, aber auch nicht im Status quo verharren oder uns gar lähmen und verunsichern lassen. Sondern wir müssen noch entschiedener prüfen, wo und wie sich das institutionelle Gefüge der EU und die offensichtlich bestehenden juristischen Konstruktionsfehler reparieren lassen.

Schon jetzt ist den Briten zugesagt, sich an der einst vereinbarten stetig voranschreitenden Vertiefung nicht beteiligen zu müssen. De facto haben wir mit Euro-Zone und Schengen-Raum schon ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Es gilt, Europa im Ganzen zu stärken und das Mikromanagement zu beenden.

Wir müssen wieder für ein gemeinsames Europa brennen, damit der Funke auch auf Zweifler überspringt. Ich plädiere für eine gemeinsame Europäische Armee und Staatsanwaltschaft, eine wirklich gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Ein zweiter Anlauf mit einem neuen Konvent unter Einbeziehung der europäischen Öffentlichkeit und der Schaffung einer echten Bürgerrepublik Europa muss das Ziel sein – Brexit hin oder her.

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