03.04.2003FDP

WESTERWELLE-Interview im SWR2-Tagesgespräch

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "SWR2- Tagesgespräch" das folgende Interview. Die Fragen stellte CLAUS HEINRICH.

Frage: Der Kanzler hat eine Regierungserklärung zum Irak-Krieg angekündigt. CDU-Chefin Angela Merkel fordert eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik. Was erwarten Sie denn, was erwartet die FDP vom heutigen Tag?

WESTERWELLE: Wir erwarten, dass der Bundeskanzler endlich eine außenpolitische Perspektive aufzeigt. Bisher hangelt sich die Bundesregierung lediglich von Problem zu Problem, sie schwimmt wie ein Korken auf Stimmungswellen der Politik, aber es ist keine Konzeption erkennbar, wohin will die Bundesregierung? Es gibt schließlich auch eine Zeit nach dem Krieg, und dann wird die Frage zu beantworten sein: Welche Rolle haben die
Vereinten Nationen aus Sicht der Deutschen, aus Sicht der Europäer, und wie kann vor allem wieder zu einer gemeinsamen, geschlossenen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik durch Deutschland beigetragen werden?

Frage: Die transatlantischen Beziehungen stehen dann auch im Mittelpunkt. Stimmen Sie denn dem Kanzler zu, der eine einige europäische Verteidigungspolitik will, wohl als potente Handlungsalternative zum amerikanischen Interventionsmonopol. Was dürfte uns denn eine solche Politik kosten, politisch und materiell?

WESTERWELLE: Also wir haben in der Weltpolitik nicht zuviel Amerika, wir haben in der
Weltpolitik zuwenig Europa. Dass Europa nicht mit einer Stimme spricht und auch in den letzten Monaten, wie es der europäische Kommissar Günther Verheugen genannt hat, in der Außenpolitik wie ein Hühnerhaufen gehandelt hat, das hängt doch ganz entscheidend mit dem Versagen der deutschen Außenpolitik zusammen. Das bedauern wir außerordentlich. Wir
werden vor allen Dingen darauf Wert legen müssen, dass es wieder zu dieser gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik kommt. Das ist ein Kernanliegen der liberalen Außenminister in den letzten Jahrzehnten immer gewesen, und das muss auch wieder Kernanliegen der deutschen Politik werden.

Allerdings heißt europäische Außenpolitik nicht, dass sich einige Staaten in Europa einigen und dann andere auf etwas anderes verständigen, sondern dass in den Gremien in Brüssel an anderer Stelle gemeinsam auch tatsächlich Außenpolitik konzipiert wird. Die Vorstellung, wir könnten Europa einigen indem wir eine Konfrontation zu den Vereinigten Staaten von Amerika suchen, die geht mit Sicherheit schief. Es gibt viele Staaten in Europa, wenn die sich entscheiden müssen zwischen einer transatlantischen Einigung auf der einen Seite und
einer geschlossenen europäischen Haltung auf der anderen Seite, so werden die sich für das transatlantische Bündnis entscheiden, schon allein aus Sicherheitsinteressen. Allein die osteuropäischen Beitrittsländer, die alle demnächst Mitglied der Europäischen Union sein
werden, haben ihre eigene Geschichte, haben ihren eigenen historischen Hintergrund und die suchen in der europäischen Union sicherlich wirtschaftliche Zukunft. Aber sie brauchen auch aus der Erfahrung ihrer Geschichte heraus Sicherheit.

Frage: Aber jetzt nochmals zu den Kosten einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik. Das könnte im Klartext auch bedeuten, der Kanzler hatte das angedeutet, dann wieder halbwegs dementiert, eine Erhöhung des deutschen Rüstungsetats. Ist das eine Sache, mit der sich die Liberalen, die eigentlich in Sachen Staat, vor allem im Bezug auf Steuerpolitik, abrüsten wollen, einverstanden erklären könnten?

WESTERWELLE: Ja, das wäre auch vernünftig, denn wir Liberale sagen ja nicht, dass wir
den Staat infrage stellen, sondern wir wollen einen starken Staat, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert. Mindestens eine Kernaufgabe ist unsere äußere Sicherheit. Übrigens auch innere Sicherheit, ein gutes Bildungssystem, eine vernünftige Infrastruktur, das sind staatliche Hoheitsaufgaben, dafür muss natürlich genügend Steuergeld zur Verfügung
gestellt werden.

Wir haben konkrete Vorschläge gemacht, wie im Bundeshaushalt etwa 30 Milliarden Euro erwirtschaftet werden könnten durch entsprechende Umschichtungen. Dass das Wort Subventionsabbau überhaupt nicht mehr auftaucht bei dieser Bundesregierung, das spricht auch Bände. Oder auch dass Bürokratieabbau nicht mehr auftaucht, das sind alles Positionen, wo der Staat sparen könnte. Der Verteidigungsetat, also die Mittel für die Bundeswehr, sie müssen aufgestockt werden, wenn man das Konzept einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ernsthaft weiter verfolgen will, und das sollten wir aus historischem Interesse heraus. Auf der anderen Seite kann man auch der Bundeswehr nicht immer neue
Aufgaben international geben, aber unseren Soldaten gleichzeitig immer weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stellen.

Frage: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, setzten Sie auf die im Moment etwas angeschlagenen Nachkriegsinstitutionen, also Nato, EU, auch die Vereinten Nationen. Finden Sie denn die Idee eines national rotierenden festen Sitzes der Europäer im Weltsicherheitsrat, den Angela Merkel vorgeschlagen hat, Ihre Zustimmung?

WESTERWELLE: Ich begrüße außerordentlich, dass Angela Merkel sich dieser wirklich
langjährigen Forderung der Freien Demokraten angeschlossen hat, es waren ja liberale Außenminister wie Klaus Kinkel beispielsweise.....

Frage: ...er wollte doch den deutschen festen Sitz, nicht den europäischen?

WESTERWELLE: ...nein, das ist nun die jahrelange Haltung der Freien Demokraten, dass
wir der Überzeugung sind, dass Europa in den Vereinten Nationen mit einer Stimme sprechen sollte. Ich begrüße außerordentlich, dass übrigens nicht nur bei der Union, sondern auch bei Rot-Grün, mittlerweile manche sich doch dieser Haltung gegenüber den Vereinten Nationen anschließen, die ja Liberale geprägt haben.

Das muss man auch anerkennen, dass Liberale wie Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher, Klaus Kinkel vor vielen Jahren diese Grundlagen der deutschen Außenpolitik in der Einbettung Europas gelegt haben. Das soll auch anerkannt werden, und wenn diejenigen die heute handeln sich endlich diesen Visionen und Konzepten der liberalen Außenminister, die
das über Jahrzehnte vertreten haben, anschließen, ist uns das besonders herzlich willkommen. Ich glaube, dass ein gemeinsamer Sitz der Europäer im Weltsicherheitsrat sicher ein hervorragender Vorschlag ist, der seine Wurzeln bei den Liberalen hat.

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