21.03.2025FDPInnenpolitik

BUSCHMANN-Rede auf der Gedenkfeier für Gerhart Rudolf Baum

Der FDP-Generalsekretär Dr. Marco Buschmann MdB hielt auf der Gedenkfeier für Dr. h.c. Gerhart Rudolf Baum die folgende Rede. Es gilt das gesprochene Wort.

 

„Vita activa“ im Dienste der Freiheit

Liebe Renate Liesmann-Baum! 
Liebe Familie Schantz!  
Lieber Christian Lindner und lieber Karl-Heinz Paqué!
Liebe Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und lieber Konstantin Kuhle!            
Sehr geehrte Abgeordnete!      
Sehr geehrter Herr Richter des Bundesverfassungsgerichts, Thomas Offenloch!
Sehr geehrte Staatssekretärin Juliane Seifert!   
Sehr geehrter Herr Direktor beim Deutschen Bundestag, Michael Schäfer!
Sehr geehrte Herta Müller!
Sehr geehrte Trauergäste!         

 

1. Einleitung

Am 15. Februar 2025 ist Gerhart Rudolf Baum verstorben. An diesem Tag endete ein Leben, das nicht nur lang war, sondern voller Leidenschaft, voller Kämpfe, voller Siege und Niederlagen und das buchstäblich bis zum letzten Atemzuge voller Engagement war für die faszinierende Idee, die wir Liberalen die politische Freiheit nennen.

Keine Trauerrede kann dem Wirken und der Wirksamkeit dieses langen Lebens und erst recht nicht dem Mann, der es gelebt hat, wirklich gerecht werden. Alles, was wir nur versuchen können, ist, unseren Respekt auszudrücken und gemeinsam im Kreise seiner Familie, auch seiner politischen Familie, seiner Freunde und Bewunderer unsere Trauer und unseren Schmerz dadurch ein wenig zu lindern, dass wir uns an einige Momente dieses beeindruckenden Lebens gemeinsam erinnern.

Darauf eingestimmt haben uns die Musiker des Viatores Quartetts. Mozarts Stück mit der Nummer 465 im Köchelverzeichnis, das wir gerade gehört haben, hat die Zeitgenossen seines Komponisten sehr gefordert. Die vielen Dissonanzen, Vorhalte und chromatischen Stimmverläufe waren eine Herausforderung für die Hörgewohnheiten ihrer Entstehungszeit. So mancher Verleger wollte die Stimmführung glätten, damit es in den Ohren des Publikums ein wenig gefälliger klinge. Mancher Würdenträger wie der ungarische Fürst Grassalkowitsch hat die Noten zerrissen, nachdem er das Stück zum ersten Mal gehört hatte.

Das erinnert uns sofort an Gerhart Baum. Wenn er einen Gedanken für richtig hielt, dann hat er ihn stets so ausgesprochen oder so aufgeschrieben, wie er ihn für richtig hielt. Gut gemeinte Ratschläge, ob man die Dinge nicht auch gefälliger oder freundlicher sagen könne, blieben meist unerhört. Und wenn sich Würdenträger darüber echauffiert haben, dann hat das Gerhart Baum vermutlich nicht nur nicht geschreckt; es hat ihn vielleicht sogar ein bisschen gefreut. Denn dann konnte er sicher sein, einen wunden Punkt getroffen zu haben. Denn nur getroffene Hunde bellen.    

2. Hauptteil

Woher kam diese Lust an der Debatte, am öffentlichen Streit in der Sache? Ich glaube, man kann sagen, dass es die unbedingte Absage an jede Form der Diktatur und des Totalitarismus war, die unbedingte Absage an jede Form der Unfreiheit. Das ist aus der Biografie Gerhart Baums heraus nur allzu gut verständlich:

Er verlor seinen Vater, als dieser sich in russischer Kriegsgefangenschaft befand. Eine Folge des von Hitler verbrochenen Zweiten Weltkriegs. Mit seiner Mutter musste er aus dem zerbombten Dresden fliehen. Wohin Diktatur führt, hatte er bereits sehr früh bitterlich erfahren müssen.

Die Flucht aus Dresden führte den kleinen Gerhart Baum an den Tegernsee. Im dortigen Gymnasium kam er unter den Einfluss seines Lehrers Adolf Grote, einem ehemaligen Privatgelehrten mit großer Privatbibliothek aus dem Umfeld des Stefan-George-Kreises, dem auch der Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg angehörte. Und bald schon, so berichten es ehemalige Schulkameraden, hielt der Gymnasiast Gerhart Baum im Unterricht argumentativ dagegen, wenn dort Lehrer ihr altes nationalistisches Gedankengut an die nächste Generation weitergeben wollten.

*

1950 ging es dann nach Köln, in die Stadt, die ihm für das gesamte Leben, das vor ihm lag, Heimat werden sollte. Nach dem Abitur nahm er dort ein Studium der Rechtswissenschaften auf.

Den Studenten beeindruckte aber weniger juristische Fachliteratur als vielmehr der Roman Doktor Faustus des weltberühmten Dichters Thomas Mann. Darin geht es, wie der Literaturwissenschaftler Erich Heller schreibt, um den „Rückfall des hoch- und überentwickelten Geistes in archaische Primitivität“, also eine Allegorie über den Verfall der Kulturnation Deutschland unter dem Einfluss des Nationalsozialismus. Das, so war Baum klar, durfte nie wieder geschehen. Er schrieb dem Dichter und fragte ihn, ob Deutschland auf dem richtigen Wege sei. Dessen ermutigende Antwort veranlasste Gerhart Baum, in eine Partei einzutreten; in seine Partei: die FDP und deren Jugendorganisation, damals die Deutschen Jungdemokraten.

*

In der liberalen Familie brachte er sich mit seinen starken Meinungen ein und eckte an. Günther Verheugen hat eine typische Anekdote überliefert: 1960 verhandelte der Landesrat der Jungdemokraten NRW ein Ausschlussverfahren gegen Baum. Begründung: Er habe sich zu kritisch öffentlich mit einflussreichen Kreisen in der FDP-NRW angelegt. Chefankläger gegen Baum war übrigens: Burkhart Hirsch.

Das war doppelt typisch: Zum einen war Gerhart Baum nie bange, sich mit Autoritäten anzulegen. Streit ging er nie aus dem Wege, wenn er meinte, dass er geführt werden müsse.

Zugleich war es einfach, mit ihm zu streiten – und zwar mit ihm gemeinsam gegen andere oder mit ihm im Sinne von gegeneinander, solange es um Argumente ging. Wer gute Argumente hatte, dem hörte er gern zu, auch wenn er eine gänzlich andere Ansicht vertrat. Jedenfalls hat ihn der Streit mit dem Chefankläger Burkhart Hirsch von damals nicht davon abgehalten, viele Jahre später mit diesem quasi ein Dream Team der deutschen Bürgerrechte zu bilden.

Das Ausschlussverfahren hatte jedenfalls keinen Erfolg: im Gegenteil! Sechs Jahre später war Gerhart Baum Bundesvorsitzender der Deutschen Jungdemokraten.

*

Auf den Aufstieg dort folgte eine glänzende politische Karriere bei den Freien Demokraten: 1972 zog er über die Landesliste NRW in den Deutschen Bundestag ein. Der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher ernannte ihn sogleich zum Parlamentarischen Staatssekretär. Das erstaunte viele, wohl sogar Baum selbst.

Diese beiden „Ossis“, also den gebürtigen Hallenser Genscher und den gebürtigen Dresdner Baum, verband insbesondere ein Anliegen: Sie wollten sich nicht mit dem geteilten Deutschland abfinden und den Graben des Kalten Krieges zwischen beiden Teilen Deutschlands nicht immer tiefer ziehen. Die neue Ostpolitik war ihre Leidenschaft.

Dieses Anliegen teilten sie mit vielen ihrer Parteifreunde. Die FDP der sozial-liberalen Ära war geprägt von geflohenen Ostdeutschen, die den Traum und den Verfassungsauftrag der Wiedervereinigung nie aus den Augen verloren. Auch Burkhart Hirsch stammte aus Magdeburg. Und Wolfgang Mischnick, Gerhart Baums Fraktionsvorsitzender, der dieses Amt 23 Jahre lang ausübte, stammte aus Dresden.

Mit Genscher verband Baum aber noch mehr. Gemeinsam mit Peter Menke-Glückert beackerten sie aus dem Bundesministerium des Innern heraus das neue Feld der Umweltpolitik - viele Jahre, bevor es überhaupt eine Grüne Partei gab. Die programmatische Grundlage dafür war in den Freiburger Thesen, dem Grundsatzprogramm der FDP von 1971, gelegt worden.

*

In dieser legendären Programmschrift, auf die Gerhart Baum uns Jüngere immer und immer wieder hinwies, blitzte aber noch ein anderes Thema prominent auf, das ihm zum Lebensthema werden sollte: der Schutz des Individuums vor einem allzu mächtig werdenden Staat.

In der Sprache der Freiburger Thesen hörte sich das in etwa so an:

„Liberalismus nimmt Partei für Menschenwürde durch Selbstbestimmung. Er tritt ein für den Vorrang der Person vor der Institution. Er setzt sich ein für größtmögliche Freiheit des einzelnen Menschen und Wahrung der menschlichen Würde in jeder gegebenen oder sich verändernden politischen und sozialen Situation.“

Diese Freiheit des einzelnen Menschen galt es zu bewahren vor Bedrohungen, die aus gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Machtkonzentrationen folgen konnten, vor allem aber auch vor Bedrohungen, die von einem allzu mächtigen Staat stammten. Nicht umsonst hieß es in den Freiburger Thesen auch:

„1. Der Staat sind wir alle;          
2. Der Staat darf nicht alles.“

Das war für Gerhart Baum nicht graue Theorie, sondern politische Praxis. Sowohl als parlamentarischer Staatssekretär wie auch später als Bundesminister des Innern setzte er stets auf Verhältnismäßigkeit und Besonnenheit. Keinesfalls war er bereit, freiheitliche Substanz der Grundrechte zu opfern für einen, wie er es nannte, „Sicherheitswahn“. Lieber setzte er auf gut ausgestattete und professionell arbeitende Sicherheitsbehörden als die immer weiter gehende Einschränkung von Grundrechten, die meist in der Sache wenig brachten, aber viel Freiheit kosteten. Dieser Linie blieb er sein Leben lang treu.

*

Die sozial-liberale Koalition geriet 1982 in schweres Fahrwasser. Helmut Schmidt verlor den Rückhalt in seiner Partei bei der Außen- und Sicherheitspolitik. Die marktwirtschaftlichen Reformen, auf die Otto Graf Lambsdorff drängte, hatten dort ohnehin keinen Rückhalt. Und auch in der FDP rumorte es.

Zeitzeugen berichten, dass in den Gremien kaum mehr offen gesprochen werden konnte, weil alles durchgestochen wurde. Der damalige FDP-Generalsekretär Günther Verheugen offenbarte einmal, ihm habe ein Spiegel-Reporter verraten, dass man nicht nur ein oder zwei, sondern gleich fünf Informanten im FDP-Präsidium hatte.

Wenn die Führung einer Partei aber keinen Raum mehr hat, in dem man offen und vertraulich sprechen kann, dann ist es um die Gestaltungsfähigkeit schlecht bestellt. Das war damals so und wird auch immer so sein. Die Koalition ging ihrem Ende entgegen.

Gerhart Baum hat bis zum Schluss für ihren Erhalt gekämpft. Aber in der Bundestagsfraktion setzten sich Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff durch. In der historischen Debatte um die Wende von der sozial-liberalen zur christ-liberalen Koalition am 1. Oktober 1982 im Deutschen Bundestag ergriff Gerhart Baum als Stimme der Minderheit das Wort. Er sagte damals: „Ich meine, notwendige Kritik an Liberalen muss von diesen selber kommen. Auch dies, Herr Mischnick“, so hielt er seinem Fraktionsvorsitzenden öffentlich entgegen, „macht liberale Geschlossenheit aus, von der sie zu Recht gesprochen haben.“ Und weiter führte er aus:

„Denn ich bin der Meinung, was viele Menschen in diesem Lande bewegt, muss auch in diesem Parlament angesprochen werden, auch wenn es gegen die Mehrheit der eigenen Fraktion geht.“

So hat er es dann auch gehalten: im Parlament, aber auch außerhalb in Talk Shows, im Radio und auch in Zeitungen oder Büchern. Was er aus seiner Sicht für richtig hielt, das sagte gerade und offen heraus ohne Rücksicht darauf, was in seiner Partei oder der Öffentlichkeit allgemein gerade die Mehrheitsmeinung war.

Er sprach in dieser Rede auch von einem Konflikt zwischen der „Loyalität zum Vorsitzenden der liberalen Partei und der Loyalität zu der liberalen Politik“, die er in der Koalition aus SPD und FDP besser verwirklicht sah. Diese Loyalität hat er fortan immer zugunsten der liberalen Politik, wie er sie für richtig hielt, und eben im Zweifel zulasten von Vorsitzenden der liberalen Partei aufgelöst. Generationen von Bundesvorsitzenden können das bezeugen – anwesende sicher eingeschlossen.

Die Loyalität zu seiner Partei allerdings behielt Gerhart Baum immer bei. Auch als viele prominente Sozialliberale die FDP verließen, blieb er dem Motto treu: eine liberale Partei für alle Liberalen - und das war für ihn immer die FDP.

Auf dem FDP-Bundesparteitag im November 1982 in Berlin kandidierte er dann auch erneut als stellvertretender Bundesvorsitzender, um den Sozialliberalen weiterhin eine Stimme in der Parteiführung zu verleihen.

Die Kandidatur Gerhart Baums war nicht unumstritten. Sein Gegenkandidat hieß Werner Klumpp. Die Kampagnen um diese Kandidatur waren ein Lehrstück für die taktischen Paradoxien, die es in der Politik geben kann: Die sozialliberalen Jungdemokraten, die sich schon innerlich von der FDP entfremdet hatten, trommelten für Klumpp. Denn sie hofften, dass Gerhart Baum im Falle einer Niederlage aus der FDP austreten werde. Die frisch gegründeten und alles andere als sozialliberal eingestellten Jungen Liberalen trommelten dagegen für Baum. Denn sie wollten, dass die FDP die eine liberale Partei für alle Strömungen des Liberalismus bleibt.

Die Stimmzettel wurden ausgezählt: Gerhart Baum setzte sich durch - mit 176 zu 175 Stimmen. Mehrheit ist Mehrheit. Die Sozialliberalen hatten weiter Sitz und Stimme im Präsidium. Diese Aufgabe übte er von 1978 bis 1991 aus.

*

1992 kam es dann zu einem Beben in der Welt des organisierten Liberalismus. Hans-Dietrich Genscher trat nach über 23 Jahren als Bundesminister zurück, um selbstbestimmt aus der Politik auszuscheiden. Infolgedessen wurde Klaus Kinkel Außenminister. Dadurch wurde wiederum das Amt des Bundesministers der Justiz frei.

Gerhart Baums ehemaliger Widersacher aus Tagen der Jungdemokraten, der ihm mittlerweile zum Weggefährten in liberaler Mission und bei der Verteidigung der Bürgerrechte geworden war, die Rede ist von Burkhart Hirsch, hatte Ambitionen auf dieses Amt. Das roch einflussreichen Kreisen in der Bundestagsfraktion aber zu sehr nach Streit mit der CDU/CSU in der Innen- und Rechtspolitik. Daher meinten diese Kreise, es sei eine gute Idee, eine junge Frau aus Bayern gegen den älteren Herrn aus Nordrhein-Westfalen zu unterstützen.

Der Plan dieser Kreise ging irgendwie auf und doch irgendwie nicht. Zwar wurde eine gewisse Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zur Bundesministerin der Justiz ernannt. Aber Streit mit der CDU/CSU scheute sie im Amt nicht, wenn es um den Schutz der Grundrechte ging. Sie teilte mit Baum und Hirsch diese Lebensaufgabe. Fortan bildeten sie – und dem Wahl-Kölner Gerhart Baum hätte diese karnevalistische Metapher hoffentlich gefallen – das Dreigestirn des Grundrechtsschutzes: Gerhart Rudolf Baum, Burkhard Hirsch und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

*

1994 schied Gerhart Baum aus dem Bundestag aus. Zwar war er Elder Statesman. Aber seine Wut war noch jung auf alles Autoritäre, Rückwärtsgewandte und Freiheitsfeindliche. Daher setzte er sein Wirken für die liberale Sache als Rechtsanwalt fort. Wohl kaum ein anderer Beschwerdeführer oder Prozessbevollmächtigter hat im Wege der Verfassungsbeschwerde so viel für die Fortbildung der Grundrechtsdogmatik getan wie Gerhart Baum.

Im Jahr 2004 verwarf das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde von Baum, Hirsch und Leutheusser-Schnarrenberger hin den Großen Lauschangriff.

Ein ähnliches Schicksal ereilte 2006 große Teile des Luftsicherheitsgesetzes.

2008 war er dann gegen die Online-Durchsuchung im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz erfolgreich.

An der Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung schließlich durfte ich selbst – wie eine ganze Reihe von Anwesenden auch – mitwirken. Sie war 2010 erfolgreich.

2016 schließlich war die Verfassungsbeschwerde gegen das BKA-Gesetz erfolgreich.

Was für eine Erfolgsgeschichte für die Freiheit!

*

Freiheit ist für Gerhart Baum immer ein universelles Prinzip gewesen. Deshalb setzte er sich nicht nur für die Verteidigung der deutschen Grundrechte, sondern auch weltweit für die Menschenrechte ein. Sechs Jahre lang leitete er die deutsche Delegation bei der UN-Menschenrechtskommission und war für die UNO unter anderem als Beauftragter für die Menschenrechte im Sudan tätig.

*

Ein Thema, das Gerhart Baum in den letzten Jahren sehr umgetrieben hat, waren die Gefahren für die individuelle Freiheit, die aus dem Raum des Digitalen stammen.

In dem Sammelband „Reclaim Autonomy“ von 2017 spürte er „den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Verlust der Menschenwürde“ nach. Diesen Sammelband schenkte er mir, nachdem ich als technik- und innovationsbegeisterter Wahlkampfleiter im gleichen Jahr den Slogan „Digital first. Bedenken second.“ hatte plakatieren lassen. Die Botschaft hatte ich sofort verstanden.

Heute leben wir in einer Zeit, in der die Industriekapitäne des US-Datenkapitalismus nach unmittelbarer Macht im Staat greifen. Es droht eine Art High-Tech-Feudalismus, in dem wirtschaftliche und politische Macht in einer Hand zusammenfallen. Hier müssen die Alarmsirenen aller Verteidiger der Freiheit laut aufheulen. Auch hier hat Gerhart Baum die richtige Intuition für Freiheitsgefahren bewiesen.

*

Gerhart Baum hatte Vorfahren in Russland und in der Ukraine. Daher ließen ihn in der letzten Phase seines Lebens die Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine nicht los. Mit einem Team von Anwälten sammelte er Beweise und reichte sie beim Generalbundesanwalt ein, damit dieser Ermittlungen auf der Basis des Weltrechtsprinzips einleitet.

*

Das Grauen des Zweiten Weltkrieges aus seiner Jugend und das Grauen der russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine führen uns zu einem Gedanken von Karl Popper, den Gerhart Baum in seinem Buch „Rettet die Grundrechte“ zitiert. Er lautet:  

„Wir können wieder zu Bestien werden. Aber wenn wir Menschen bleiben wollen, dann gibt es nur einen Weg, den Weg in die offene Gesellschaft.“

Und das Prinzip dieser offenen Gesellschaft, das war das Anliegen von Gerhart Baum, ist die individuelle Freiheit. Sie ist nicht Ausdruck von Egoismus, Starrsinn oder Eigennutz. Individuelle Freiheit ist objektive Bedingung einer demokratischen und menschenwürdigen Gesellschaft. Das ist die Botschaft, für die Gerhart Rudolf Baum sein ganzes Leben lang gekämpft hat. 

3. Schluss: Vita activa

Gerhart Baum mochte noch ein anderes Zitat. Es stammt von Hannah Arendt: „Wir sind frei geboren, um frei zu sein.“ Jedenfalls hat er darauf in seiner Rede im Deutschen Bundestag anlässlich der Feierstunde für 75 Jahre Deutscher Bundestag Bezug genommen.

Eines der Hauptwerke dieser Philosophin der Freiheit trägt den Titel „Vita activa“. Darin beschreibt sie, dass Handeln immer auch bedeute, sich in die Öffentlichkeit einzubringen, dass es auch um „das Finden des rechten Wortes im rechten Augenblick“ geht und dass der freie Mensch immer auch mehr tut, als nur seine ökonomische Existenz zu sichern.

In diesem Sinne war Gerhart Rudolf Baum das Vorbild eines freien Menschen, der eine Vita activa gelebt hat. Wir werden ihm immer ein ehrendes Andenken bewahren.

Social Media Button