04.05.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Rheinische Post"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Rheinischen Post" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte DR. MARGARETE VAN ACKEREN und STEFAN REKER:

Frage: Sie rügen Klassenkampfdiskussionen á la Müntefering, aber haben sofort dessen Ton aufgenommen und Ihrerseits DGB-Funktionäre als "Plage" bezeichnet!

WESTERWELLE: Ich habe auf eine entsprechende Frage geantwortet, daß ich das Problem nicht in Investoren sehe, die hier Arbeitsplätze schaffen, sondern in Gewerkschaftsfunktionären, die mit ihrer Politik seit Jahrzehnten Hunderttausende von Arbeitsplätzen mit auf dem Gewissen haben. Wir wollen die Arbeitnehmer vor diesen Funktionären schützen. Wenn Herr Bsirske wegen 18 Minuten mehr Arbeitszeit im sicheren öffentlichen Dienst Streiks und Arbeitsniederlegungen ankündigt, dann muß das kritisiert werden können, und zwar in klarer, deutlicher Sprache. Dieselben Gewerkschaftsfunktionäre, die Herrn Müntefering Beifall klatschen, reagieren wie Mimosen, wenn sie selbst kritisiert werden.

Frage: Hat Müntefering nicht Fragen aufgeworfen, die viele bedrücken?

WESTERWELLE: Es ist unstreitig, daß es in allen Berufsgruppen schwarze Schafe gibt in der Wirtschaft genauso wie in den Medien oder auch in der Politik. Die Frage ist doch, ob man deswegen Arbeitsplätze gefährdet, indem man Investoren abschreckt. Die alte Linke, die Franz Müntefering gewinnen will, bewirft ihn jetzt mit Eiern. Die "neue Mitte" hat er verloren.

Frage: Also können Sie sich bei Müntefering nur bedanken?

WESTERWELLE: Wir halten jedenfalls Kurs. Herr Müntefering wollte den Arbeitsplatz von Herrn Steinbrück retten und riskiert dafür die Arbeitsplätze von vielen tausend Menschen gefährdet. Herrn Müntefering in eine Reihe mit den Nazis zu stellen, halte ich für ebenso unhistorisch wie verletzend. Das geht zu weit.

Frage: Zum Bundesparteitag will die FDP die Renaissance als Bürgerrechtspartei feiern. Denken Sie wirklich, Sie erreichen mit der Union mehr erreichen als die Grünen bei der SPD?

WESTERWELLE: Der aktuelle Abbau der Bürgerrechte ist größer als in der Zeit der Notstandsgesetze in der Großen Koalition. Das Bankgeheimnis ist praktisch aufgehoben. Wir haben eine dramatische Zunahme von Abhöraktionen, ohne daß klar wäre, wo dies wirklich mehr Sicherheit bringt. Im Extremfall kann in Deutschland eine voll besetzte Passagier-Maschine abgeschossen werden. Was tun die Grünen denn? Sie arbeiten sich mit diesem minderheitenfeindlichen Anti-Diskriminierungsgesetz ab, das noch mehr Bürokratie bringt. Herr Schily (SPD) und Herr Beckstein (CSU) sind siamesische Zwillinge im Geiste, wenn es um die Beschneidung von Bürgerrechten geht. Wir sind dagegen, daß die DNA-Analyse bei jedem Kleinst-Delikt bis hinunter zum Kaugummi-Diebstahl eines Jugendliche erhoben wird. Zumal der genetische Fingerabdruck auch einiges über gesundheitliche Veranlagungen aussagt und damit große Mißbrauchsgefahren birgt. Es geht um Maß, Mitte und Verhältnismäßigkeit.

Frage: Glauben Sie, die Union übernimmt Ihre Vorstellungen zur Gentechnik?

WESTERWELLE: Die Bio- und Gentechnologie wird die Welt ähnlich verändern wie die industrielle Revolution oder der Computer. An dieser Schlüsseltechnologie stellt sich die entscheidende Wohlstandsfrage für unser Land. Deshalb wird die FDP in einer neuen Regierung mit aller Kraft auf eine Kursänderung hinarbeiten. Wenn wir hier nicht die Kehrtwende schaffen, bedeutet dies, daß wir international den Anschluß verlieren. Wenn wir nicht billiger sein können, müssen wir besser sein.

Frage: Was bedeutet das für Stammzell- und das Embryonenschutzgesetz?

WESTERWELLE: Selbstverständlich sind die Gesetze in der heutigen Form nicht zu halten. Allein schon deshalb nicht, weil wir mit der Bio- und Gentechnik Krankheiten heilen können. Es gibt eine Ethik des Helfens und des Heilens. Es ist unmoralisch, daß wir als Nation nicht unseren Beitrag leisten wollen, schwerste Krankheiten besser zu bekämpfen und Leid zu lindern. Nicht diejenigen, die sich gegen diese technologische Innovation stellen, haben die Moral auf ihrer Seite, sondern die, die mit dem Fortschritt das Leben der Menschen leichter machen wollen.

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