05.05.2003FDP

WESTERWELLE-Interview für Ring Nordbayerischer Tageszeitungen:

Beginn des Sterbens von Rot-Grün

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende Dr. GUIDO WESTERWELLE gab dem Ring Nordbayerischer Tageszeitungen (Montag-Ausgaben) das folgende Interview. Die Fragen stellte ELMAR SCHATZ.

Frage: Herr WESTERWELLE, die Appelle von Kanzler SCHRÖDER und SPD-Fraktionschef MÜNTEFERING an die SPD klingen immer dramatischer. Muss der Bürger nicht glauben, dass Rot-Grün über die Agenda 2010 stürzt?

WESTERWELLE: Das Beste wäre für dieses Land, wenn es möglichst bald Neuwahlen gäbe. Eine Regierung, die nur noch in der Lage ist, die eigenen Reihen mit einer Rücktrittsdrohung zu disziplinieren und nicht mehr mit Überzeugungsarbeit, die ist ohnehin innerlich ausgehöhlt. Wir erleben gerade den Beginn des Sterbens von Rot-Grün.

Frage: Würden Sie kompakt zusammenfassen, worum es der FDP bei den Reformen geht?

WESTERWELLE: Von hundert Vorschlägen in der Agenda 2010 sind mehr als die Hälfte nichtssagend, vielleicht 40 eher schädlich. Aber es sind auch solche darunter, die sind vernünftig. Wenn beispielsweise die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe, die wir selbst als FDP Jahre lang gefordert haben, jetzt von SCHRÖDER vorgeschlagen wird, soll es uns recht sein. Wenn beispielsweise derjenige, der vom Staat Leistungen erhält, künftig, sofern er gesundheitlich dazu in der Lage ist, zur Gegenleistung verpflichtet wird, so sind wir als Liberale für diese Forderung oft genug beschimpft worden. Die FDP wird, wenn Herr SCHRÖDER diese wenigen Schritte in die richtige Richtung machen will, ihn dabei unterstützen. Er muss sich also nicht von den Linken in der
Koalition und den Gewerkschaftsfunktionären erpressen lassen.

Frage: Fürchten sie nicht, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, Sie würden sich der SPD andienen?

WESTERWELLE: Nein, denn das Volk will keinen Stillstand aus parteipolitischen, fundamentalen Interessen heraus. Das Volk will, dass für das Land das Richtige getan wird. Als Oppositionspolitiker bin ich der Überzeugung, dass wir keinem jungen Menschen mit 16 Jahren sagen können: Komm in vier Jahren noch mal wieder, wenn 2006 vielleicht die regulären Wahlen stattgefunden haben und es dann einen Regierungswechsel gibt. Ich bin als FDP-Vorsitzender auch nicht bereit, einem 56-Jährigen zu sagen, der in dieser Wirtschaftslage kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat, er solle bitte mit 61 noch mal

wiederkommen. Das ist unverantwortlich. Erst kommt das Land, und dann kommen eigene, parteitaktische Interessen.

Frage: Welche Verbesserungen fordern Sie in der Bildungspolitik?

WESTERWELLE: Wichtig ist vor allem die Verkürzung der Ausbildungszeit.
Dass Deutschland bei Studenten ein durchschnittliches Berufseintrittsalter von 28 Jahren hat, dass aber die jungen Franzosen und Briten mit 23, 24, 25 Jahren in den Beruf kommen, ist eine dramatische Benachteiligung unserer jungen Generation. Übrigens könnten durch
Vorverlegung des beruflichen Eintrittsalters um ein Jahr allein die Rentenbeiträge um etwa ein Prozent gesenkt werden. Eine Kultusministerkonferenz - leider auch nicht mit rühmlicher Rolle der bayerischen Schulministerin -, die die Rechtschreibreform wichtiger nimmt als die Verkürzung der Ausbildungszeiten, die gehört strukturell entmachtet durch eine neue Autonomie der Schulen, Hochschulen und berufsbildenden Einrichtungen.

Frage: Was müsste zu Gunsten der ohne eigene Schuld in Not Geratenen, wie zum Beispiel der Pflegebedürftigen, geändert werden?

WESTERWELLE: Es ist doch schlichtweg eine Sauerei, dass in einem der reichsten Länder der Welt bei den wirklich Bedürftigen der Mangel verwaltet wird, und dass Andere, die etwas leisten könnten aber nicht wollen, sich auf Kosten des Staates einen lauen Lenz machen. Deswegen möchte ich, dass das Geld, das wir haben, an die Bedürftigen geht und nicht an die
Findigen. Die Schwachen müssen vor den Faulen ebenso geschützt werden wie vor den Starken. Das erreichen wir nur, indem wir jede Leistung des Staates an die Bereitschaft zur Gegenleistung an die Gesellschaft koppeln.

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