08.05.2003FDP

WESTERWELLE-Interview für "Die Welt"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der Tageszeitung "Die Welt" (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte DR. ARNE DELFS.
Frage: Herr Westerwelle, Sie gelten nicht gerade als Freund der Gewerkschaften. Nun zeigt auch deren Bündnis mit Bundeskanzler Schröder erste Risse. Formiert sich da eine Allparteien-Allianz gegen die Gewerkschaften?
WESTERWELLE: Ich habe nichts gegen Gewerkschaften. Aber ich habe etwas gegen Gewerkschaftsfunktionäre, die die Interessen der Arbeitslosen und ihrer eigenen Mitglieder so nachhaltig verraten. Wenn jetzt auch andere Parteien die Notwendigkeit sehen, die Entmachtung der Gewerkschaftsbosse voranzutreiben, dann ist das eine Bestätigung der
Kritik der FDP.
Frage: Zwischen Ihnen und DGB-Chef Sommer ist es vor kurzem zu einem heftigen Streit gekommen. Wären Sie zu einem Aussöhnungsgespräch bereit?
WESTERWELLE: Persönlich habe ich nichts gegen Herrn Sommer. Ich glaube nur, dass die Gewerkschaftsfunktionäre die Totengräber unseres Sozialstaats sind und unser Land wirtschaftspolitisch an die Wand fahren. Frau Engelen-Kefer und Herr Bsirske sind ja
längst keine Vertreter von Arbeitnehmerinteressen mehr. Wer mit absurden Argumenten gegen die notwendigen Reformen angeht, ist mein Gegner.
Frage: Mit dieser Haltung dürften Sie die FDP für Gewerkschaftsmitglieder nicht unbedingt attraktiver machen...
WESTERWELLE: Wir haben am 1. Mai in Berlin einen Gegenkongress der wirtschaftlichen und sozialen Vernunft mit einigen hundert Teilnehmern gemacht. Seitdem habe ich Dutzende von Briefen und e-mails erhalten, übrigens auch von Gewerkschaftlern und einigen prominenten Sozialdemokraten, die nicht länger mit ansehen wollen, wie die Gewerkschaftsfunktionäre den Deutschen Bundestag unterwandern. Wenn über 70 Prozent der SPD-Abgeordneten ihr Mandat als Gewerkschaftsmitglied bekommen haben, dann ist der im Grundgesetz angelegte Interessenausgleich der Tarifparteien faktisch außer Kraft gesetzt.
Frage: Angesichts des Reformstreits in der SPD haben Sie der rot-grünen Koalition ein baldiges Ende prophezeit. Gleichzeitig haben Sie Bundeskanzler Schröder ihre Unterstützung bei der Umsetzung seiner Agenda 2010 angeboten. Widerspricht sich das nicht?
WESTERWELLE: Ich habe kein frühes Ende von Rot-Grün prophezeit. Ich glaube nur, dass wir den Beginn des Sterbens von Rot-Grün in diesen Tagen erleben. Natürlich wird sich Herr Schröder auf dem Sonderparteitag am Ende durchsetzen. Aber er weiß auch: Abermals wird er seine Partei mit einer Rücktrittsdrohung kaum disziplinieren können. Eine zweite Patrone hat er nicht im Colt. Und das nächste Problem kommt bestimmt.
Frage: Auch die Union hat sich mittlerweile auf ein Reformkonzept geeinigt. Mit welcher der beiden großen Parteien könnten die Liberalen ihre eigenen Vorstellungen am ehesten umsetzen?
WESTERWELLE: Beide großen Volksparteien zeigen ein Stückchen Bewegung. Mit einer gewissen inneren Genugtuung nehme ich zur Kenntnis, dass für das, was jetzt von Union und SPD ansatzweise diskutiert wird, ich im vergangenen Sommer noch als neo-liberaler Turbokapitalist beschimpft wurde. Doch beide Konzepte von Union und SPD können nur der Anschub für eine Reformpolitik sein. Das Angebot der FDP, bei der Abstimmung über die Agenda 2010 für eine Mehrheit der Vernunft zu sorgen, soll lediglich dazu dienen, dass sich Herr Schröder von den SPD-Linken und den Gewerkschaftsbossen nicht erpressen lassen muss. Das ist eine Anschubhilfe, damit es weiter geht mit der Reformpolitik. Aber Union und SPD fehlt die Kraft, ans Eingemachte zu gehen. Ich appelliere an beide Parteien, nicht bei den beginnenden Trippelschrittchen stehen zu bleiben, sondern sich mit Mut an die Liberalisierung der starren Flächentarifvertragssysteme heranzuwagen.
Frage: Sollte Rot-Grün tatsächlich zerbrechen, käme aller Voraussicht nach die Große Koalition. Das heißt, machtpolitisch spielt die FDP derzeit überhaupt gar keine Rolle...
WESTERWELLE: Zunächst einmal ist es außerordentlich erfreulich, wenn unsere Botschaft der marktwirtschaftlichen Vernunft nun allmählich auch bei den anderen Parteien ankommt - wenn auch nur in sehr abgeschwächter Form. Sollte Rot-Grün vor der Zeit platzen, dann gibt es Neuwahlen. Eine Große Koalition wird es nicht geben. Dessen bin ich mir nach vielen Gesprächen mit Frau Merkel und Herrn Stoiber sicher. Ich halte es in der Tat zum ersten Mal für möglich, dass es ähnlich wie 1982 zu einer so nachhaltigen Erosion in den Koalitionsparteien kommt, dass Neuwahlen die wahrscheinlichste Variante wären.

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