22.02.2003FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Neue Osnabrücker Zeitung"

WESTERWELLE-Interview für die "Neue Osnabrücker Zeitung"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte HANS BRINKMANN.

Frage: Herr Westerwelle, befindet sich die Bundesregierung im Irak-Konflikt seit dem EU-Gipfel auf richtigem Kurs? Oder haben Sie Zweifel, nachdem Kanzler Schröder die Androhung von Gewalt als letztes Mittel bereits wieder relativiert hat?

WESTERWELLE: Die Bundesregierung hat in Brüssel die richtige Erklärung unterstützt. Die europäischen Staaten haben auf dem Sondergipfel exakt das beschlossen, was die FDP seit Wochen und Monaten bei der Regierung angemahnt und was Rot-Grün als kriegstreiberisch diffamiert hat. Wenn man den irakischen Diktator entwaffnen will ? und das müssen wir auch im eigenen Sicherheitsinteresse-, dann geht das nicht über gute Worte, sondern nur mit entsprechendem Druck. Dass der Bundeskanzler davon schon wieder abrückt, ist unseriös. Ich fordere Gerhard Schröder auf, den Beschluss der Europäischen Union in den Weltsicherheitsrat einzubringen und dort aktiv zu vertreten.

Frage: Halten Sie in einer solch wichtigen Angelegenheit wie dem Irak-Konflikt nicht einen umfassenden Informationsaustausch und eine engere Kooperation zwischen Regierung und Opposition für notwendig ? etwa in einem nationalen Krisenrat wie einst bei der Terrorismusbekämpfung?

WESTERWELLE: Ja, das halte ich für notwendig. Die Regierung muss endlich begreifen, dass sie den Konsens in der Außenpolitik nicht fordern kann, wenn sie die Opposition in keiner Weise einbindet und informiert. Nach dem 11. September hat dies hervorragend funktioniert; die Regierung hat damals die Oppositionsparteien nicht nur regelmäßig informiert, sondern auch konsultiert. Seit dem Bundestagswahlkampf herrscht nun in der Außenpolitik totale Funkstille seitens der Bundesregierung gegenüber der Opposition. Während wir früher regelmäßig im Kanzleramt zusammen trafen, um uns auch gemeinsam auf Linien zu verabreden, gibt es jetzt überhaupt keinen Gesprächswunsch mehr seitens des Kanzlers. Das bedaure ich nachdrücklich. Gerhard Schröder handelt hier wie ein Parteipolitiker, aber nicht wie ein Kanzler, der an Konsens in der Außenpolitik interessiert sein müsste.

Frage: Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist schwer beeinträchtigt. Wie lässt sich die Zusammenarbeit verbessern, welche Initiativen sollten hier von deutscher Seite ergriffen werden?

WESTERWELLE: Der Bundeskanzler hätte schon längst nach Washington reisen müssen, um eine atmosphärische Entspannung zwischen unseren Ländern zu erreichen. Und er muss dafür sorgen, dass bei allen Meinungsverschiedenheiten, die es zwischen souveränen Regierungen immer mal geben wird, der Grundkonsens nicht durch eine permanente Aufrüstung der Worte beschädigt wird. Äußerungen aus der Bundesregierung wie die des grünen Umweltministers Trittin, dass es den USA nur um Geschäftsinteressen und nicht um eine werteorientierte Politik gehe, wurden in den Vereinigten Staaten zu Recht als Beleidigung empfunden.

Frage: Zur Innenpolitik: Durch den Irak-Konflikt werden die innerdeutschen Probleme ?vom Arbeitsmarkt über die Finanzen bis hin zu Gesundheit und Rente- überdeckt. Trauen Sie Rot-Grün eine Lösung zu oder wird die Regierung das Ende dieser Legislaturperiode nicht erreichen?

WESTERWELLE: Bisher habe ich damit gerechnet, dass die Regierung die ganze Legislaturperiode im Amt bleibt, aber mittlerweile schließe ich nicht mehr aus, dass sie vorher auseinander fliegt. Das Klima innerhalb der Koalition ist von Eiseskälte gekennzeichnet; die Risse quer durch die Parteien in der Wirtschafts- und Finanzpolitik sind ja mittlerweile offensichtlich. Eigentlich müsste jetzt dringend eine Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung betrieben werden mit Steuersenkungen, Entbürokratisierung und Flexibilisierung des Arbeitsrechts, aber das traue ich dieser Regierung nicht mehr zu. Auch den erwägenswerten Worten von Wirtschaftsminister Clement sind bislang keine Taten gefolgt; der sogenannte Superminister wird regelmäßig von der SPD-Fraktion zurück gepfiffen.

Frage: Am Rosenmontag wird im Kanzleramt ein neuer Anlauf unternommen, um doch noch ein ?Bündnis für Arbeit? zustande zu bringen. Geben Sie dem eine Chance, und was müsste ein solches Bündnis aus Ihrer Sicht leisten?

WESTERWELLE: Ich gebe dem Bündnis für Arbeit keine Chance, solange die Gewerkschaftsfunktionäre sich als Betonköpfe der Nation erweisen. Die Gewerkschaftsführer benehmen sich wie Sonnenkönige der Verkrustung; sie lehnen sogar Arbeitgeberinitiativen ab, die eine Ausbildungsplatzgarantie vorsehen. Das wichtigste Anliegen muss sein, die Verfilzungen zwischen Politik und Gewerkschaftsfunktionären zu beseitigen. Die Gewerkschaften müssen entmachtet werden, damit es wieder eine fortschrittliche Politik geben kann ? und zwar zugunsten einer neuen Autonomie in den Betrieben. Wenn 75 Prozent einer Belegschaft sich mit der Unternehmensführung auf etwas verständigen will, dann dürfen das Gewerkschaftsfunktionäre, die ihr Weltbild offenbar im 19. Jahrhundert geprägt haben, nicht verhindern können.

Frage: Sie haben kürzlich im Zusammenhang mit Gewerkschaften sogar von einer ?Plage? gesprochen. Halten Sie diese Kritik aufrecht? Sehen Sie sich sogar bestärkt durch die Kritik, die DGB-Chef Sommer und Verdi-Vize Mönig-Raane jetzt an Arbeitsamtchef Gerster geübt haben?

WESTERWELLE: Ich sehe mich voll bestätigt in meiner Einschätzung, dass die Gewerkschaftspolitik derzeit eine Plage für unser Land ist. Funktionäre wie Frau Mönig-Raane und der grüne Verdi-Chef Bsirske sind die Totengräber des Sozialstaates und des Wohlstandes in unserem Land. Sie machen keine Politik mehr zugunsten von Arbeitsuchenden und Arbeitnehmern, sondern nur noch zugunsten einer Besitzstandswahrung von Gewerkschaftsfunktionären. Dass das Wort Plage nach Auffassung von Gewerkschaftern in der deutschen Politik nicht verwendet werden kann, wundert mich sehr: Es ist doch ein biblischer Begriff.

Frage: In der Frage der Zuwanderung hat sich die FDP von der Union abgegrenzt und eine betont eigenständige Position bezogen. Kann es überhaupt noch eine gemeinsame Linie mit der CDU, die ja Hauptbündnispartner der Liberalen in den Ländern ist, geben? Was streben Sie konkret an?

WESTERWELLE: Die naive, multikulturelle Politik von Rot-Grün bringt uns nicht weiter. Aber auch die Union, die Zuwanderung überhaupt nicht will, redet an der Wirklichkeit vorbei. Beide Seiten, sowohl die Konservativen als auch Rot-Grün, müssen ideologisch abrüsten. Wir Liberale plädieren für eine geregelte und gesteuerte Zuwanderung, die sich an unserem wohlverstandenen nationalen Interesse und der verbindlichen Verpflichtung zur Integration zum Beispiel durch das Erlernen der deutschen Sprache ausrichtet. Diese vernünftige, rationale Linie empfehle ich als überparteilichen Konsens. Unser gewachsenes Gewicht im Bundesrat nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen ist für uns Liberale Auftrag, als Scharnier der Vernunft zu wirken.

Frage: Das heißt, die FDP will künftig über ihre Regierungskoalitionen im Bundesrat stärker mitreden?

WESTERWELLE: Vor zwei Jahren hatten wir noch 55 Landtagsabgeordnete, jetzt sind es 110. Wir sind in fünf Landesregierungen vertreten. Wenn es gelegentlich heißt, die Union habe im Bundesrat eine Mehrheit, dann weise ich in aller Demut und Bescheidenheit darauf hin: nicht ohne die FDP.

Frage: Bei den kommenden Landtagswahlen in Bremen und Bayern könnte die FDP allerdings in die Bedeutungslosigkeit zurück fallen. In Bremen wird erneut eine große Koalition angestrebt; in Bayern steht die CSU wieder vor der absoluten Mehrheit. Fürchten Sie einen Einbruch, und wie wollen Sie das verhindern?

WESTERWELLE: So etwas hat man vor der Niedersachsen-Wahl auch gesagt. Nachdem wir da neun Jahre nicht im Landtag vertreten waren, hat es geheißen: Das schafft die FDP nie und nimmer. Es wurde dann das beste Ergebnis für die Freien Demokraten seit 40 Jahren. In den beiden letzten Jahren haben wir in neun Wahlen in Folge gewonnen und zugelegt. Ich bin sicher, dass dieser anhaltende Substanzgewinn für die FDP auch in Bayern und Bremen für soviel Zulauf sorgen wird, dass es reicht. In Bremen wäre im Übrigen ein Bündnis der ökonomischen Vernunft mit der FDP der jetzigen großen Koalition weit überlegen.

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