19.05.2003FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Fuldaer Zeitung"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Fuldaer Zeitung" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte BERND LOSKANT:
Frage: Herr Westerwelle, bei den Vorstandswahlen bekamen Sie diesmal zehn Prozent weniger Zustimmung als noch vor zwei Jahren, als sie 90 Prozent der Stimmen erhielten. Können Sie sich über das Ergebnis uneingeschränkt freuen?

WESTERWELLE: Ich freue mich außerordentlich. 80 Prozent Zustimmung empfinde ich nach den Ereignissen der letzten Monate als große Rückendeckung. Das Wahlergebnis liegt im übrigen im oberen Korridor der Ergebnisse, die meine Vorgänger auf Bundesparteitagen bekommen haben.

Frage: Ihr Stellvertreter Rainer Brüderle hat gesagt, er rechne an der FDP-Spitze mit einer langen Ära Westerwelle. Wollen Sie in dem Job alt werden?

WESTERWELLE: (lacht) Da könnte Rainer Brüderle sogar recht haben. Klar ist: Ich habe die feste Absicht, die FDP in die nächste Bundestagswahl zu führen, wann immer sie stattfindet, und den Regierungswechsel gegen Rot-Grün zu organisieren.

Frage: Gegen ihre Stellvertreter Walter Döring und Andreas Pinkwart sowie gegen Generalsekretärin Cornelia Pieper hatten die Delegierten erhebliche Vorbehalte. Speziell Döring wurde regelrecht abgestraft. Warum auf einmal dieser Liebesentzug?

WESTERWELLE: Dass es nach den schwierigen letzten Monaten auf einem Parteitag auch mal im Karton rappelt, das ist doch normal. Die Rangelei zwischen beiden um den besseren Stellvertreterplatz war wenig hilfreich. Die Delegierten haben mit ihrem Votum gezeigt, was sie davon gehalten haben. Aber um das mal klarzustellen: Die Wahlergebnisse müssen einfach auch mit den Maßstäben einer liberalen Partei betrachtet werden. Wir sind keine Kaderpartei. Bei uns gibt es keine sozialistischen Wahlergebnisse. Bei uns wird ehrlich gewählt und nicht mit 99,9 Prozent für die Öffentlichkeit.

Frage: Eigentlich ist es doch ein Widerspruch: Sie fordern angesichts der Probleme des Landes Neuwahlen, gleichzeitig bieten sie der Bundesregierung Unterstützung bei der Verabschiedung der ?Agenda 2010? an. Wenn Sie der SPD helfen, können Sie Neuwahlen doch vergessen, oder?

WESTERWELLE: Wir unterstützen nur das, was vernünftig ist. Aber: Ich kann einem jungen Menschen, der eine Lehrstelle sucht, doch nicht sagen: ?Komm? in vier Jahren noch mal, wenn wir an der Regierung sind und die bessere Politik machen.? Die Jugendlichen brauchen jetzt eine Chance, genau so wie ein Mitte 50-Jähriger, der durch die rot-grüne Politik auf dem Arbeitsmarkt allmählich zum alten Eisen gestempelt wird. Ich verstehe unsere Verantwortung so, dass wir Abgeordnete des ganzen Volkes sind. Für uns kommen zunächst einmal die Interessen der Menschen, die Interessen des Landes, dann kommt lange, lange nichts, und dann kommen erst parteitaktische Überlegungen.

Frage: Wenn die FDP eine so anständige Partei ist und die Menschen im Land ? wie Sie sagen ? viel reformbereiter sind als viele Politiker: Warum schlägt sich das nicht in den Umfragen nieder, wo die FDP nicht von der SPD-Krise profitieren kann, sondern bei sechs Prozent dümpelt?

WESTERWELLE: Wir haben in den vergangenen Monaten nicht immer den besten Eindruck gemacht. Das Kapitel des Aufräumens ist allerdings abgeschlossen. Jetzt schauen wir nach vorn. Der Parteitag in Bremen ist für die Partei ein Neuanfang. Außerdem bitte ich auch zu bedenken, wo die FDP vor drei, vier Jahren stand: Wir haben jetzt bei zehn Wahlen in Folge zugelegt. Die Ergebnisse waren nicht immer so, wie wir sie uns erhofft haben. Aber es waren für die FDP teilweise die besten Ergebnisse seit Jahrzehnten. Das hat seinen Grund natürlich auch darin, dass sich jetzt angesichts der Probleme im Land zeigt, wie richtig wir mit unseren Antworten liegen. Allen Beschimpfungen durch die anderen Parteien, wir seien Turbokapitalisten, zum Trotz: Immer mehr Menschen erkennen, dass die FDP mit ihrer Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung recht hat.

Frage: Ihre Generalsekretärin fordert, die Sozialpolitik zum Markenzeichen liberaler Politik zu machen. Und wenn man Sie hier in Bremen so reden hörte, glaubte man, die FDP sei plötzlich zur Anwältin der Arbeitslosen avanciert. Haben Sie eine neue Zielgruppe entdeckt?

WESTERWELLE: Die FDP ist eine Partei, die von Wirtschaft anerkanntermaßen viel versteht und die sich massiv für den Mittelstand einsetzt. Das ist viel zu oft als Klientelpolitik bezeichnet worden. Den Mittelstand zu stärken heißt, mehr Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze zu schaffen. Weil der Mittelstand das Rückgrat unserer Wirtschaft in Deutschland ist, ist Mittelstandspolitik die beste Form von Arbeitnehmerpolitik. Deshalb sind wir die eigentliche Lobby der Arbeitslosen in Deutschland.

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