15.05.2003FDP

WESTERWELLE-Interview für den "Reutlinger General-Anzeiger"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Reutlinger General-Anzeiger" (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte REINER APP:
Frage: Am Wochenende kommt die FDP zum Bundesparteitag zusammen. Keines Ihrer ehrgeizigen Ziele wurde erreicht. Macht Ihnen die düstere Bilanz Sorge?

WESTERWELLE: Unsere Bilanz ist außerordentlich positiv: Die letzten beiden Jahren waren die besten Jahre für die FDP seit der deutschen Einheit. Wir haben bei zehn Wahlen in Folge hinzugewonnen und sind wieder in neun Landtagen und in fünf Landesregierungen vertreten. Aber es ist richtig, dass wir einiges nicht erreicht haben, was wir uns vorgenommen haben. Und im Rückblick auf die Bundestagswahl räume ich ein, dass auch ich Fehler gemacht habe.

Frage: Braucht die FDP einen strategischen Neuanfang nach dem Scheitern des Konzepts 18 Prozent?

WESTERWELLE: Welches Wahlziel wir künftig anstreben, werden wir vor der nächsten Bundestagswahl entscheiden. Aber die drei Kernpunkte unserer Strategie waren richtig und sie gelten fort: Erstens wollen wir keine Partei nur für die feine Etage der Gesellschaft sein, sondern für das ganze Volk. Zweitens ist die FDP eine Partei mit einem eigenen Gesellschaftsentwurf. Das heißt, dass wir erst in zweiter Linie Koalitionspartner von irgendjemand sind. Und drittens muss es unsere Pflicht sein, in Zeiten, in denen sich viele und vor allem junge Menschen von der Politik abwenden, mit unerwarteten Auftritten wieder Interesse für Politik zu wecken. Ich habe keine Zweifel daran, dass der Bundesparteitag diesen Weg, der mit meiner Person verbunden ist, fortsetzen wird.

Frage: Sie haben in den letzten Monaten einige Blessuren abbekommen. Mit welchem Ergebnis bei der Wahl zum Parteivorsitzenden rechnen Sie?

WESTERWELLE: Das Wahlergebnis wird sich in einem normalen Korridor bewegen. Ich fahre nicht ohne Selbstkritik, aber mit viel Selbstbewusstsein zum Bundesparteitag. Wenn man in relativ jungen Jahren ins Amt des Parteivorsitzenden kommt, dann zahlt man Lehrgeld. Das Entscheidende ist nicht, was war, sondern was kommt. Es war schwierig, aber: Ich bin wieder da.

Frage: Aber die FDP ist derzeit abgemeldet. SPD und Grüne sind an der Regierung, die Union regiert über den Bundesrat mit. Die Liberalen werden so wenig gebraucht wie noch nie. Wie wollen Sie sich Gehör verschaffen?

WESTERWELLE: Die Union hat im Bundesrat doch nur eine Mehrheit durch die Landesregierungen, in denen auch die FDP sitzt. Wir haben dadurch eine Schlüsselposition. Dieser Verantwortung wollen wir uns stellen. Wir werden ein Scharnier der Vernunft sein. Wenn es um die Erhöhung von Steuern und Abgaben geht, werden wir uns mit aller Kraft dagegen stemmen. Wenn allerdings bei der Agenda 2010 Schritte in die richtige Richtung gemacht werden, werden wir dies unterstützen ? auch wenn es nur Trippelschritte sein mögen.

Frage: Der deutsche Staat ist völlig überschuldet. Doch die FDP fordert weiterhin niedrigere Steuern. Ist das nicht zu kurz gegriffen?

WESTERWELLE: Im Gegenteil: Niedrige Steuern sind das beste Beschäftigungsprogramm. Dadurch wird das Steueraufkommen langfristig steigen und die Haushalte werden wieder ins Lot kommen. Eine Erhöhung der Schulden lehne ich ab. Dass eine Steuersenkung ohne eine Verletzung der Kriterien des europäischen Stabilitätspakts funktioniert, haben wir mit unseren Vorschlägen zur Kürzung von Subventionen vorgerechnet.

Frage: Die FDP hat ein Riesenproblem mit eigenen Schulden. Droht Ihrer Partei in der jetzigen Debatte ein Glaubwürdigkeitsverlust?

WESTERWELLE: Die FDP hat in der Bundestagswahl einen beträchtlichen Teil ihrer Mittel eingesetzt, um den Wechsel zu erreichen. Leider haben wir das Ziel haarscharf verfehlt. Die Finanzlage der FDP ist nach der Bundestagswahl naturgemäß angespannt, aber nicht wie behauptet katastrophal.

Frage: Wie wichtig ist der Wahlerfolg bei der Bürgerschaftswahl in Bremen für Sie?

WESTERWELLE: Wir werden bei der Bürgerschaftswahl den Aufwärtstrend der FDP bestätigen. Die Chancen dafür sind gut, denn in Bremen gibt es drei Parteien, die eine sozialdemokratisch geprägte Politik fortsetzen wollen: die SPD, die CDU und die Grünen. Nur eine Partei setzt auf einen Tapetenwechsel: die FDP.

Frage: Was ist ihr Wahlziel?

WESTERWELLE: Acht bis neun Prozent sind möglich ? wie in Niedersachsen auch.

Frage: Die Bundesregierung ist schwer ins Trudeln geraten. Was erhoffen Sie sich von einem Sieg in Bremen?

WESTERWELLE: Wenn die SPD in ihrer alten Hochburg Bremen von der Regierungsverantwortung gedrängt wird, dann wird sich auf Bundesebene der Prozess in Richtung Neuwahlen beschleunigen. Ich halte es zum ersten Mal für möglich, dass die Regierung vor Ende der Legislaturperiode auseinanderbricht. Wenn ein Bundeskanzler die Koalitionsfraktionen nur mit einer Rücktrittsdrohung zusammenhalten kann, dann ist das der Anfang vom Ende.

Frage: Wäre angesichts Ihrer Kritik an Rot-Grün nicht die Union der einzige Partner für Sie, um das Steuer herumzureißen?

WESTERWELLE: Dass die SPD oder die Grünen mit ihrer ruinösen Politik für die FDP derzeit kein interessantes Angebot sind, das sieht doch jeder. Beide Koalitionsparteien haben das Land auf den Zustand zu Beginn der deutschen Einheit zurückgeworfen. Jetzt ist es an der Zeit, den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen - am besten durch Neuwahlen.

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