05.05.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für den "Kölner Stadtanzeiger"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten SIBYLLE QUENETT und STEFAN SAUER:

Frage: Herr Westerwelle, die Gewerkschaft IG BCE hat Sie ausgeladen, weil Sie die Gewerkschaften als "wahre Plage" bezeichnet haben. Gewinnt man so Meinungsführerschaft?

WESTERWELLE: Wir sind zu jedem Dialog bereit, allerdings nicht um den Preis, daß wir unsere Meinung verschweigen. Die Freien Demokraten sind der Ansicht, daß die Rechte von Arbeitnehmern und Betriebsräten gestärkt werden müssen. Die funktionärische Fremdbestimmung von den Gewerkschaftszentralen aus muß hingegen abgebaut werden. Davon werden wir uns auch nicht durch Ausladungen oder Einladungen abbringen lassen.

Frage: Die Kritik Ihrer Parteifreunde aus Schleswig-Holstein und Bayern irritiert Sie nicht?

WESTERWELLE: Auf den groben Klotz von Franz Müntefering gehörte der berühmte grobe Keil.

Frage: All die groben Klötze und Keile verhindern eine differenzierte Debatte, die dem Gegenstand angemessen wäre.

WESTERWELLE: Die Diskussion muß wieder in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Nicht die Investoren, die in Deutschland Arbeitsplätze schaffen, sind das Problem, sondern die funktionärische Fremdbestimmung. Ich bin der Meinung, daß die Arbeitnehmer selbst entscheiden sollen, was für sie und ihren Betrieb richtig ist. Wenn sich 75 Prozent der Belegschaft in einer geheimen Abstimmung mit der Unternehmensführung einig sind, dann muß das auch gelten, ohne Vetorecht der Gewerkschaften, übrigens auch ohne Vetomöglichkeit der Arbeitgeberverbände.

Frage: Die FDP tritt für mehr Eigenverantwortung und weniger Staat ein. Wofür soll Staat überhaupt noch zu ständig sein?

WESTERWELLE: Für die innere und äußere Sicherheit, die Absicherung in sozialer Not, für ein gutes Bildungswesen, die Infrastruktur und die kulturelle Vielfalt. In diesen sechs Kernaufgaben des Staates wird zur Zeit nur der Mangel verwaltet, weil sich die Verantwortlichen lieber in den Kür-Aufgaben als Gutmenschen austoben. Denken Sie an die Subventionen gegen jede wirtschaftliche Vernunft, an teure Windräder, oder, wie in Nordrhein-Westfalen, an unnötige Gutachten über Hamster und Grottenmolche. Für rot-grüne Gutachten sind in NRW 70 Millionen Euro ausgegeben worden, mit denen man 1400 Lehrer ein Jahr lang hätte bezahlen können.

Frage: Mit dem Parteitagsmotto "Arbeit hat Vorfahrt" greifen Sie ein Zitat des Bundespräsidenten auf. Beschädigen Sie nicht seine Unabhängigkeit?

WESTERWELLE: Als wir Professor Köhler für sein Amt vorgeschlagen haben, warf man der FDP vor, die Ökonomisierung des höchsten Staatsamtes zu betreiben. Die hohe Massenarbeitslosigkeit hat aber sehr viel mit der rot-grünen Vorstellung zu tun, daß wirtschaftlicher Sachverstand in Ämtern schadet. Der Bundespräsident hat "Vorfahrt für Arbeit" gefordert. Wir bekennen uns dazu und unterstützen ihn.

Frage: Nach Umfragen kann die FDP in der NRW-Wahl mit 7 Prozent rechnen. Sind "10 plus x" als Wahlziel nicht reichlich unrealistisch?

WESTERWELLE: Unsere Umfragen steigen, die der Grünen sinken und sind jetzt auch bei sieben Prozent. Unser erstes Wahlziel ist die Ablösung der letzten rot-grünen Landesregierung. Diesem Ziel sind wir so nahe wie nie zuvor. Wenn das gelingt, bin ich optimistisch, daß es auch im Bund zu vorgezogenen Wahlen kommen kann.

Frage: Glauben Sie wirklich, ihre liberalen Vorstellungen in den Bereichen Steuern und soziale Sicherungssysteme mit einer Union umsetzen zu können, deren Arbeitnehmerflügel ganz andere Konzepte verfolgt?

WESTERWELLE: Mir macht der undeutliche Kurs der Union in Sachen Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft schon gelegentlich Sorgen. Wenn die Unionsparteien in einen neosozialistischen Wettbewerb mit Herrn Müntefering eintreten wollten, würde der Regierungswechsel nicht gelingen.

Frage: In gesellschaftspolitischen Fragen gibt es ebenfalls große Unterschiede, etwa in der Frage der Zuwanderung und gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.

WESTERWELLE: Das ist richtig. Wir sind beim Thema Bürgerrechte anders aufgestellt als die Konservativen. Wir werden dafür sorgen, daß die gesellschaftspolitischen Fortschritte der vergangenen Jahre nicht zurückgedreht werden. Und wir werden dafür kämpfen, daß Einschränkungen der Bürgerrechte, die von der großen rot-grün-schwarzen Koalition beschlossen worden sind, rückgängig gemacht werden. Ich halte es für dringend erforderlich, daß das in diesem Frühjahr faktisch abgeschaffte Bankgeheimnis wieder eingeführt wird. Hinter der Abschaffung steht ein Verständnis vom Bürger als Untertan, das können wir nicht hinnehmen. Ich finde es empörend, daß täglich die Konten tausender von Bürgern durchleuchtet werden, ohne daß ein richterlicher Beschluß oder auch nur ein staatsanwaltlicher Verdacht vorläge. Das werden wir ändern.

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