04.09.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für "Bild am Sonntag"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE stellte sich auf dem Leserforum der "Bild am Sonntag" folgenden Fragen:

Vinzent Jakoby: Herr Westerwelle, die FDP profiliert sich im Wahlkampf als Steuersenkungspartei. Warum schaffen Sie nicht als erstes die Ökosteuer ab?

WESTERWELLE: Von der Ökosteuer habe ich nie etwas gehalten. Diese rot-grüne Schnapsidee hat nur zu immer höheren Energiekosten für Unternehmen und Bürger geführt - ohne daß die Rentenbeiträge gesenkt worden wären. Die Idee "Tanken für die Rente" war ein historischer Irrtum. Die vollständige Abschaffung der Ökosteuer bleibt für die FDP das Ziel. Allerdings wollen wir zum 1. Januar 2007 erst einmal ein einfacheres und gerechteres Steuersystem durchsetzen. Spielräume zur Senkung der Ökosteuer sollten wir angesichts der hohen Benzinpreise auch schon kurzfristig nutzen.

Hendrik Niemöller: Ich habe Ihr Programm gelesen. Darin sprechen Sie sich klar gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer aus. Das ist für mich ein entscheidender Grund, FDP zu wählen. Werden Sie mich enttäuschen?

WESTERWELLE: Ich will keine Mehrwertsteuererhöhung, wir brauchen keine Mehrwertsteuererhöhung. Sie nimmt Kaufkraft und bringt mehr Schwarzarbeit. Was wir in einer Koalition mit der Union durchsetzen können, hängt auch davon ab, wie stark wir bei der Bundestagswahl werden.

BamS: Sie holen, wenn es hoch kommt, neun Prozent. Die Union liegt bei 42 Prozent. Da kriegen Sie Ihre Position doch nie und nimmer durch.

WESTERWELLE: Ich habe eine andere Auffassung. Wir haben doch hervorragende Verbündete mittlerweile. Professor Kirchhof, der parteilose Finanzexperte im Kompetenzteam von Angela Merkel, steht für Steuersenkungen. Und es gibt ja auch innerhalb der Union keine geschlossene Front für die Mehrwertsteuererhöhung.

BamS: Wenn Sie sich durchsetzen, muß Frau Merkel in einer zentralen Frage zurückrudern.

WESTERWELLE: Ich sehe nicht, daß Deutschland vor Empörung aufschreit, wenn nach Koalitionsverhandlungen eine neue schwarz-gelbe Regierung auf eine Mehrwertsteuererhöhung verzichtet. Ich glaube auch nicht, daß man der Union dann vorwirft, sie habe ihr Wahlversprechen einer Steuererhöhung gebrochen.

Andreas Detemple: Sie wollen Feiertags- und Nachtzuschläge besteuern. Wie soll die Wirtschaft in Gang kommen, wenn die Arbeitnehmer weniger Geld in der Tasche haben?

WESTERWELLE: Nach unserem Steuermodell werden Sie mehr in der Tasche haben: mehr Netto vom Brutto. Das kann jeder nachrechnen. Geht es nach der FDP, zahlt eine vierköpfige Familie unter einem Jahreseinkommen von 38 800 Euro überhaupt keine Steuern. Etwas Sozialeres und Arbeitnehmerfreundlicheres ist von keiner anderen Partei vorgelegt worden.

Verena Schmid: Viele denken, wenn sie den Namen Westerwelle hören, zuerst an das Guidomobil aus dem letzten Wahlkampf. Wie wollen Sie das Image des Spaßpolitikers loswerden?

WESTERWELLE: Mir sind Politiker ein Greuel, die zum Lachen in den Keller gehen. Ich persönlich glaube: Das ganze Unglück der Menschen ist immer von Politikern ausgegangen, die über sich selbst nicht lachen können. Die FDP hat sehr ernste Ziele, wir haben gerade über das Steuerprogramm gesprochen. Aber ich bleibe ein fröhlicher und lebensbejahender Rheinländer. Für mich gehört eine gute Portion Humor auch in die Politik hinein.

Verena Schmid: Das ist schon klar. Trotzdem haben Sie das Image, nicht ernsthaft zu sein.

WESTERWELLE: Einige sehen es so, andere nicht. Den einen bin ich zu fröhlich, den anderen trage ich zu oft Krawatte. So ist das eben im Leben. Wenn Sie jeden Tag im Fernsehen wären, Frau Schmid, dann würde man auch über Sie alle möglichen Klischees erfinden.

BamS: Welches ist denn das Klischee, das Sie am meisten ärgert?

WESTERWELLE: (überlegt, schmunzelt dann) Die Behauptung, ich sei im Beach-Volleyball nicht gut genug.

Hendrik Niemöller: Stellen Sie Ihre eigenen Ambitionen zurück und überlassen Wolfgang Gerhardt das Außenministerium?

WESTERWELLE: Gehen Sie mal fest davon aus, daß wir uns einig sind. Ich kann aber heute nicht über Personalfragen sprechen. Sonst bekomme ich von den Herren Redakteuren - und zwar nicht nur von denen der BILD am SONNTAG - bis zum Wahltag nur noch Fragen zu der Seifenoper: Wer wird was? Und keiner redet mehr über die Inhalte.

BamS: Herr Westerwelle, das ist klassisch vorbeigeantwortet. Frau Merkel punktet seit zwei Wochen mit Personalien, die mit Inhalten verbunden sind: Paul Kichhof ist für Finanzen zuständig, Peter Müller für Wirtschaft. Warum tritt die FDP mit einer anonymen Truppe an, bei der man nicht weiß, wer für was steht?

WESTERWELLE: Wir haben ja bereits ein Kompetenzteam vorgestellt...

BamS: Aber niemand weiß, wer drin ist.

WESTERWELLE: Wolfgang Gerhardt und meine Person zum Beispiel. Für Wirtschaft steht Rainer Brüderle, für Umwelt Birgit Homburger, für Bildung Cornelia Pieper, für Gesundheit Andreas Pinkwart, für Gesellschaft Philipp Rösler, für Bürgerrechte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Ich hoffe, ich habe niemanden vergessen.

BamS: Doch, Ihren Finanzexperten.

WESTERWELLE: Hermann Otto Solms.

BamS: Aber der wird es ja nicht. Finanzminister wird doch Kirchhof.

WESTERWELLE: Ich bin einfach traurig, wie pessimistisch Sie an das Leben herangehen.

BamS: Und wir staunen, wie optimistisch Sie sind.

WESTERWELLE: Also, Herr Backhaus und Herr Strunz, ich habe eine greuliche Nachricht für Sie. Sie werden bei den Koalitionsverhandlungen nicht dabei sein.

BamS: Und wir haben eine fürchterliche Nachricht für Sie. Wir kriegen trotzdem raus, was läuft.

WESTERWELLE: Eben. Bitte verstehen Sie, daß ich nicht Wochen vor der Bundestagswahl öffentlich über Personalfragen sprechen kann. Wir machen ja noch einen Bundesparteitag, eine Woche vor der Bundestagswahl. Da werde ich konkreter werden, was Inhalte, Personen und unsere Vertretung in einer Bundesregierung angeht.

Stefanie Pietsch: Sie haben sich im vergangenen Jahr offen zu Ihrer Homosexualität bekannt. Was hat sich in Ihrem Leben seither verändert?

WESTERWELLE: Ich rede über mein Privatleben in der Öffentlichkeit nicht. Ich finde, Politiker sollten nach ihrer Leistung beurteilt werden und nicht nach ihrem Privatleben. Was hat sich verändert? Im Grunde hat sich überhaupt nichts verändert. Ich habe vorher ganz selbstverständlich mein Leben gelebt und lebe es jetzt auch. Ab und zu bekomme ich wirre Briefe...

Stefanie Pietsch: Das ist traurig...

WESTERWELLE: ... aber hundertmal mehr nette Zuschriften. In Veranstaltungen kommt manchmal ein unverschämter Zuruf, aber hundertmal mehr Sympathie. In Zeitungen gibt es hin und wieder einen schwulenfeindlichen Kommentar, aber hundertmal mehr Anerkennung. Wir haben in Deutschland Gott sei Dank eine richtig großartige Medienkultur. Für BILD und BILD am SONNTAG - und ich sage das nicht, weil ich hier zu Gast bin - ist das Privatleben nur dann ein Thema, wenn man es selbst zum Thema macht. Wer wie ich ganz selbstverständlich sein Leben lebt, wird sehr respektvoll behandelt.

BamS: Dürfen die Wähler erfahren, was Sie mit Ihrem Lebenspartner verbindet?

WESTERWELLE: Was mich an meinem Partner begeistert, gehört nicht in die Zeitung, sondern bleibt zwischen uns beiden.

BamS: Hat Michael Mronz Einfluß auf Ihre Politik?

WESTERWELLE: Daß wir uns über Berufliches unterhalten, ist selbstverständlich. Aber wir haben unterschiedliche Aufgaben und sind völlig eigenständige Persönlichkeiten. Noch einmal: Ich halte mich mit privaten Äußerungen in der Öffentlichkeit sehr zurück.

Stefanie Pietsch: Das ist auch richtig so! Ich würde mein Privatleben auch nicht preisgeben.

WESTERWELLE: Danke, daß Sie mir da beispringen.

Stefanie Pietsch: Mich interessiert ein politischer Aspekt: Sollten homosexuelle Paare, die in eingetragenen Partnerschaften leben, mit Ehepaaren rechtlich gleichgestellt werden - etwa beim Adoptionsrecht?

WESTERWELLE: Es geht hier nicht um die Selbstverwirklichung von Homo- oder Heterosexuellen, sondern um die Kinder. Es ist aus meiner Sicht besser, die Kinder werden in einer behüteten Partnerschaft groß als im Heim. Daher bin ich für eine Gleichstellung auch beim Adoptionsrecht - über die so genannte Stiefkindadoption hinaus.

BamS: Das heißt, Sie sind für eine völlige Gleichstellung von Ehe und eingetragener Partnerschaft?

WESTERWELLE: Ehe und Familie stehen laut unserem Grundgesetz unter einem besonderen Schutz des Staates. Daß die Familie die wichtigste Keimzelle unserer Gesellschaft ist, stellen wir Liberalen nicht in Frage. Wir sind gegen die Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Aber wir wollen Ehe und Familie nicht abwerten.

Horst Bräuer: Mein Sohn ist zur Zeit bei der Bundeswehr. Ist es denkbar, daß sich Deutschland unter einer schwarz-gelben Bundesregierung an einem Angriff auf den Iran beteiligt?

WESTERWELLE: Nein. Die liberalen Außenminister Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel haben bewiesen, daß der Frieden auch bei uns in hervorragenden Händen ist.

BamS: Die Krise um das iranische Atomprogramm spitzt sich zu, US-Präsident Bush schließt ein militärisches Eingreifen nicht aus...

WESTERWELLE: Militärische Alleingänge sind für die FDP keine Option - weder im Iran noch sonstwo. Anders als die Union haben wir bereits den militärischen Alleingang der Amerikaner und ihrer Verbündeten im Irak abgelehnt. Wenn es notwendig wird, gefährliche Diktatoren zu entwaffnen, können militärische Interventionen nach unserer Überzeugung nur mit UN-Mandat stattfinden. Im Übrigen: Durch Säbelrasseln wird die Chance, daß der Iran auf sein Atomprogramm verzichtet, nicht größer.

BamS: Die CDU/CSU will unbedingt verhindern, daß die Türkei in die EU aufgenommen wird. Hat sie die Unterstützung der Liberalen?

WESTERWELLE: Die Türkei ist heute nicht beitrittsfähig, und die Europäische Union ist heute nicht aufnahmefähig. Was in 15 Jahren ist, kann in Wahrheit keiner sagen. Deshalb hat die EU auch ergebnisoffene Verhandlungen vereinbart. Mir ist wichtig: Bevor diese Beitrittsverhandlungen beginnen, muß die Türkei alle Mitgliedstaaten der EU anerkennen - auch Zypern. Geschieht dies nicht, können am 3. Oktober keine Beitrittsverhandlungen beginnen.

BamS: Angela Merkels Wirtschaftsexperte Peter Müller traut einer unionsgeführten Bundesregierung zu, die Arbeitslosenquote unter fünf Prozent zu senken. Teilen Sie diese Einschätzung?

WESTERWELLE: Ich setze hier keine Zahlen in den Raum. Damit ist schon der derzeitige Bundeskanzler ziemlich peinlich auf die Nase gefallen. Ich weise aber darauf hin, daß die Arbeitslosigkeit in Österreich, den Niederlanden und Großbritannien unter fünf Prozent liegt. Der Durchschnitt der 15 alten EU-Staaten beträgt, wenn man Deutschland ausnimmt, 7,4 Prozent. Wir liegen zwischen zehn und zwölf Prozent. Eine Bundesregierung aus Union und FDP wird die falschen Weichenstellungen von Rot-Grün korrigieren.

BamS: Peter Müller macht denselben Fehler wie Kanzler Schröder, wenn er konkrete Ziele formuliert?

WESTERWELLE: Solche Zahlen und Versprechungen gefallen mir nicht - ganz gleich, von wem sie kommen. Wenn sie anschließend gebrochen werden, wenden sich die Menschen von der Politik ab.

Hendrik Niemöller: Herr Westerwelle, Sie sind mit Angela Merkel per Du. Können Sie sich vorstellen, auch Edmund Stoiber zu duzen?

WESTERWELLE: Angela Merkel und ich sind nur wenige Jahre auseinander. Wir treffen uns nicht nur politisch, sondern gelegentlich auch zu privaten Anlässen. Wir haben schon eine Menge gemeinsam durchgesetzt, man denke nur an die Wahl des jetzigen Bundespräsidenten Horst Köhler...

Hendrik Niemöller: ... das mit Stoiber scheint ja eine unbequeme Frage zu sein!

WESTERWELLE: (lacht) Das haben Sie auf den Punkt gebracht. Im Ernst: Herr Stoiber ist etwa 20 Jahre älter als ich. Er müßte mir das Du anbieten. Bisher hat er das noch nicht getan. Die Frage, ob man sich eines Tages mal duzt, verhandelt man aber nicht in der Öffentlichkeit.

BamS: Sind Sie Stoiber eigentlich noch böse, weil er Sie als Leichtmatrosen bezeichnet hat?

WESTERWELLE: Nein, weil wir uns längst darüber ausgesprochen haben. Und aus manchem Matrosen ist ja schon ein Erster Offizier geworden.

BamS: Wir sind bereits mitten im Koalitionstest. In den vergangenen Tagen hat ein legendärer Song der Rolling Stones für Schlagzeilen gesorgt: "Angie". Haben Sie diese Platte zu Hause?

WESTERWELLE: Ja, aber ich habe sie seit vielen Jahren nicht mehr gespielt.

BamS: Warum?

WESTERWELLE: Weil es eine Schallplatte ist - und ich nur noch einen CD-Spieler habe.

BamS: "Angie" ist ja ein richtiger Schmusesong. Haben Sie früher auch zu "Angie" geknutscht?

WESTERWELLE: Ja. Sollte als nächstes die Frage gestellt werden, mit wem, werde ich sie nicht beantworten.

BamS: Die nächste Frage lautet: Was ist das Beste an Angela Merkel?

WESTERWELLE: Ihre Zuverlässigkeit.

BamS: An diesem Sonntag findet das TV-Duell zwischen Merkel und Schröder statt. Wer gewinnt?

WESTERWELLE: Herr Schröder wird mehr lächeln. Er wird strahlen, Frau Merkel wird argumentieren. Und die Medien müssen sich endlich mal entscheiden, was wichtiger ist.

BamS: Wir sind hier in einem großen, wunderschönen Freizeitpark in Rust. Was ist eigentlich das wildeste Karussell, das Sie je gefahren sind?

WESTERWELLE: Ich bin Vorsitzender der FDP. Das ist Abenteuer genug.

BamS: Beim letzten Wählerforum kam es zu einem fast schon historischen Moment, als Edmund Stoiber seinen Lieblingswitz erzählte. Haben Sie denn auch einen?

WESTERWELLE: Ich habe in der Tat mehrere Lieblingswitze. Aber die kann ich hier doch nicht erzählen. Die sind alle nicht jugendfrei.

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