THEURER-Interview: Wir sind nicht der Handlanger von Lobbyinteressen
Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer gab der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Sören S. Sgries:
Frage: Herr Theurer, auf dem FDP-Landesparteitag vor der Dreikönigskundgebung wollen Sie einen Bildungsschwerpunkt setzen. Meinen Sie das eigentlich ernst? Es geht doch vor allem um die Rolle der Liberalen nach dem Ausstieg aus den Jamaika-Sondierungen...
Theurer: Die FDP ist sich treu geblieben. Das Jamaika-Aus lag an inhaltlichen Differenzen in Berlin. Unter anderem wollten wir eine bessere Bildungsfinanzierung durch die Aufhebung des Kooperationsverbots. Das war leider mit der Union, aber auch mit Winfried Kretschmann nicht zu machen.
Frage: Egal, welche Regierung kommt: Es wird jetzt 0 Prozent FDP-Inhalte geben. Wären nicht 5 oder 10 oder 20 Prozent FDP-Inhalte besser gewesen als nichts?
Theurer: Wir wollen eine echte Erneuerung. Weder Martin Schulz noch Angela Merkel verkörpern diese. Wir haben für uns entschieden, nur in eine Regierung einzutreten, wenn wesentliche Inhalte unseres Programms umgesetzt werden können. Dabei geht es nicht um Parteipolitik, sondern um die notwendige marktwirtschaftliche Neuausrichtung Deutschlands. Jamaika war nicht der Sehnsuchtsort marktwirtschaftlicher Erneuerung, zu dem ihn jetzt manche stilisieren.
Frage: Verschiedene Wirtschaftsvertreter, die auf Ihre Partei gesetzt, ihr die Treue gehalten haben, äußern sich enttäuscht. Verlieren Sie gerade Ihre Kernanhängerschaft?
Theurer: Die Freien Demokraten sind nicht der Handlanger von Lobbyinteressen. Deshalb haben wir auch klare Worte gefunden für den VW-Chef Müller mit seiner Forderung nach einer Abschaffung der Diesel-Vergünstigungen. Müller sollte zunächst vor dem eigenen Haus kehren. Wir kämpfen weiter für den Normalbürger, etwa die Handwerker, die sich auf die Diesel-Versprechen der Politik verlassen haben.
Frage: Und die Enttäuschung, die geäußert wird, überhören Sie?
Theurer: Wir bekommen auch Zustimmung. Es gibt zahlreiche Neueintritte. Und auch aus der Wirtschaft wird unsere Konsequenz gelobt. Diejenigen, die die Sondierungsgespräche genau verfolgt haben, haben gesehen, dass es viele inhaltliche Punkte gab, die offen waren. Wir wollten die Entlastung der arbeitenden Mitte, die Abschaffung des Soli. Wir wollten in der Digitalisierung einen Schritt nach vorne kommen und ein modernes Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild. Das wäre mit Jamaika nicht gegangen. Das sind aber gerade ja Forderungen auch der Wirtschaft. Deshalb setzen wir darauf, das Vertrauen der Wirtschaft auch in Zukunft zu haben.
Frage: Sie betonten jetzt die inhaltlichen Aspekte. Zugleich haben unter anderem Sie gesagt: „Jens Spahn statt Angela Merkel – das würde passen“. Geht es also auch um persönliche Animositäten?
Theurer: Die CDU-Bundesvorsitzende hat in den Jamaika-Gesprächen die Verhandlungen lange Zeit treiben lassen. Fast hatte ich das Gefühl, dass sie Jamaika nicht will, sondern ein „Weiter so“ der Großen Koalition. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir in Deutschland eine Amtszeitbegrenzung für Bundeskanzler einführen sollten: zwei Wahlperioden, maximal zehn Jahre. Adenauer war zwei Jahre zu lang Kanzler. Kohl auch. Und Ähnliches zeichnet sich bei Angela Merkel ab. Ich rate der CDU zum Mut zu neuen Gesichtern.
Frage: Selbst Ihr Parteifreund Lambsdorff mahnt, dass die Einmischung in die Personalangelegenheiten anderer Parteien wenig sinnvoll sei. Führen Sie eine Ablenkungsdebatte?
Theurer: Die Personaldiskussion in der CDU läuft bereits, sie wurde von mir nicht angestoßen. Ich habe mich nur klar positioniert. Fakt ist: Die Volksparteien CDU und SPD haben den personellen und programmatischen Erneuerungsprozess noch vor sich, den die Freien Demokraten bereits hinter sich haben.
Frage: FDP ist einer der Wahlgewinner, regiert trotzdem nicht mit. Welche Idee wird das Dreikönigstreffen in Stuttgart für die kommenden vier Jahre liefern?
Theurer: Das stimmt ja nicht: In Rheinland-Pfalz regieren wir in einer Ampel mit. In Nordrhein-Westfalen in einer schwarzgelben Koalition, in Schleswig-Holstein in einer Jamaika-Regierung. In Baden-Württemberg haben wir uns wie im Bund entschieden, nicht in eine Regierung einzutreten. Wir sehen uns als Glaubwürdigkeitsanker und treiben durch parlamentarische Initiativen die Regierung voran. Das ist ein Modell für Berlin.
Frage: Wie sieht es mit der personellen Aufstellung aus? Bei den Sondierungen, so wird erzählt, sollen Europapolitiker wie Sie am Rande gehalten worden sein. Alles war auf Christian Lindner zugeschnitten. Muss die Partei an Breite gewinnen?
Theurer: Christian Lindner und Wolfgang Kubicki haben im engsten Kreis die Sondierungsgespräche geführt. Wir haben uns aber im Team abgestimmt. Richtig ist, dass diejenigen, die im engsten Kreis saßen, Dinge mitbekommen haben, die andere so nicht mitverfolgen konnten. Umgekehrt lief es aber auch so. Fakt ist: Die Freien Demokraten sind geschlossen wie nie.
Frage: Und die Kritik an der „One-Man-Partei“ ist Unsinn?
Theurer: Wir haben in den Gesprächen gezeigt, dass wir fachlich voll auf Augenhöhe mit CDU, CSU und Grünen verhandeln können. In meinen Bereichen Wirtschaft und Verkehr konnten viele fachliche Punkte gesetzt werden. Das Ziel ist jetzt, neben Christian Lindner mit Persönlichkeiten wie Nicola Beer, Katja Suding, Alexander Graf Lambsdorff und mir weitere Fachexperten zu profilieren.
Frage: Zum Abschluss der Blick ins Land: Grün-Rot an der Regierung zu halten, war für Sie keine Option. Könnten Sie inzwischen mit allen?
Theurer: Als Verhandlungsführer habe ich die Gespräche nach der Landtagswahl mit SPD und Grünen geführt. Nach dem Gespräch mit der SPD haben unser Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke und ich entschieden, dass wir nicht in eine grüngeführte Ampel eintreten, weil wir wesentliche Punkte nicht durchsetzen konnten. In Zukunft werden wir auch nur in eine Regierung eintreten, wenn wir unser Regierungsprogramm umsetzen können.