STARK-WATZINGER/VOGEL-Gastbeitrag: Sieben Vorschläge für das Start-up-Ökosystem der Zukunft
Das FDP-Präsidiumsmitglied Bettina Stark-Watzinger und der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel schrieben für das „Handelsblatt“ (Dienstag-Ausgabe) und "Handelsblatt Online" den folgenden Gastbeitrag:
Start-ups sind cool, aber nicht so wichtig. Falsch – denn die Start-ups von heute sind unsere Hidden Champions von morgen. Schon jetzt schaffen sie zukunftsfähige Arbeitsplätze – derzeit sind es einer aktuellen Studie zufolge 415.000. Es könnten aber viel mehr sein. Die Studie des Start-up-Verbands, der Internet Economy Foundation und der Deutschen Börse vergleicht Deutschland mit Schweden.
Wäre der Anteil der Arbeitnehmer bei Start-ups an der Gesamtbeschäftigung bei uns so hoch wie dort, würden hierzulande eine Million Menschen in jungen Wachstumsunternehmen arbeiten. Vergleichen wir uns mit den USA, wären es sogar 3,7 Millionen Beschäftigte.
Anders ausgedrückt: Wenn wir für Start-ups so gute Rahmenbedingungen wie die USA schaffen, könnten mehr als achtmal so viele Jobs entstehen. Das sollte uns Politikern Mahnung und Verpflichtung zugleich sein.
Denn Wachstum und Arbeitsplätze entstehen nicht von allein. Deutschland muss attraktiv für Gründerinnen und Gründer sein. In den vergangenen Jahren waren die politischen Entscheider zwar nicht untätig, vorwärts aber ging es immer nur in kleinen Schritten. Von einem großen Reformwillen, Spitzenbedingungen für Start-ups zu schaffen, spürte man in der Bundesregierung nichts. Das muss sich nach der Bundestagswahl ändern.
Die gute Nachricht: Wir haben alle Voraussetzungen, um erfolgreich zu sein. Es gibt bereits eine selbstbewusste Gründerszene, mutige Köpfe und eigentlich auch das notwendige Kapital, um neue Ideen zu finanzieren. Was andere Länder uns voraushaben: Sie bringen Köpfe, Kapital und Kultur besser zusammen.
Die Deutschen besitzen ein sehr hohes Sparvermögen – den Start-up-Unternehmen mangelt es jedoch noch zu oft an Geld, um innovative Geschäftsideen zu finanzieren. Wir nutzen die Kapitalmärkte nicht so, wie wir sie nutzen könnten.
Deutschland ist auch gut in der Grundlagenforschung. Aber neues Wissen zu schaffen ist das eine, Wissen in Wertschöpfung umzuwandeln das andere. Um innovativer zu werden, müssen wir mutige Menschen, die ein unternehmerisches Risiko eingehen, besser unterstützen. Dazu sieben Vorschläge, damit unser Start-up-Ökosystem in Zukunft ganz vorne mitspielt.
Erstens: Risikokapital. Der klassische Bankkredit kommt für Start-ups wegen des hohen unternehmerischen Risikos nicht infrage. Es braucht also wagemutige Investoren, die statt Fremdkapital Eigenkapital bereitstellen. Das gilt insbesondere für die Finanzierung von zwei- bis dreistelligen Millionensummen – ohne dieses Geld ist es für ambitionierte Start-ups sehr schwierig, neue Absatzmärkte zu erschließen, die Produktpalette zu erweitern und neue Mitarbeiter einzustellen.
Deshalb schauen sie sich nicht selten im Ausland nach Investoren um. Es stellt sich allerdings die Frage, warum nur amerikanische Rentner, die über ihre Pensionskassen in deutsche Start-ups investieren, von hiesigen Gründungserfolgen profitieren sollen. Wir müssen es deutschen Lebensversicherern, Pensionskassen und Versorgungswerken leichter machen, in Wagniskapital zu investieren.
Zweitens: Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Die entscheidende Ressource eines Unternehmens sind die Beschäftigten. Umso wichtiger ist es für Start-ups, Toptalente für sich zu gewinnen. Die alte Idee der Mitarbeiterbeteiligung bekommt hier neue Bedeutung, weil Start-ups noch nicht die hohen Löhne globaler Konzerne bezahlen können. Deswegen machen sie ihre Mitarbeitenden zu Miteigentümern, die dann neben Lohn- auch Kapitaleinkünfte erzielen können. Das Problem: Unsere steuerlichen und bürokratischen Vorschriften bei Beteiligungsprogrammen sind im Vergleich zu anderen Ländern zu kompliziert und unattraktiv. Ändern wir das! Genügend Reformvorschläge liegen vor.
Drittens: Einwanderung. Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland und wegen des demografischen Wandels zunehmend auf Fachkräfte angewiesen. Dies gilt insbesondere für Start-ups im Tech-Bereich. Damit auch hierzulande das nächste Google entstehen kann, muss unser Land für Toptalente noch attraktiver werden. Kanada und andere Staaten haben ein zeitgemäßes Einwanderungsrecht anhand klarer Kriterien geschaffen. Wir können das auch. Entscheidend darf nicht sein, wo jemand herkommt, sondern, dass wir gemeinsam Wohlstand schaffen und die Gesellschaft voranbringen.
Viertens: Diversität. In kaum einer Kennzahl zeigt sich das verschenkte Potenzial unserer Volkswirtschaft so deutlich wie in der geringen Zahl von Gründerinnen. Nicht einmal jede fünfte Gründung geht heute auf eine Frau zurück. Auch auf Investorenseite sieht es nicht besser aus. Das Problem, dass Männer in der Gründerrolle eher nach den Chancen und Frauen eher nach den Risiken gefragt werden, ist wissenschaftlich hinreichend erforscht. Wir müssen daher gezielt Frauen im Start-up-Bereich fördern und ihnen auch einen besseren Zugang zu Wagniskapital eröffnen. Diverse Teams sind erfolgreicher als homogene. Das gilt auch für Gründer- und Investorenteams.
Fünftens: Bürokratieabbau. Am Anfang eines Start-ups stehen das Gründerteam und eine innovative Idee. Aber gleich zu Beginn gibt es auch hohe Anforderungen durch Behörden, die viel Zeit von der Produktentwicklung wegnehmen. Kraft und Lust für die eigentliche Arbeit werden so nicht selten schon am Anfang gehemmt.
Statt Ämtern ausgefüllte Formulare zu senden, sollen sich Gründerinnen und Gründer am Anfang auf die Produktentwicklung und die Kundenakquise konzentrieren. Machen wir dazu beispielsweise Behörden zu One-Stop-Shops. Statt die gleichen Daten jeweils verschiedenen Ämtern neu angeben zu müssen, werden diese von Amt zu Amt weitergegeben. Unternehmensgründungen müssen auch in Deutschland online in 24 Stunden möglich sein.
Sechstens: Fairer Wettbewerb. Wirtschaftsminister Peter Altmaier fordert „nationale Champions“, um mit Amazon, Apple und Co. mitzuhalten. Die Konzentration von Marktmacht auf etablierte und große Unternehmen behindert aber echten Wettbewerb und Innovation. Wir sollten daher besser diejenigen regulieren, die zu viel Marktmacht haben. Die europäischen Pläne zur Schaffung eines Digital Markets Act und die Weiterentwicklung des deutschen Kartellrechts beschreiten den richtigen Weg. Damit bekämen gerade Start-ups neue Chancen, in Märkte einzutreten.
Siebtens: Mentalitätswechsel. Wir Deutschen scheuen das Risiko. Das ist schlecht. Denn wer eine Idee für einen neuen Impfstoff hat oder eine innovative App entwickelt, muss irgendwann die Idee umsetzen und dabei ins Risiko gehen. Wir wissen aber: Die Risikoaversion nimmt ab, je größer das finanzwirtschaftliche Wissen ist. Unternehmerisches Denken und Handeln lässt sich schon in der Schule erlernen. Wir sollten frühestmöglich die Neugierde am Unternehmertum wecken.
Deutschland steht als Erfindernation am Scheideweg. Angesichts der gewaltigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Umbrüche kann nichts bleiben, wie es ist. Wir besitzen aber alle Voraussetzungen, um erfolgreich zu sein. Fördern wir Wettbewerb, Unternehmertum und Innovation. Treten wir in ein neues Gründerzeitalter ein!