STAMP-Interview: Neues System statt Obergrenze
Das FDP-Bundesvorstandsmitglied und Landesintegrationsminister Dr. Joachim Stamp gab der „Süddeutschen Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Mike Szymanski:
Frage: Herr Stamp, die Union hat ihren internen Streit über eine Obergrenze beigelegt. Die von Seehofer geforderte Begrenzung beim Zuzug auf 200 000 hat Richtwert-Charakter. Ist damit aus Sicht der FDP der Weg für Jamaika schon frei?
Stamp: Es ist gut, dass die Union das Symbolthema Obergrenze abgeräumt hat. Ich habe nicht viel von der Festschreibung von konkreten Zahlen gehalten. Wir brauchen eine neue Systematik, nicht einfach nur eine Zahl. Das schaffen wir über ein Einwanderungsgesetz, das zwischen politisch Verfolgten, Kriegsflüchtlingen und Einwanderern unterscheidet.
Frage: Was muss ein solches Gesetz leisten?
Stamp: Bisher wurde das Asylrecht von verschiedenen Gruppen genutzt, um nach Deutschland zu kommen. Es ist richtig, dass individuell Verfolgte Asyl bekommen. Wir brauchen aber einen eigenen Status für Kriegsflüchtlinge, einen sogenannten vorübergehenden humanitären Schutz. Der erlischt mit Kriegsende und es folgt die Rückkehr ins Heimatland. Diejenigen, die dauerhaft einwandern wollen, müssen wir uns nach einem Punktesystem selbst aussuchen können.
Frage: Unterbringung in Sammelunterkünften während der Verfahren, Sachleistungen wie Essenspakete, Auffanglager in Afrika, das will die FDP. Klingt erst mal nach einer Politik der Abschreckung.
Stamp: Nein, das ist vernünftig: Wir können keine Politik der offenen Grenzen betreiben. Das muss einhergehen mit einem besseren Rückführungsmanagement. Das werden auch die Grünen realistischer sehen müssen. Wir brauchen Einrichtungen, in denen die Verfahren zügig abgewickelt werden können. Wer ein Bleiberecht bekommt, kann an die Kommunen übergeben werden und sich integrieren. Wer kein Bleiberecht bekommt, sollte direkt aus den Einrichtungen zurückgeführt werden.
Frage: Was bedeutet für die FDP Willkommenskultur? Willkommen ist, wer am Ende Steuern zahlt?
Stamp: Willkommen ist derjenige, der bereit ist, unsere Gesellschaft nach vorne zu bringen. Willkommen sind selbstverständlich auch diejenigen, die Schutz brauchen.
Frage: Sie haben in NRW die Asylfragen samt Abschiebungen aus dem Innenministerium herausgelöst. Warum?
Stamp: Zu unserem Ministerium gehören auch die Bereiche Kinder und Familie. Wir verstehen uns als Chancenministerium. In NRW leben zudem 4,6 Millionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Wir möchten Integrationspolitik aus einem Guss machen. Wir möchten minderjährigen Flüchtlingen bessere Angebote machen. Von uns werden Vorschläge zum Staatsbürgerrecht kommen und eine Einbürgerungskampagne. Es ist von Vorteil, die Integrationsabteilung und das Ausländerrecht im Haus zu haben.
Frage: Was bedeutet das für einen Familienminister, wenn er Flüchtlingsfamilien abschieben muss?
Stamp: Das ist eine schwierige Situation. Aber wir wollen mit unserer neuen Struktur Integration und Ausländerrecht ganzheitlicher denken. Wir wollen keine Fälle mehr, in denen Familien, die sich gut integriert, die Arbeit gefunden haben und finanziell auf eigenen Beinen stehen, aus formalen Gründen abgeschoben werden. Wir brauchen für diese „Altfälle“ Bleibeperspektiven. Auf der anderen Seite müssen wir gerade aus der Gruppe der alleinreisenden Männer, die straffällig werden und sich nicht integrieren wollen, konsequenter in die Heimatländer zurückführen. Wir müssen an beiden Enden besser werden. Auch in NRW braucht die gesamte Flüchtlingspolitik eine neue Struktur. Möglicherweise könnte unser Modell auch eines für den Bund sein.
Frage: Warum sollten die Grünen ihren Weg mitgehen? Manche ihrer Forderungen sind mit deren Positionen kaum zu vereinbaren.
Stamp: Es gibt bei den Grünen nach wie vor Ideologen, die für eine Politik der offenen Grenzen sind. Aber wir können nicht parallel die Grenzen offen und einen Wohlfahrtsstaat aufrechterhalten. Ich habe die Hoffnung, dass es auch bei den Grünen viele gibt, die diese Ansicht teilen.
Frage: Wenn der FDP die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik so wichtig ist, müsste sie dann nicht auch das zuständige Ministerium im Bund für sich beanspruchen?
Stamp: Es ist nicht so entscheidend, wer das Ressort führt, sondern, wie präzise ein Koalitionsvertrag verfasst wird. Es kommt darauf an, dass diese Fragen am Ende nicht bloß als Prüfaufträge festgeschrieben werden, sondern als verbindliche Verabredungen.
Frage: Ist die Flüchtlingspolitik die größte Hürde auf dem Weg zu Jamaika?
Stamp: Nein, das glaube ich nicht. In Fragen der Steuer- und Energiepolitik etwa haben wir erhebliche Differenzen. Was die Ausländerpolitik angeht, haben wir ein Konzept vorgelegt, das unsere Interessen aber auch unsere humanitäre Verpflichtung zum Ausdruck bringt. Jamaika muss im Jahr 2017 nicht an der Flüchtlingspolitik scheitern.