LINDNER-Interview: Rechtsstaat nötigenfalls reformieren
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Passauer Neuen Presse“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz.
Frage: Der abgeschobene Gefährder Sami A. muss laut Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster nach Deutschland zurückgeholt werden. Haben hier Politik und Behörden die Grenzen des Rechtsstaats überschritten?
Lindner: Nein. Die Grenzen des Rechtsstaats sind immer irgendwo Gegenstand von Streit. Darüber entscheiden Gerichte, deren Beschlüsse zu akzeptieren sind. Aktuell halte ich für den eigentlichen Skandal, dass die Bundeskanzlerin im Bundestag mit großer Geste die Abschiebung des Mannes gefordert hat, ihre Regierung dann die NRW-Koalition mit unserem FDP-Minister aber allein gelassen hat. Merkel, Seehofer und Maas haben es versäumt, die notwendigen Zusicherungen der tunesischen Behörden einzuholen, dass Sami A. nicht gefoltert wird. Deshalb trägt die Bundesregierung entscheidende Mitverantwortung, dass das Oberverwaltungsgericht entschieden hat. Die Richterschelte des CDU-Innenministers von Nordrhein-Westfalen soll nur von der Rolle Merkels ablenken.
Frage: Welche Konsequenzen müssen gezogen werden?
Lindner: Gerichte entscheiden auf der Basis von Gesetzen und Regeln, die demokratisch verändert werden können. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass sich ein solcher Vorgang nicht wiederholen kann. Wenn jemand rund um die Uhr überwachtwerden muss, weil er sich nicht an unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung halten will, dann muss er in sein Heimatland abgeschoben werden können, in dem viele Deutsche Urlaub machen. Ich fürchte, dass sich manche nach diesem Fall der autoritären AfD zuwenden wollen. Das wäre falsch, denn der Rechtsstaat sollte nicht ausgehebelt, sondern konsequent angewandt und nötigenfalls reformiert werden. Die FDP ist die Alternative für Demokraten.
Frage: Ihr Parteifreund Joachim Stamp, Flüchtlingsministerin Nordrhein-Westfalen, trägt die politische Verantwortung für den Fall und hat die Justiz ausgebremst. Muss er nicht zurücktreten?
Lindner: Nein, unterschiedliche Rechtsauffassungen kommen immer wieder vor. Das Bundesverfassungsgericht hat im vergangenen Jahr die Kernbrennstoffsteuer von Wolfgang Schäuble verworfen. Wo waren da die Rücktrittsforderungen? Der FDP-Flüchtlingsminister Joachim Stamp hat die politische Verantwortung übernommen. Das ist ehrenvoll. Er wird angegriffen, weil er gehandelt und entschieden hat. Die Untätigkeit von CDU, CSU und SPD im Bundestag wäre eigentlich der Grund für Kritik. Wir müssen jetzt alles tun, dass Gefährder wie Sami A. künftig schnell und konsequent abgeschoben werden können. Warum ist Tunesien immer noch kein sicheres Herkunftsland? Warum verweigern sich dem die Grünen? Warum dauern Abschiebeverfahren bei uns so lange? Warum werden wir solche Gefährder wie Sami A. nicht los? Wir müssen die richtigen Menschen abschieben. Momentan schieben wir oft die Falschen ab.
Frage: Die Große Koalition will ein Fachkräftezuwanderungsgesetz vorlegen. Brauchen wir einen Spurwechsel für Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt?
Lindner: Gut, dass Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther unseren Vorschlag des Spurwechsels von qualifizierten Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt aufgegriffen hat. Die Unionsparteien verweigern sich aber immer noch, endlich eine klar geordnete Einwanderungspolitik zu machen. Wir brauchen eine bessere Sicherung der europäischen Außengrenzen und eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik. Solange wir kein besseres System haben, müssen wir das alte Dublin-Verfahren anwenden. Frau Merkel ist aber nicht bereit, ihre falschen Entscheidungen aus dem Jahr 2015 zu korrigieren. Sie will nur noch ihr Gesicht wahren. Staaten wie Frankreich weisen Asylbewerber, die aus sicheren Staaten kommen, zu Tausenden ab. Wir müssen zum alten Dublin-System zurückkehren. Erst dann ist eine europäische Lösung möglich. Die bilateralen Vereinbarungen von Bundesinnenminister Seehofer verringern nicht die Zuwanderung, sondern führen dazu, dass Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen muss.
Frage: Kanzlerin Merkel empfängt am Samstag Russlands Präsident Wladimir Putin. Was erwarten Sie von dem Besuch?
Lindner: Die FDP will eine andere Russlandpolitik. Russland muss wieder in den Kreis der G8-Staaten zurückkehren. Präsident Putin bleibt ein wichtiger Gesprächspartner. Moskau kann auch wieder ein politischer Partner werden, wenn der Kreml seine Politik ändert. Gegenwärtig versucht Putin allerdings, Europa zu spalten, die Demokratien hier zu destabilisieren, die internationale Ordnung zu torpedieren. Das können wir nicht erlauben. Dialog ja, aber kein Ende der Sanktionen. Zur EU und der transatlantischen Freundschaft gibt es für uns keine Alternative. Das ist Voraussetzung, um mit Russland auf Augenhöhe zu sprechen.