LINDNER-Interview: Osteuropäer bei Grenzsicherung in die Pflicht nehmen
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten BEATE TENFELDE:
Frage: Herr Lindner, wieder macht Sachsen Schlagzeilen durch Fremdenfeindlichkeit: Haben wir es tatsächlich mit Dunkeldeutschland zu tun?
LINDNER: Die Mitte unserer Gesellschaft ist friedlich, aber es gibt Ränder. Gegen Rechts- und Linksextremismus sowie den Islamismus müssen wir uns wehren. Die Gewalt beginnt bei der Verrohung der Sprache. Wenn beispielsweise AfD-Chefin Frauke Petry den Begriff des „Völkischen“ verwendet, der Politik nach Rasse und Blut meint, muss jeder Demokrat widersprechen. Wenn diese Partei von „Lügenpresse“ und „versifften Altparteien“ spricht, dann ist der gewalttätige Umsturz doch nur ein logischer nächster Schritt. Durch radikalisierte Rhetorik werden latent gewaltbereite Irrläufer angestachelt. Jeder Demokrat muss da schon der Sprache widersprechen.
Frage: Die Leipziger CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla fällt auf durch massive Kanzlerinnen-Kritik und den Gebrauch des Nazi-Begriffs „Umvolkung“. Die AfD will sie aufnehmen. Wie muss die Unionsfraktion reagieren?
LINDNER: Das ist deren Sache. Frau Kudla verwendet Nazi-Jargon in einer geschichtslosen Weise, die mit den Grundwerten der Christdemokratie von Adenauer und Kohl nichts zu tun hat. Dahinter steckt vermutlich ohnehin keine Überzeugung, sondern nur ein PR-Trick. Weil sie keinen Wahlkreis mehr von der CDU bekam, entdeckt sie plötzlich AfD-Jargon. Das ist Opportunismus.
Frage: Die Kanzlerin ist auch für Sie reine Reizfigur...
LINDNER: Mir geht es nicht um Frau Merkel, sondern unser Land. Ja, die Flüchtlingspolitik der Regierung ist restriktiver als vor einem Jahr. Und ja, die Kanzlerin wendet jetzt auch rhetorisch. Aber nein, mir fehlt immer noch die wirkliche Konsequenz im Handeln. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, das klar zwischen Schutz für Flüchtlinge auf Zeit und Migranten unterscheidet, die dauerhaft bei uns bleiben können. Wir brauchen dringend die Verbesserung des europäischen Grenzschutzes durch die Agentur Frontex, um nicht von Erdogan abhängig zu sein. Ich erwarte ferner, dass die Kanzlerin die nordafrikanischen Länder bereist, um dort Abkommen zur Rücknahme illegaler Flüchtlinge durchzusetzen. Sonst muss denen die Entwicklungshilfe gestrichen werden.
Frage: Mit Ländern wie Ägypten oder Tunesien sollen ähnliche Abkommen wie mit der Türkei abgeschlossen werden, obwohl Sie vor Abhängigkeiten warnen?
LINDNER: Ja, diese Abkommen sind richtig und überfällig, um einen ungeordneten Zustrom aus diesen Ländern zu verhindern. Aber diese Abkommen dürfen eben nicht die einzige Rückversicherung sein, sondern müssen mit einer massiven Aufwertung von Frontex verbunden werden. Mindestens zehnmal mehr Personal und Mittel. Richtig wäre es, die Osteuropäer hier in die Pflicht zu nehmen. Wenn sie die Aufnahme von Flüchtlingen verweigern, sollten sie bei der Grenzsicherung mehr Personal stellen.
Frage: Erinnert an die CSU...
LINDNER: Es darf nicht dazu kommen, dass man sich für das Bestehen auf Rechtsstaatlichkeit entschuldigen muss. Ich teile viele CSU-Wortmeldungen nicht, aber ein Schimpfwort darf man aus der Partei von Edmund Stoiber nicht machen. Der FDP geht es jedenfalls nicht um Abschottung und Kleinstaaterei, sondern um klare Regeln für Europa.
Frage: Was genau wollen Sie – wie die Einwanderungsländer USA oder Kanada nur Migranten, die gute Arbeitskräfte sind?
LINDNER: Die FDP will unterscheiden: Wir helfen einerseits den wirklich Verfolgten, aber nur während der Zeit der Bedrohung. Danach muss die Ausreise in die alte Heimat die Regel sein. Auch in Syrien werden irgendwann Menschen gebraucht, die das Land aufbauen. Daneben braucht unser Arbeitsmarkt Fachkräfte. Die suchen wir uns aber aus. Auch ausreisepflichtige Flüchtlinge könnten sich bewerben.
Frage: Arbeitgeberpräsident Kramer wirft Politikern vor, sich heute über Flüchtlinge und Fremde in einer Weise zu äußern, die ihnen vor einiger Zeit peinlich gewesen wäre. Fühlen Sie sich angegriffen?
LINDNER: Wir haben immer für humanitäre Verantwortung gestanden. So auch heute. Aber in Kreisen der deutschen Wirtschaft gab es teilweise eine zu optimistische Hoffnung, die Flüchtlinge würden das Fachkräfteproblem lösen. Als ich vor einem Jahr auf dem Tag der deutschen Industrie dieser Einschätzung widersprochen habe, war der Beifall nur verhalten.
Frage: Schauen wir auf die Bundestagswahl 2017: CDU und SPD verlieren Prozente, es ist mit einem Sechs-Parteien-System zu rechnen. Die FDP als Zünglein an der Waage, da keiner mit der AfD koalieren will?
LINDNER: Wir Freien Demokraten sind unabhängig wie nie zuvor. Wir wollen liberale Projekte umsetzen: weltbeste Bildung, Bürokratieabbau, Glasfaser-Infrastruktur, finanzielle Entlastung für die Mitte. Wenn wir davon nichts in einer Regierung umsetzen können, gehen wir in die Opposition.
Frage: Zum Schluss: Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) wird scharf kritisiert...
LINDNER: Die Bundesregierung und der Bundestag müssen bei EZB-Präsident Mario Draghi mit Nachdruck darauf drängen, dass er seine Politik des billigen Geldes verändert. Der Verzicht auf jede Form des Zinses hat Europa nicht die erwarteten Verbesserungen gebracht. Im Gegenteil: Schwindender Reformdruck in den Krisenländern Südeuropas und mehr Schulden sind die gefährlichen Folgen der Draghi-Politk. Schlimm ist, dass sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zu dessen Komplize macht, indem er die Schuldenländer Spanien und Portugal vor Sanktionen schützt. Auch die Bundesregierung muss ihren Kurs verändern. Die Missachtung marktwirtschaftlicher Gesetze und des Gebots der Solidität steht der Schaffung eines stabilen Europas entgegen.