22.05.2014FDPWirtschaft

LINDNER-Interview für „Spiegel Online“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab „Spiegel Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte CHRISTIAN RICKENS:

Frage: Zum Warmwerden ein Zitat – und Sie dürfen raten, von wem es stammt: „Während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, sind die der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit. Dieses Ungleichgewicht geht auf Ideologien zurück, die die absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation verteidigen.“

LINDNER: Das, worüber da gesprochen wird, könnten die Zwanziger- und Dreißigerjahre mit ihrem Monopoly-Kapitalismus sein.

Frage: Es war Papst Franziskus und das Zitat ist wenige Monate alt. Sie sind doch katholisch. Ist das Ihr Papst, der da spricht?

LINDNER: Ich bin katholisch getauft, allerdings schon vor Langem aus der Kirche ausgetreten. Ich halte es eher mit Johannes Paul II., der in seiner Sozialenzyklika „Centesimus annus“ eine geordnete Marktwirtschaft ganz im Sinne des Ordoliberalismus gefordert hat.

Frage: Sie können also nichts anfangen mit einem Papst Franziskus, der die dramatische Ungleichheit im Kapitalismus anprangert?

LINDNER: Reden wir über den Laisser-faire-Kapitalismus in den USA? Den Oligarchenkapitalismus in Russland? Den Staatskapitalismus in China? Oder über die soziale Marktwirtschaft in Deutschland? Letztere kann der Papst eigentlich nicht gemeint haben. Denn wir haben hier einen starken Staat, der mit Regeln die Offenheit von Wirtschaft und Gesellschaft garantiert und zugleich ein dichtes soziales Netz spannt.

Frage: Aber egal, über welche Form von Kapitalismus wir sprechen: Sie alle haben gemein, dass in Friedenszeiten die Reichen immer reicher werden. Das hat der französische Ökonom Thomas Piketty einmal mehr nachgewiesen – und mit „Capitalism in the 21st Century“ einen Weltbestseller gelandet. Hat Sie der Erfolg des Buchs überrascht?

LINDNER: An Pikettys Zahlen zweifeln ja sogar linke Ökonomen wie Peter Bofinger. Und seine politischen Rezepte der Umverteilung sind gerade in Frankreich an der Realität steigender Arbeitslosigkeit zerschellt. Die für mich zentrale Frage ist auch nicht, wie sich das Vermögen weniger Reicher entwickelt, sondern ob das Versprechen vom Aufstieg durch eigene Leistung in der Marktwirtschaft noch erfüllt ist. Das trifft gerade in Deutschland einen Nerv, wo Millionen von Menschen hart arbeiten. Sie versuchen sich etwas aufzubauen, aber bekommen Knüppel zwischen die Beine geworfen: Miete, Energiepreise und Sozialabgaben steigen, das Gehaltsplus frisst die kalte Progression, der Immobilienkauf wird durch immer höhere Grunderwerbsteuern bestraft.

Frage: Das klingt nach der alten Mehr-Netto-vom-Brutto-FDP. Ist das wirklich Ihre einzige Antwort auf die neue Verteilungsdebatte?

LINDNER: Wenn selbst der DGB unsere Positionen zur kalten Progression übernimmt, soll ich sie dann nicht mehr vertreten? Mein Appell an die Gerechtigkeitstheoretiker, die jetzt so eifrig Piketty lesen: Gebt den Menschen, die sich etwas aufbauen wollen, dazu eine faire Chance. Das ist besser, als mehr Geld in den staatlichen Umverteilungsapparat einzuspeisen.

Frage: Große Vermögen entstehen nicht, weil jemand pro Monat ein paar Euro zurücklegt. Sie entstehen durch unternehmerische Tätigkeit, Erbschaften und Zinseszinseffekte – wie das Beispiel der BMW-Eigentümerfamilie Quandt zeigt. Das reichste Prozent der Deutschen besitzt mittlerweile ein Drittel des gesamten Vermögens. Für Sie kein Problem?

LINDNER: Wir können gerne alle Milliardäre enteignen, wenn es dem Gemeinwohl dient – und jetzt lassen Sie uns überlegen, ob es das wirklich tut. Beim Familienunternehmen Aldi profitieren die Kunden von ordentlicher Qualität und günstigem Preis. Ob das beim Volkseigenen Betrieb Aldi so bliebe, wage ich zu bezweifeln.

Frage: Es gibt auch andere Formen, den Reichen etwas wegzunehmen. Der normale Arbeitnehmer muss sein Einkommen in der Spitze mit 45 Prozent versteuern. Dem Millionenerben fällt sein Vermögen komplett steuerfrei in den Schoß – solange Papa sich bei der steuerlichen Gestaltung nicht ganz blöd angestellt hat. Das ist doch ein krasser Verstoß gegen das liberale Prinzip der Leistungsgerechtigkeit, oder?

LINDNER: Liberale haben auch besonderen Respekt vor privatem Eigentum. Ich würde gerne mal die Beschäftigten eines Familienunternehmens fragen: Wollt Ihr eine höhere Erbschaftsteuer, für deren Begleichung die Eigentümerfamilie aber möglicherweise einen Teil des Unternehmens an einen anonymen Investmentfonds verkaufen muss? Da fehlt schnell Geld für Investitionen und Arbeitsplätze.

Frage: Genau mit dieser Begründung sind Familienunternehmen von der Erbschaftsteuer ausgenommen, wenn sie ein paar Regeln einhalten. Ein Privileg, das das Bundesverfassungsgericht in wenigen Wochen voraussichtlich als grundgesetzwidrig kippen wird. Was ist Ihr Alternativkonzept?

LINDNER: Warten wir das Urteil einmal ab. Mir geht es darum, dass kleine und mittlere Betriebe nicht geschwächt werden. Lieber habe ich weniger Erbschaftsteueraufkommen als einen ruinierten Mittelstand und weniger Arbeitsplätze. Wenn der Fiskus Geld reinholen will, dann sollte Wolfgang Schäuble sich einmal darum kümmern, dass die Amazons und Googles dieser Welt für ihre in Deutschland erwirtschafteten Gewinne Steuern zahlen. Das wäre auch eine Frage der Gerechtigkeit.

Frage: Gibt es für Sie denn überhaupt eine Grenze, ab der Sie sagen würden: Jetzt ist es genug, jetzt müssen wir Vermögen stärker besteuern, denn noch weiter dürfen Arm und Reich nicht auseinanderklaffen?

LINDNER: Diese Grenze gibt es sicher. In den USA zum Beispiel sind die Steuersätze für die Einkommenselite deutlich zu niedrig. Dort verfällt die öffentliche Infrastruktur. Und in Brasilien fliegen die Reichen einfach mit ihrem Hubschrauber über die Armenviertel weg. In Deutschland fahren die einen Porsche, die anderen Polo, aber alle stehen im selben Stau. Es gibt hierzulande Unterschiede, aber man teilt im Grunde das gleiche Leben.

Frage: Ein Großteil der Superreichen in Deutschland hat sein Vermögen vor dem Zweiten Weltkrieg oder in der Aufbauphase des Wirtschaftswunders gemacht. Seit 1980 sind kaum Namen dazu gekommen. Haben wir zu wenig Wettbewerb, zu wenig schöpferische Zerstörung, weil das alte Geld mit seiner Marktmacht den Aufstieg junger Unternehmen verhindert?

LINDNER: In einer sozialen Marktwirtschaft gehört es zu den Kernaufgaben des Staates, für funktionierenden Wettbewerb zu sorgen. Darauf müssen gerade die Liberalen drängen. Ich sehe derzeit in der Internetökonomie eine enorme Dynamik, weil alte Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren. Wie einst Grundig verschwinden Namen und Vermögen. Andererseits kann jeder 18-Jährige zum Multimillionär aufsteigen, wenn er nur die richtige App programmiert.

Frage: Wenn es so einfach ist mit dem Reichwerden, warum haben wir dann in Deutschland keinen Mark Zuckerberg?

LINDNER: Vielleicht weil das Bild eines Unternehmers in Deutschland nach wie vor das eines Menschen ist, der mit Zylinder und Zigarre seine Mitarbeiter unterdrückt. Vielleicht, weil viele das Risiko des Scheiterns fürchten, weil Scheitern in unserem Land mit Spott und Häme beantwortet wird.

Frage: Sie waren selbst Internetunternehmer und sind mit ihrer Firma pleitegegangen. Haben Sie wirklich das Gefühl, dass Sie dafür Häme ernten?

LINDNER: Ach, ich bin da entspannt. Ich war gut sieben Jahre lang erfolgreich selbstständig, mittendrin ist ein Internetprojekt in Zeiten des Neuen Markts gescheitert. Das machen in Landtagsdebatten gerne jene Kollegen zum Thema, die ihr Leben lang ohne Risiko im Staat gearbeitet haben.

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