05.05.2014FDPFDP

LINDNER-Interview für die „Wirtschaftswoche“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Wirtschaftswoche“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten HENNING KRUMREY und KONRAD FISCHER:

Frage: Herr Lindner, auf 4,8 Prozent kam die FDP bei der Bundestagswahl, das klang nach Untergang. Wie viel brauchen Sie bei der Europawahl, um wieder Land zu sehen?

LINDNER: Natürlich wollen wir ein respektables Ergebnis. Bevor man Wahlziele nennt, sollte man aber über Inhalte sprechen. Die große Koalition veranstaltet ein politisches Erntedankfest, und Wolfgang Schäuble hat schon wieder Verständnis für zu hohe Schulden in Frankreich. Die machen weiter, wo Schröder und Fischer den Maastricht-Vertrag gebrochen haben. Wer die FDP wählt, sendet ein Signal für solide Finanzen. Mit dieser Haltung wenden wir uns aktiv an die enttäuschten Marktwirtschaftler unter den Unions-Wählern.

Frage: Ein schlechteres Ergebnis als 2013 wäre dennoch eine persönliche Niederlage.

LINDNER: Ich bin gleichermaßen entspannt wie optimistisch. Klar ist aber, dass wir im Jahr 2014 noch lernen, wo die FDP steht.

Frage: Sie setzen sich ziemlich niedrige Ziele.

LINDNER: Sicher nicht. Aber jeder Realist weiß doch, dass man für die Wiederaufrichtung einer Partei Zeit braucht.

Frage: Die von Ihnen zitierte Unzufriedenheit im konservativen Lager bringt bisher nichts.

LINDNER: Abwarten. 19 Prozent der Wähler in Deutschland sagen: Es braucht die FDP als marktwirtschaftliches Korrektiv. Die schauen jetzt, in welche Richtung die Partei sich entwickelt. Geht sie nach links, um sich beim Zeitgeist der Umverteilung, des übertriebenen Ökofimmels und der Staatsfixierung anzudienen? Machen wir nicht! Jetzt schauen sie, ob wir nach rechts gehen und nach jedem populistischen Strohhalm greifen. Auch das passiert nicht. Der Weg der Prinzipienfestigkeit, der Aktualisierung einer Politik, wie sie Otto Graf Lambsdorff, Gerhart Baum oder Hans-Dietrich Genscher heute machen würden, ist das Ziel.

Frage: Christian Lindner als Inkarnation der liberalen Dreifaltigkeit?

LINDNER: Sie haben Humor. Ich spreche vom Profil einer liberalen Partei, das Marktwirtschaft, Bürgerrechte und Weltoffenheit verbindet.

Frage: Was fehlt, damit die Wähler anbeißen?

LINDNER: Es braucht Zeit, aber die große Koalition hilft. Das Rentenpaket ist Ausdruck der Happy-Hour-Mentalität von Union und SPD: Eine Generation wird beschenkt, alle anderen leiden. Dagegen wenden wir uns, ohne aber Rente mit 63, 67 oder 70 zu fordern. Ich halte das für gestrig, die Lebenslagen unterscheiden sich viel zu stark. Wir wollen mehr Selbstbestimmung wagen und den individuellen Renteneintritt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aushandeln lassen. Wie in Schweden.

Frage: Deutschland geht's gut. Können wir uns die Geschenke vielleicht einfach leisten?

LINDNER: Das Skandalöse an den Rentengesetzen ist, dass die Koalition nur wenige Tage gebraucht hat, um dieses teure Paket zu beschließen, und gleichzeitig jetzt das Dämpfen der kalten Progression schon wieder absagt. Dabei wäre jetzt der Zeitpunkt, um den Bürgern etwas zurückzugeben.

Frage: Wir notieren: Das Tabuthema Steuerpolitik ist zurück. Ganz schön gewagt nach der vergangenen Legislaturperiode.

LINDNER: Wenn selbst der DGB die Forderung nach Dämpfung der kalten Progression von der FDP übernimmt, dann werde ich da kein Schweigegelübde ablegen.

Frage: Stellen Sie vielleicht auch noch den ausgeglichenen Staatshaushalt infrage, um das zu bezahlen?

LINDNER: Wir haben seit 2010 strukturell höhere Steuereinnahmen, nicht nur konjunkturell. Das zeigt die steigende Steuerquote. Deshalb sollte nach der schwarzgelben Finanzplanung 2015 mit der Tilgung von Altschulden begonnen werden, bei gleichzeitiger Bekämpfung der kalten Progression. Das ist abgesagt, um Wahlgeschenke zu verteilen.

Frage: Und die Rentenkasse füllen wir ab 2017 auf Pump? Oder müsste man die Schuldenbremse verschärfen?

LINDNER: Auf das Rentenpaket sollte man verzichten. Die Schuldenbremse muss weiterentwickelt werde. Die Sozialversicherungen müssen einbezogen werden, damit sich so ein Griff in die Sozialkassen nicht wiederholen kann. Versicherungsfremde Leistungen dürften nicht mehr den Beitragszahlern aufgeladen werden.

Frage: Genügt das, um bei der Europawahl Erfolg zu haben?

LINDNER: Zunächst mal ist das in der Sache richtig. Europa braucht eine Partei für solide Staatsfinanzen. Das ist die FDP. Europa hat seit 2010 Fortschritte bei der Konsolidierung gemacht. Jetzt wird dieser Kurs von Deutschland verlassen: Rente mit 67 – rückabgewickelt. Bankenunion in Europa – führt dazu, dass am Ende wieder der Steuerzahler haftet.

Frage: Was gefällt Ihnen bei der Bankenrettung nicht?

LINDNER: Ich will gar keine staatliche Bankenrettung mehr, weil das eine Perversion der Marktwirtschaft ist. Um das konsequent zu machen, gehört ein Verbot der Bankenrettung in die Verfassungen. Wenn die Finanzmärkte rechtzeitig wissen, ab dem Zeitpunkt X darf der Staat uns nicht mehr beispringen, wird sich das Geschäftsgebaren heute schon ändern.

Frage: Sie wollen mehr Europa. Aber will das auch die Bevölkerung?

LINDNER: Die Bevölkerung will Schutz gegen kommerzielle Datensammler. Die Leute wollen weniger für Energie zahlen. Und sie wollen sich frei in einem Raum ohne Grenzen bewegen. Das ist eine europäische Freiheitsordnung, wie ich sie vor Augen habe. Es ist kein Europa, das als paternalistische Superbehörde in unseren Alltag hineinregiert.

Frage: Diese Grundfreiheiten sind doch leidlich erfüllt. Mehr Europa wollen in Wahrheit die wenigsten Bürger. Sie wollen nicht die französische Industriepolitik, den britischen Arbeitsmarkt, die italienische Steuerpolitik.

LINDNER: Was wir brauchen, ist mehr Subsidiarität. Es darf da auch kein Tabu sein, Zuständigkeiten aus Brüssel zurück in die nationale Hand zu holen. Mehr Europa brauchen wir bei der kollektiven Sicherheit und als gemeinsame Antwort auf NSA und Google. Ich sehe zudem große Chancen durch einen europäischen Energie-Binnenmarkt. Das wäre Notwehr für die Bürger gegen den aberwitzigen deutschen Alleingang mit Dauersubventionen und der einseitigen Fixierung auf Klimaschutz zulasten von Arbeitsplätzen.

Frage: In der Energiepolitik rufen Sie Brüssel gegen die Energiewende zu Hilfe?

LINDNER: Ja, da will ich Binnenmarkt. Erklären Sie mir doch bitte, warum dürfen wir Bücher in Luxemburg bestellen, aber keinen Strom? Das würde die Stromrechnung der Haushalte halbieren. Das will ich.

Frage: Hätten Sie das nicht alles im Wahlkampf für die Bundestagswahl fordern müssen?

LINDNER: Ja. Aber die Europawahl ist wichtiger, als viele meinen. Es wird diskutiert, ob bei den Rettungsschirmen in Zukunft das Parlament mitentscheiden soll. Dann würde die Mehrheit der Nehmerländer über die Geberländer entscheiden! Wer das verhindern will, dem bleibt die FDP.

Frage: ...oder die AfD.

LINDNER: Wer das denkt, der täuscht sich. Herr Lucke will nur den Hörsaal gegen den Plenarsaal tauschen, um dort seine vermeintlichen Einsichten zu verbreiten. Gestalten will er ja nicht, er hat schon angekündigt, dass er sich keiner Fraktion anschließen will.

Frage: Aber freut es Sie nicht, wenn es möglichst viele Euro-Kritiker ins Parlament schaffen, damit das Gegengewicht gegen die Umverteilungszentralisten größer wird?

LINDNER: Nein. Es geht um Gestaltung und nicht nur um Kritik. Das Ergebnis wäre das gleiche wie in Deutschland: eine große Koalition, die Politik links der Mitte veranstaltet. Es fehlt dann das gestaltende Korrektiv. Wer AfD wählt, erhält eine schrille Stimme mehr im Parlament, aber die Entscheidungen werden dann anderswo getroffen.

Frage: Die Vertreter der etablierten Parteien im Europaparlament wollen aber allesamt die Macht der EU ausbauen – schließlich wächst damit ihre persönliche Macht.

LINDNER: Nein. Da will ich differenzieren. Es gibt eine unkritische „Mehr-Europa-ist-immer-gut-Fraktion“, die ist größer als in den nationalen Parlamenten. Aber für die Liberalen von Olli Rehn über Neelie Kroes bis zu unserem Spitzenkandidaten Alexander Graf Lambsdorff nehme ich in Anspruch, dass wir für Subsidiarität stehen.

Frage: Brauchen wir auch weniger Kommissare?

LINDNER: Selbstverständlich. Nämlich nur so viele, wie es die Verträge vorsehen: zwei Drittel der Anzahl der Mitgliedstaaten. Im Moment haben wir einen Kommissar pro Land, das ist ein rechtswidriger Zustand!

Frage: Und bei den Mitgliedstaaten, sehen Sie da wenigstens noch Wachstumschancen?

LINDNER: Wir erleben eine Struktur- und Identitätskrise in Europa. Da können wir erst mal keine neuen Mitglieder gebrauchen.

Frage: Gerade im Angesicht des Konflikts mit Moskau setzen einige Staaten wie Moldau große Hoffnungen auf eine europäische Perspektive.

LINDNER: Ich bin dafür, dass wir eine Politik der Partnerschaft verfolgen, aber Beitritte erst mal zurückstellen.

Frage: Und was ist mit laufenden Verhandlungen wie mit der Türkei?

LINDNER: Wenn man hört, wie Herr Erdogan sich gegenüber unserem Bundespräsidenten geäußert hat, dann ist klar, dass er unser Verständnis von Menschenrechten und Meinungsfreiheit nicht teilt. Bei den Beitrittsverhandlungen sollte man Herrn Erdogan eine Besinnungspause gönnen.

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