28.02.2014FDPFDP

LINDNER-Interview für die „Main-Post“ und „mainpost.de“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Main-Post“ und „mainpost.de“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Folker Quack und Benjamin Stahl:

Frage: Jeder vierte Deutsche vermisst die FDP im Bundestag. Dennoch kleben Sie bei Umfragen unter der Fünf-Prozent-Hürde. Gibt es eine Sehnsucht nach einer liberalen Partei, die die FDP nicht mehr erfüllen kann?

LINDNER: Ich habe Verständnis dafür, dass die Menschen abwarten und beobachten, wie die FDP sich entwickelt. Umfragen zeigen, dass im letzten Jahr nicht liberale Werte wie Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft und Toleranz abgewählt worden sind, sondern eine FDP, die diesen Maßstäben nicht hat genügen können. Daraus leitet sich die Aufgabe ab, die FDP zu erneuern.

Frage: War das grandiose Wahlergebnis von 2009 vielleicht schon der Anfang vom Ende? Weil Sie mit großen Erwartungen gewählt worden sind, diese aber nicht erfüllen konnten?

LINDNER: Wir hatten ja 2009 selbst große Ambitionen. Wir wollten etwas verändern, haben das aber nur selten geschafft. Auch in ihrem Auftreten hat die FDP nicht überzeugt. Aus diesem Grund haben wir einen politisch-personellen Neuanfang im Dezember beschlossen, wie ihn andere Parteien in der Bundesrepublik kaum je vorgenommen haben.

Frage: Der große liberale Denker Karl-Hermann Flach hat 1971 geschrieben: „In Wahrheit ist der Liberalismus weder eine stinkende Leiche, noch eine sterile Konserve noch ein nützlicher Idiot. Er konkretisiert nur den immer wieder aufbrechenden Freiheitsdrang des Menschen.“ Wie würden Sie diesen Freiheitsdrang der Menschen im Jahr 2014 definieren?

LINDNER: Es ist der Wunsch, die Hoheit über den eigenen Lebenslauf zu haben, in einer Zeit, in der es auf der einen Seite immer mehr wirtschaftliche Machtfaktoren gibt – die Googles und Großbanken der Welt, die Einfluss auf unser Leben ausüben. Andererseits gibt es einen Zeitgeist, der immer stärker auf Bevormundung und Umverteilung setzt. Die Aufgabe des Liberalismus heute ist es, den Einzelnen und seine Gestaltungsmöglichkeiten zu verteidigen: gegen die entfesselten Gewalten von ungeordneten Märkten und gegen Politiker, die den Staat zu unserem Vormund machen wollen. Letztendlich ist es die Ordnungspolitik in der Tradition eines Ludwig Erhard oder Otto Graf Lambsdorff, die wir heute brauchen.

Frage: Ist das noch das, wofür die FDP heute steht? Wird sie nicht viel mehr wahrgenommen als eine dem Staat gegenüber sehr kritische, aber der Wirtschaft gegenüber sehr offene Partei, wobei gerade da viele Menschen eine Gefahr sehen – Stichwort Datensicherheit im Zeitalter von Google und Facebook – und meinen, dass man jetzt erst recht einen starken Staat braucht?

LINDNER: Wir brauchen einen starken Staat, der Regeln setzt. Aber keinen, der unser Miteinander in Wirtschaft und Gesellschaft durch eine Vielzahl von kleinen bürokratischen Fäden fesselt und Politikern erlaubt, mit dem Geld der Bürger Unternehmer oder Banker zu spielen. Und natürlich brauchen wir einen starken Staat, der kommerzielle Datensammler diszipliniert, sich aber selbst auch aus unserer Privatsphäre raushält.

Frage: Stichwort „Datensammeln“ – was ist wichtiger: die wirtschaftlichen Interessen der Internet-Unternehmen oder die Privatsphäre der Bürger?

LINDNER: Die Privatsphäre der Bürger. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass man etwa bei Google schauen muss, ob ein Unternehmen, das eine marktbeherrschende Stellung von 96 Prozent aller Suchanfragen hat, einfach so agieren kann, oder ob wir nicht -ähnlich wie bei systemrelevanten Banken – auch eine öffentliche Aufsicht über systemrelevante Datenbanken brauchen.

Frage: Sind Sie dafür, dass europäische Banken mehr reguliert werden, sodass dem momentanen Geschäftsgebaren durch staatliche Sanktionen engere Grenzen gesetzt werden?

LINDNER: Das würde ich nicht nur befürworten, das haben wir zu unserer Regierungszeit gemacht. Aber man muss es richtig machen: Die Volksbank um die Ecke vollständig durchzuregulieren – das macht keinen Sinn. Aber bei den Großen muss der Staat darauf achten, dass es nie wieder dazu kommt, dass das Geschäftsgebaren einzelner Institute dazu führt, dass der Steuerzahler als Feuerwehr gerufen wird.

Frage: Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?

LINDNER: Das Eigenkapital muss erhöht werden. Manche Großbanken rühmen sich jetzt damit, sie hätten nur drei Prozent Eigenkapital. Zudem gibt es Staatsanleihen in den Bilanzen, für die keine Risikoabsicherung vorgenommen werden muss. Obwohl wir alle wegen der Staatsschuldenkrise in Europa wissen: Die Staatsanleihe ist kein mündelsicheres Papier mehr. Da ist der Staat Kollaborateur der privaten Banken, weil die kreditsüchtige Politik deren Geld braucht, um immer neue Wohlfahrtsversprechen zu geben, die gegenwärtig gar nicht finanziert werden können.

Frage: Ein Staatshaushalt ohne Kredite also ...

LINDNER: Die ordnungspolitische Schlüsselaufgabe ist es, den Staat von den privaten Kreditgebern durch Entschuldung unabhängig zu machen – in Berlin wird gerade das Gegenteil gemacht – und die privaten Banken so zu regulieren, dass sie haften und notfalls in die Pleite geschickt werden können. Wenn Banken „too big to fail“ sind, also wenn ein Marktteilnehmer nicht aus dem Markt ausscheiden kann, ohne dass das System insgesamt zusammenfällt, ist das keine Marktwirtschaft mehr. Das ist Bastardökonomie.

Frage: Es gibt das Vorurteil, liberale Politiker seien kalt, materialistisch, unsozial, leben nach dem Motto Effizienz geht vor Gleichheit, Wettbewerb vor Gerechtigkeit. Sind das alles nur Vorurteile?

LINDNER: Das sind Vorurteile, die ich sehr bedauere. Uns geht es nicht um eine bestimmte Branche oder eine Einkommens-, Alters- oder Berufsgruppe. Uns wurde unterstellt, wir seien nur für die da, die es schon zu etwas gebracht haben. Das sind wir aber nicht. Ich habe Anerkennung für alle, die sich schon etwas aufgebaut haben. Aber unser Herz und unsere Leidenschaft gehören jedem, der sich durch Fleiß, Einsatz und Sparsamkeit erst noch etwas aufbauen will.

Frage: Kann ein Liberaler auch links sein? Also beispielsweise sich sozial engagieren, für soziale Gerechtigkeit einsetzen?

LINDNER: Links heißt für mich, man gibt der Gleichheit vor der Freiheit den Vorrang. Für mich hat Freiheit Vorrang vor der Gleichheit. Ich finde, dass es ein legitimes Recht gibt, sich unterscheiden zu dürfen. Mehr noch: Ich finde eine Gesellschaft inhuman, in der unterschiedliche Talente, unterschiedlicher Fleiß und die unterschiedlichen Entscheidungen über den Lebensweg keinen Unterschied mehr machen. Es ist doch ungerecht, wenn ich mich mehr anstrenge, aber die gleichen Ergebnisse wie alle anderen erziele. Ich bin also nicht links, aber dennoch sozial engagiert.

Frage: Mit Wolfgang Kubicki verstehen Sie sich besser, als mit der abgelösten Parteispitze um Philipp Rösler?

LINDNER: Wir sind jetzt ein Team im Präsidium von ganz unterschiedlichen, aber starken Persönlichkeiten. Ich freue mich über Persönlichkeiten wie Wolfgang Kubicki, denn er verkörpert durch sein Auftreten und seine Lebensführung das, was ich unter Liberalismus verstehe: selber anpacken, Verantwortung übernehmen, Flagge zeigen – auch bei Widerspruch.

Frage: Waren eigentlich Kubickis Strafanzeigen gegen SPD-Fraktionschef Oppermann und BKA-Präsident Ziercke im Zusammenhang mit der Edathy-Affäre mit Ihnen abgesprochen?

LINDNER: Ich bin über alles informiert, was er macht. Was uns bei Edathy geboten wird, ist ja ein Skandal. In mehrfacher Hinsicht: Zum einen, weil Dienstgeheimnisse verraten werden an Unbefugte und diese Unbefugten dann das BKA behandeln wie eine nachgeordnete Behörde der SPD-Bundestagsfraktion. Der zweite Skandal ist, dass die Große Koalition die Frechheit hat zu sagen, das sei in öffentlichem Interesse passiert und um Schaden abzuwenden – da frage ich mich: von wem? Vom Staat? Nein, von der Regierungsbildung von Union und SPD. Sie betrachten also das Wohl dieser Parteien schon als das Wohl des Staats. Das waren parteipolitische Motive von Hans-Peter Friedrich und dafür darf in Deutschland nicht Recht gebeugt werden. Ich hätte nie geglaubt, dass diese Tendenzen einer Bananenrepublik bei uns möglich sind.

Frage: Nutzt die Krise der Großen Koalition der FDP?

LINDNER: So einfach ist das nicht. Aber sichtbar ist, dass es seit der Bundestagswahl fundamentale Änderungen in vielen politischen Richtungsfragen gegeben hat. Die Frage der Rechtsordnung haben wir gerade angesprochen. Dazu kommt die Frage der Wirtschaftspolitik. Sigmar Gabriel zieht unser exportorientiertes Wirtschaftsmodell in Zweifel und lobt die Koalition dafür, dass die deutsche Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert wird. Und drittens: Vertreter der Großen Koalition kokettieren pauschal mit mehr Bundeswehreinsätzen in der Welt, obwohl die bestehenden Einsätze noch nicht abgeschlossen sind. Da halte ich für die FDP fest, dass diplomatische Mittel immer Vorrang vor militärischen Interventionen haben müssen. Das kann die Große Koalition für sich so nicht mehr reklamieren.

Frage: Aber Deutschland hat gerade in Kiew zusammen mit Frankreich und Polen gezeigt, wie erfolgreiche Diplomatie geht.

LINDNER: So ist es. Daran hat sich aber auch gezeigt, dass es bei dieser PR-Initiative von Frau von der Leyen offensichtlich um einen Profilierungsversuch der Ersatzkanzlerin ging und nicht um einen konzeptionellen Ansatz der Außenpolitik. Denn wie Sie zurecht sagen, hat gerade das Beispiel Ukraine gezeigt, dass diplomatische Mittel eine Wirkung haben. Man hätte aber noch früher den Weg der Sanktionen gehen müssen.

Frage: Wir haben schon über klassische FDP Themen gesprochen – die Bankenkrise, Datensicherheit. Muss sich die FDP vorwerfen, zuletzt diese Themen zu schwach besetzt zu haben und somit Steigbügelhalter für alternative Parteien, wie AfD oder Piraten gewesen zu sein?

LINDNER: Richtig ist, dass wir unser thematisches Spektrum nicht richtig gezeigt haben. Ich sehe die beiden genannten Parteien eher nicht als direkte Wettbewerber – das sind die Parteien der Großen Koalition, die Deutschlands Stärke riskieren. Gerade die AfD hat sich von den wirtschaftspolitischen Themen entfernt und spielt nun mit Ressentiments gegenüber schwulen Fußballern und Ausländern. Das ist kein liberales Profil.

Frage: Als die Schweiz für eine schärfere Beschränkung der Zuwanderung stimmte, kam Lob von der AfD und laut Umfragen würde wohl auch eine Mehrheit der Deutschen wie die Schweizer in dieser Frage abstimmen – und das im Europawahljahr. Haben Sie wirklich keine Angst, bei den Wahlen im Mai von der AfD abgehängt zu werden?

LINDNER: Noch einmal: Die AfD ist kein Wettbewerber in dem Sinne, dass wir gemeinsame Positionen vertreten oder es ein großes gemeinsames Wählerpotenzial gibt. Die AfD bedient den Wunsch, wieder zurück in die alte Überschaubarkeit des Nationalstaats zu flüchten – sowohl ökonomisch als auch hinsichtlich der Frage der Zuwanderung. Ich habe Verständnis für dieses romantische Gefühl, aber es ist eben nicht realistisch.

Frage: Auf was spielen Sie konkret an?

LINDNER: Der Euro ist eine Realität. Das, was die AfD fordert, etwa Parallelwährungen oder einen Nord-Euro, hätte verheerende ökonomische und politische Folgen. Deutschland und Frankreich wären wieder getrennt. Wir sprachen gerade über den gemeinsamen Erfolg in der Ukraine – und die wollen uns wieder vereinzeln. Was die AfD anbietet, ist rückwärtsgewandt, nicht weltoffen und Träumerei. Und es ist ökonomisch nicht verantwortbar.

Social Media Button