LINDNER-Interview für die "Freie Presse"
Berlin. FDP-Generalsekretär CHRISTIAN LINDNER gab der "Freie Presse" in Chemnitz (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte HUBERT KEMPER:
Frage: In Sachsen bemüht sich die FDP um etwas Bescheidenheit. Ist das für Ihren Bundesvorsitzenden Westerwelle nachahmenswert, um aus dem Umfragetief zu kommen?
LINDNER: Auch in Berlin werden die Signale aus der Öffentlichkeit wahr genommen. Niemand ist fehlerfrei. Kritik gehört zum Geschäft. Aber bitte menschliche Maßstäbe und keine Schmähkritik wie von SPD-Chef Gabriel.
Frage: Viele Menschen, die Ihnen bei der Bundestagswahl ihre Stimme gegeben haben, sind von der FDP enttäuscht. Liegt das am Streit in der Koalition oder am schlechten Erscheinungsbild von Westerwelle?
LINDNER: Die Erwartungen an uns waren groß, die Umsetzung wird etwas länger dauern als mancher gehofft hatte. Wir haben in der Berliner Koalition eine neue Geschlossenheit erreicht und Handlungsfähigkeit gezeigt - denken Sie an seit Jahren überfällige Neuordnung der verrückten Finanzmärkte, die wir beschlossen haben. Solche Ergebnisse kommen jetzt, denn eine Regierung muss Orientierung geben. Das sind wir den Menschen schuldig.
Frage: Und das Thema Glaubwürdigkeit? - Haben Sie nicht mit überzogenen Versprechen an Steuererleichterungen aus leeren Staatskassen unnötig Kredit verspielt?
LINDNER: Glaubwürdigkeit heißt doch Wort zu halten. Wir bleiben ambitioniert, weil eine Entlastung der Mittelschicht erforderlich ist. Die zahlt heute prozentual höhere Steuern als 1991. Es bleibt dabei, dass wir in dieser Legislaturperiode das Steuerrecht vereinfachen wollen und jeder eine Entlastung spüren soll. Über den Fahrplan beraten wir.
Frage: Also wollen Sie die versprochene Kurskorrektur etwas aufschieben?
LINDNER: Wir bleiben bei unseren Zielen. Aber wir sind offen, ob wir zum Beispiel 2011 erst einmal mit der Steuervereinfachung beginnen und die Entlastung anschließen oder ob wir beides zu einem Termin machen.
Frage: Würden Sie Ihren Parteichef Westerwelle nicht lieber in einem anderen Ministeramt sehen, denn die Doppelrolle als Staatsmann und Innenpolitiker scheint ihn zu zerreißen?
LINDNER: Westerwelles Bilanz als Außenminister ist gut - das sagt sogar sein SPD-Vorgänger. Aber er bleibt auch in der Innenpolitik tätig und sagt das, was den Menschen auf den Nägeln brennt.
Frage: Noch nie hat ein Außenminister so schlechte Umfragewerte erzielt. Wird das nicht auf die Wahlchancen der CDU/FDP-Regierung in Düsseldorf durchschlagen?
LINDNER: Man sollte auf die Fakten und die Alternativen schauen. Die Richtung in Berlin stimmt jetzt. Und glauben Sie, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen wegen der Startschwierigkeiten von CDU und FDP gleich eine rot-rot-grüne Chaosregierung wählen werden?
Frage: In Sachsen bemühen sich CDU und FDP um Geschlossenheit und um einen harten Sparkurs. Ein Beispiel für Schwarz-Gelb in Berlin?
LINDNER: Ganz gewiss. Sachsen beeindruckt in den neuen Bundesländern mit einer enormen Innovationsdynamik, aber auch mit seinem Schulsystem, von dem wir uns in Nordrhein-Westfalen einiges abschauen können.
Frage: Noch einmal: Sachsen will seinen jungen Bürgern keine neuen Schulden aufbürden, um damit Steuerentlastungen zu finanzieren, während Sie in Berlin mit Ihren Plänen ungedeckte Schecks ausstellen.
LINDNER: Die Menschen mit kleinem Einkommen, um die es uns geht, brauchen die Entlastung. Das ist gerecht und belebt die Nachfrage. Schuldenabbau braucht Wachstum. Und Wachstum erreichen wir nicht mit Subventionen, Untätigkeit oder gar Steuererhöhungen, von denen andere schon sprechen.
Frage: Wie wollen Sie den Ruf als Klientelpartei abstreifen? - Hat diese Aufgabe Ihr Gesundheitsminister Rösler mit seinem Kampf gegen die Pharmabranche übernommen?
LINDNER: Die Erfolge von Philipp Rösler freuen uns. Wir verstehen uns als Anwalt von Familien und Mittelstand. Das beweist etwa die Kindergelderhöhung. Das große Thema muss sein, in Deutschland wieder Aufstiegsmöglichkeiten zu schaffen - für Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer Herkunft durch ein Bildungssystem, das durchlässig ist. Und durch ein Sozialsystem, das die Menschen nicht im Bezug von Hartz IV belässt, sondern die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt erleichtert.