LINDNER-Interview: Die Zukunftsaufgaben hat die Große Koalition liegen gelassen
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „B.Z.“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Ulrike Ruppel:
Frage: Herr Lindner, welche Versäumnisse offenbart die Air-Berlin-Pleite?
Lindner: Die Schwierigkeiten von Air Berlin waren lange bekannt. Und auch, dass Etihad aussteigen will. Etihad ist eine Staats-Airline, auf die hätte die Bundesregierung Einfluss nehmen können, um einen geordneten Übergang zu organisieren. Dann hätte der aktuelle Überbrückungskredit vermieden werden können, um die Urlauber zurückzuholen.
Frage: Glauben Sie Frau Merkels Versprechen, dass der Steuerzahler „mit großer, großer Wahrscheinlichkeit“ nicht zahlen muss?
Lindner: An diesem Satz wird man sie messen. Es muss jetzt ausgeschlossen werden, dass es weitere Staatshilfe gibt. Weil die Bundesregierung sich eingemischt hat, sehe ich sie zudem in der Pflicht, für fairen Wettbewerb im Luftverkehr zu sorgen. Es darf nicht ein Monopol entstehen, das die Preise für die Fluggäste nach oben treibt.
Frage: Bleiben wir beim Thema Fliegen: Wird es sich der Senat leisten können, über ein Ja zu Tegel bei der Volksabstimmung hinwegzugehen?
Lindner: Nein. Wenn er sich über den ausdrücklichen Bürgerwillen hinwegsetzt, ist seine Legitimität am Ende. Dann wären in meinen Augen Neuwahlen nötig.
Frage: Warum muss Tegel bleiben?
Lindner: Wenn Berlin auch wirtschaftlich zur Metropole werden und Drehkreuz in Europa sein will, braucht es hinreichende Flugkapazitäten. Ein City-Flughafen, der sich auf Geschäfts-, Inlands- und Regierungsreisende konzentriert – und demzufolge weniger Fluglärm produziert –, würde auch verhindern, dass der BER sofort an seine Kapazitätsgrenzen stößt. Es ist auch eine Symbolfrage: Hat Berlin den Ehrgeiz, vorne mitzuspielen oder will es weiter Müller-mäßig herumdümpeln?
Frage: Wie ist Ihre Bilanz der zu Ende gehenden Legislaturperiode?
Lindner: Bei den zentralen Herausforderungen hat die Große Koalition keinerlei Verbesserungen, sondern nur Verschlechterung erreicht. Stichwort Rente, Einwanderung, wirtschaftliches Vorankommen der Menschen und Bildungsgerechtigkeit. Die Zukunftsaufgaben wurden liegen gelassen.
Frage: Aber Deutschland geht es gut! Wir haben Rekordbeschäftigung, die Wirtschaft brummt.
Lindner: Diese Situation verdankt sich nicht der Politik, sondern sie hat sich trotz der Politik ergeben! Wir haben steigende Sozialabgaben, die die Gehaltserhöhungen auffressen. Die sozialen Sicherungssysteme werden an die Leistungsgrenzen stoßen, unseren Enkeln wird das um die Ohren fliegen.
Frage: Wie gefallen Ihnen die Aussagen der beiden Kanzlerkandidaten zum Wahlkampf-Auftakt?
Lindner: Frau Merkel versucht, unser Land mit ihrem „Weiter so“ einzulullen. Diese Einschläferungstaktik ist brandgefährlich, weil unsere weltweite Konkurrenz nicht schläft und wir große Aufgaben, wie Digitalisierung, bewältigen müssen.
Frage: Genau das sagt Martin Schulz!
Lindner: Da hat er ausnahmsweise recht! (lacht) Aber seine konkreten Vorschläge überzeugen mich nicht. Herr Schulz will quasi eine Art Agenda 1995, also ein Zurück zu mehr Bürokratismus und Umverteilung. Wir wollen eine Agenda 2030!
Frage: Wie finden Sie Gerhard Schröders russische Karrierepläne?
Lindner: Herr Schröder bringt die SPD in Schwierigkeiten, deren Gegner werden das ausschlachten. Allerdings hat die SPD in der Vergangenheit häufig versucht, mit Nachsicht für Putin Stimmung zu machen. Denken Sie nur an Frank-Walter Steinmeiers Worte, die Nato betreibe Säbelrasseln in Osteuropa!
Frage: Neuerdings sind SIE doch der große Russland-Versteher. Für Ihre Forderung, mit der Krim-Annexion zu leben, haben Sie Beifall von Schröder und Sahra Wagenknecht bekommen!
Lindner: Die haben nur die halbe Position gelesen. Ich habe wiederholt, was Hans-Dietrich Genscher schon vor zwei Jahren gesagt hat. Der Völkerrechtsbruch auf der Krim ist nicht akzeptabel. Wir sollten Russland aber erleichtern, seine aggressive Politik zu verändern. Dazu wird man den Krim-Konflikt als schwierigste Frage zunächst einfrieren müssen. Wenn Putin weiter autoritär Politik macht, sollten die Sanktionen verschärft werden. Wenn er einlenkt, kann man sie lockern.
Frage: Katrin Göring-Eckardt sagte, ein Bündnis mit der FDP könne sie sich nicht vorstellen. Können Sie sich „Jamaika“ vorstellen?
Lindner: Ich bin sehr skeptisch. Als der grüne Bürgermeister Boris Palmer ein realistisches Buch zu Integrationsfragen geschrieben hat, wurde er von seiner eigenen Partei beschimpft. Mir fehlt das Verständnis, wie mit den Grünen eine verantwortbare Zuwanderungspolitik inklusive Kontrolle der EU-Außengrenze gemacht werden soll. Die Grünen verschließen vor Problemen gerne die Augen.