26.10.2018FDPFDP

LINDNER-Interview: Die FDP wird keine Koalition mehr mit Frau Merkel schließen

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab „Spiegel Online“ (heute) das folgende Interview. Die Fragen stellten Sebastian Fischer und Severin Weiland.

Frage: Herr Lindner, mit wem möchte die FDP nach dem Wahlsonntag in Hessen gern koalieren?

Lindner: Es sieht so aus, dass Schwarz-Grün die Mehrheit verliert. Das ist eine gute Nachricht, denn CDU und Grüne haben in Hessen deshalb streitfrei regiert, weil sie nichts bewegt haben. Die Freien Demokraten wollen dem Land eine andere Richtung geben. Deshalb wären wir gesprächsbereit für eine Jamaika-Koalition, wenn das Vorbild Schleswig-Holstein wäre und nicht die Methode Merkel. Einen Linksruck mit Grün-Rot-Rot wollen wir verhindern.

Frage: CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier allerdings hat ausgerechnet Ihre Partei zuletzt attackiert, hat erklärt, die FDP könne das Land „nicht stabil halten“. Stört Sie nicht?

Lindner: Hinter den Kulissen redet auch Volker Bouffier ganz anders. Er kann ja nach Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen blicken, wo wir erfolgreich in Koalitionen mit der CDU regieren, wenn die Inhalte stimmen. Wir nehmen das sportlich. Seine Angriffe belegen nur eines: Dass wir die aktuell schon bis zu neun Prozent in Umfragen aus eigener Kraft schaffen.

Frage: Was haben Sie eigentlich gegen eine Ampel-Koalition mit SPD und Grünen?

Lindner: Es darf keinen Linksruck in Hessen geben. Meine hessischen Freunde haben gesagt, dass sie den Grünen Tarek Al-Wazir nicht zum Ministerpräsidenten wählen. Das Beispiel Baden-Württemberg zeigt, wohin es unter grüner Führung geht: nach unten, etwa bei der Bildung oder den Haushalts- und Wirtschaftsdaten. Wir brauchen Qualität in der Bildung statt geringerer Ansprüche an Schulabschlüsse, weniger Bürokratie und mehr Technologie.

Frage: Sie wollen lieber Schwarz-Grün die Mehrheit beschaffen.

Lindner: Nein, das letzte Jahr hat ja belegt, dass wir eben nicht nur Mehrheitsbeschaffer sind. Herr Al-Wazir ist ein ehrlicher Mann. Er hat öffentlich bekannt, dass er in der Verkehrspolitik überwiegend Projekte seines FDP-Vorgängers umgesetzt hat, die er nicht mehr verhindern konnte. Die Schublade von Schwarz-Grün ist leer. Jetzt braucht es neue Ansätze: mehr wirtschaftliche Freiheit, mehr Flächen für beschleunigtes Bauen, mehr Qualität in der Bildung von den Kindertagesstätten bis zu den Unis, Breitbandausbau. Einen solchen Aufbruch gibt es nur, wenn die Regierung in Hessen sich neu erfindet. Dazu würden wir einen Beitrag leisten.

Frage: Hessens FDP-Spitzenkandidat René Rock klang lange Zeit ganz anders, galt als Anhänger der Ampel und lobte SPD-Kandidat Thorsten Schäfer-Gümbel. Jetzt setzt er auf ein bürgerliches Bündnis mit der CDU plus „grüne Beimischung“. Ist dieser Sinneswandel auf Ihren Einfluss zurückzuführen?

Lindner: Woher wissen Sie, dass es einen Sinneswandel gibt? Man kann sich doch menschlich schätzen und sympathisch finden, auch wenn es inhaltlich nicht passt. In einer roten Ampel sehen meine Freunde in Hessen keine Grundlage.

Frage: Nennen Sie bitte ein Beispiel.

Lindner: In Hessen wird auch über die Migrationspolitik abgestimmt, weil eine Landesregierung im Bundesrat mitentscheidet. Die Grünen blockieren, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Das würde Abschiebungen erleichtern, in individuellen Ausnahmefällen wäre Schutz bei uns dennoch möglich. Die CDU nimmt da Rücksicht auf die Grünen. Das wollen wir neu verhandeln.

Frage: Und das ginge nicht in einer Ampel?

Lindner: In einer roten Ampel wäre das aussichtslos. Wir müssen zum Beispiel verhindern, dass der nach Tunesien abgeschobene Bin-Laden-Leibwächter Sami A. auf Staatskosten im Privatflieger zurückgeholt wird, um dann von der Polizei wieder Tag und Nacht überwacht zu werden. Die Grünen betreiben so indirekt Wahlkampfhilfe für die AfD.

Frage: Die SPD scheint weder im Bund noch in Hessen einen Ausweg aus dem Abwärtstrend zu finden. Haben Sie da einen Tipp?

Lindner: Das wäre überheblich. Wir kennen solche Krisen selbst. Ich glaube, der Zustand der SPD ist auch eine Folge der Methode Merkel.

Frage: Wie meinen Sie das?

Lindner: Schauen Sie sich etwa die kürzlich von der SPD durchgesetzte Wiedereinführung des paritätischen Beitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung an. Aus unserer Sicht ein Fehler, weil sich die Wirtschaft abkühlt und andere Staaten massiv die Belastungen für Betriebe senken. Das gefährdet die Entwicklung bei uns und am Ende geht das zu Lasten von Gehaltserhöhungen und Arbeitsplatzsicherheit. Man kann das anders sehen, es war jedenfalls ein Verhandlungserfolg der SPD. Und was tut nun die Union? Die reklamiert das als eigenen Erfolg. Fair wäre es gewesen, der SPD diesen Punkt zu lassen.

Frage: In der Schlussphase des hessischen Wahlkampfs steht die Verkehrspolitik im Zentrum. Die Kanzlerin will nun Diesel-Fahrverbote gesetzlich verhindern, sollten die Grenzwerte nur geringfügig überschritten werden. Das dürfte Ihnen als passioniertem Autofahrer doch gefallen, oder?

Lindner: Nach drei Jahren Stillstand in der Diesel-Debatte ist das ein plumpes Wahlkampf-Manöver. Ein deutsches Gesetz bringt nichts. In Brüssel sollte sich Frau Merkel dafür einsetzen, dass wir eine etwas verlängerte Frist erhalten, um diese strengen Grenzwerte einzuhalten. Zudem gibt es Zweifel an den Messmethoden. Bevor wir über Fahrverbote nachdenken, sollte die zuständige SPD-Umweltministerin endlich neue, überzeugende Messmethoden für alle Städte festlegen.

Frage: Und dann?

Lindner: Manipulierte Fahrzeuge müssen auf Kosten der Hersteller umgerüstet werden oder man entschädigt die Käufer. So wie in den USA. Zudem brauchen alle Besitzer eine Mobilitäts- und Wertgarantie. Die deutsche Regierung darf aber die Fahrer völlig legaler Dieselfahrzeuge nicht bestrafen, nachdem sie doch jahrelang den Kauf von Dieselautos gefördert und subventioniert hat. Das ist ein Versagen der Politik. Hinzu kommt eine grüne Verkehrspolitik in manchen Kommunen, die den Ausbau der Straßen blockiert und Staus provoziert hat. Busse und Müllabfuhr müssen sauber werden. Und statt Windräder hoch zu subventionieren, hätte man für Klimaschutz und Luftqualität besser die Modernisierung von Heizungen in den Städten beschleunigen sollen.

Frage: Sie haben ja eine richtige Wut auf Angela Merkel. Woher kommt die?

Lindner: Ich habe keine Wut auf Frau Merkel, das weise ich zurück. Mir geht es nicht um die Person, sondern um ihre Politik. Die Methode Merkel bedeutet Stillstand. Die Kanzlerin ist nicht bereit, neue Kapitel für unser Land aufzuschlagen. Wir verstolpern die Digitalisierung, wir bremsen die Weiterentwicklung Europas, wir haben einen Sozialstaat, der nicht auf die Alterung vorbereitet ist. Und sie ist nicht bereit, Fehlentscheidungen in der Migrationspolitik zu korrigieren.

Frage: Welchen Plan haben Sie?

Lindner: Wir brauchen eine Einwanderungspolitik, die Weltoffenheit auf der einen Seite und konsequente Steuerung auf der anderen miteinander verbindet. Die Mehrheit in unserem Land ist skeptisch gegenüber einer nahezu grenzenlosen Aufnahmebereitschaft, für die Frau Merkel und die Grünen stehen. Diese Mehrheit will aber zugleich nicht, dass Kreuze an die Wände gehängt werden wie bei Markus Söder oder mit Rassismus und Ressentiments Politik gemacht wird wie bei der AfD.

Frage: Was tun?

Lindner: Wir sollten die Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre verlängern und die Amtszeit eines Kanzlers auf zwei Legislaturen beschränken. Dann kommt es gar nicht erst zu solch einer politischen Lähmung, wie wir sie jetzt mit Angela Merkel erleben.

Frage: Hoffen Sie darauf, dass sich die CDU auf ihrem Parteitag im Dezember eine andere Vorsitzende wählt?

Lindner: Das muss die CDU entscheiden.

Frage: Aber mit einer CDU ohne Merkel könnten Sie doch prima noch einmal über Jamaika auf Bundesebene reden, oder nicht?

Lindner: Die FDP wird keine Koalition mehr mit Frau Merkel schließen. Das ist klar und beruht sicher auf Gegenseitigkeit. Unser Land darf keine Zeit mehr verlieren.

Frage: Das beantwortet unsere Frage nicht. Wie lange geben Sie der Großen Koalition denn noch?

Lindner: Ich richte mich darauf ein, dass sie bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2021 weitermacht.

 

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