LINDNER-Interview: Bremen könnte mehr
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Weser-Kurier“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte BEN ZIMMERMANN:
Frage: Bremen ist eine liberale und weltoffene Stadt. Warum bekommt eine liberale Partei hier seit Jahrzehnten kein Bein auf den Boden?
LINDNER: Das ist Geschichte, wir arbeiten jetzt an der Zukunft. Die Freien Demokraten haben sich erneuert, im Bund wie auch in Bremen – politisch und personell. Mit Lencke Steiner haben wir eine starke Spitzenkandidatin, die als Quereinsteigerin wirtschaftliche Erfahrung in die Politik bringt.
Frage: Lencke Steiner ist nicht Mitglied Ihrer Partei. Ist die Personaldecke so dünn, dass Sie kein FDP-Mitglied als Spitzenkandidaten gefunden haben?
LINDNER: Das Gegenteil ist richtig: Es ist ein besonderes Zeichen für die Offenheit der FDP und der Beweis für die innere Unabhängigkeit von Frau Steiner. Ich bin stolz darauf, dass sich Persönlichkeiten wie sie für die Freien Demokraten einsetzen, weil viele das Gefühl haben, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Stärke unseres Landes und die Bedeutung des Mittelstands falsch eingeschätzt werden.
Frage: Hoffen Sie auf einen ähnlichen Effekt wie mit Katja Suding bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg?
LINDNER: Lencke Steiner hat auf jeden Fall das Zeug dazu. Sie steht für den Gründer- und Unternehmergeist in Bremen. Und sie sagt zu Recht: Es reicht nicht, auf die Vergangenheit stolz zu sein, Bremen muss auch wieder erfolgreich werden. Wann wecken wir Bremens schlafende Chancen? Etwa bei der Mobilität, wenn wir schon den Automotive-Bereich von Daimler haben? Warum sind wir nicht der attraktivste Investitionsstandort in Deutschland, indem wir die geringste Bürokratie haben? Das sind neue Gedanken für Bremen.
Frage: Bremen liegt bei bundesweiten Rankings meist auf den letzten Plätzen. Warum gelingt es der Opposition nicht, daraus Kapital zu schlagen?
LINDNER: Bremen ist das Labor für sozialdemokratische Politik in Deutschland. Nach sechs Jahrzehnten ausschließlicher SPD-Regierungschefs ist die Bilanz bei der Bildungsgerechtigkeit, beim Wohlstand und bei den öffentlichen Schulden tiefrot.
Frage: Die Menschen scheinen mit der SPD nicht unglücklich zu sein. Sie wird auch diese Wahl gewinnen.
LINDNER: Die bisherige Opposition lässt die Regierung zu einfach davonkommen. Vielleicht auch, weil die CDU ja mit der SPD im Bund koaliert. Ich erkenne dort auch keinen großen Unterschied mehr zwischen Union und SPD. Und das ist die Chance der FDP: Ob die CDU in Bremen zwei Prozentpunkte mehr oder weniger bekommt, hat keine größere Bedeutung. Ob die FDP allerdings in der Bürgerschaft sitzt oder nicht, macht einen riesigen Unterschied.
Frage: Bremen fährt – insbesondere wegen der vereinbarten Schuldenbremse – bereits einen harten Sparkurs. Sehen Sie noch weitere Einsparpotenziale?
LINDNER: Warum denken wir nicht daran, stärker wirtschaftliche Wachstumspotenziale zu erschließen? Bremen könnte beispielsweise den Hafen, den Automobilbereich oder die Exzellenzinitiativen im Hochschulbereich nutzen, um attraktiver zu werden. Bremen braucht nicht nur Einsparungen, sondern mehr wirtschaftliches Wachstum. In Gesprächen vor Ort wird immer wieder geklagt, dass die Bürokratie vieles bremst. So entsteht eine Spirale aus Überschuldung und Überforderung des Staates und einer gewissen Subventionsmentalität gegenüber dem Bund. Ein drastischer Abbau von Bürokratie wäre ein kostenfreies Konjunkturprogramm. Schade drum, Bremen könnte mehr.
Frage: Der Schuldenberg ist inzwischen auf rund 20 Milliarden Euro angewachsen. Bremen wird das allein nicht schultern können. Wie könnte das Problem der Altschulden gelöst werden?
LINDNER: Der Kapitaldienst für die Schulden ist derzeit nicht sehr hoch...
Frage: ...wegen der aktuell niedrigen Zinsen.
LINDNER: Genau. Diese Niedrigzins-Phase müsste man nutzen, um schneller Schulden abzubauen. Der Kurs der Konsolidierung der Finanzen wäre jetzt leichter. Als Nordrhein-Westfale und Anhänger des Leistungsprinzips sage ich aber auch, dass sich die Anstrengungen der Länder lohnen und zusätzliche Einnahmen im Land bleiben müssen. Das ist derzeit nicht der Fall.
Frage: Sie meinen also, dass Bremen allein für seine Schulden aufkommen muss?
LINDNER: Wir halten an der Solidarität der Bundesländer fest. Bremen muss es also nicht alleine meistern. Die Anstrengungen in Bremen für eine wachstumsorientierte Politik reichen aber nicht aus. Die bisherige Politik findet sich zu sehr mit ihrer Lage ab – wir wollen sie ändern.
Frage: Ihre Spitzenkandidatin Lencke Steiner fordert mehr Geld für die Bildung. Wie passt das mit dem klammen Haushalt zusammen?
LINDNER: Bildung ist die Schlüsselaufgabe unserer Gesellschaft. Sie ist der beste Weg, dem Einzelnen ein Vorankommen durch eigene Leistung zu ermöglichen und die einzige Chance, unsere Wettbewerbsfähigkeit international zu erhalten. Deshalb muss Bildung eine gesamtstaatliche Aufgabe werden – sowohl bei der Finanzierung als auch beim Niveau der Abschlüsse. Bremen steht doch nicht im Wettbewerb mit Bayern, sondern Deutschland steht im Wettbewerb mit den USA und China.
Frage: Sie plädieren bei der Bildung für weniger Föderalismus?
LINDNER: Ja.
Frage: In welchen Bereichen?
LINDNER: Wir brauchen deutschlandweit einheitliche Standards und vergleichbare Methoden. Auch bei der Gestaltung der Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien tut mehr Vergleichbarkeit und Gemeinsamkeit Not. Unterm Strich bedeutet das: Mehr Autonomie für die einzelnen Schulen. Der Wettbewerb sollte zwischen ihnen stattfinden und nicht zwischen 16 Ländern, wer die aktuelle pädagogische Mode am bürokratischsten umsetzen kann.
Frage: Bremen ist bei Vergleichstest im Bildungsbereich seit Jahren Schlusslicht. Was müsste anders laufen?
LINDNER: Die Landesgrenze darf nicht das Ende unseres Horizonts sein. Das Problem ist doch: Ganz Deutschland steht im weltweiten Vergleich nur mittelmäßig da. Wir müssen mehr tun für die Bildungsförderung vor der Einschulung. „Sicher, sauber, satt“ – das sind doch nicht ausreichende Bildungsziele von Kitas. Dafür brauchen wir qualifiziertes und angemessen bezahltes Personal. Ein weiterer Punkt sind die Methoden: Ein Tablet für jeden Schüler und die vernetzte Schule sind hierzulande Science-Fiction, woanders ist das bereits Praxis. Da müssen wir dringend Anschluss finden. Und drittens muss es zu einer neuen Balance zwischen beruflicher und akademischer Bildung kommen.
Frage: Das bedeutet?
LINDNER: Wir sind dabei, zu einer gewissen Überakademisierung der Gesellschaft zu kommen. Wir haben viel zu wenig Respekt vor der dualen Ausbildung und den großartigen Berufsperspektiven, die es beispielsweise im Handwerk gibt.
Frage: Seit der letzten Bundestagswahl ist die FDP nicht mehr im Parlament vertreten. Ist es durch diesen Bedeutungsverlust schwieriger geworden, sich im Wahlkampf Gehör zu verschaffen?
LINDNER: Im Wahlkampf können wir uns über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beschweren. Die Schwierigkeiten liegen eher jenseits der Wahlen. Bei der parlamentarischen Berichterstattung – also der zentralen Bühne der Politik – sind wir nicht dabei. Das ist allerdings auch eine Chance: Wir haben uns befreit von Ängstlichkeit und Opportunismus und schielen nicht auf den Applaus von jeder Seite.
Frage: Mit der AfD ist Ihnen ein weiterer Konkurrent erwachsen. Kann die Partei Ihnen bei der Wahl in Bremen weitere Stimmen wegnehmen?
LINDNER: Nein, die AfD ist für uns kein Wettbewerber. Sie macht Politik mit Ressentiments, ist gegen den transatlantischen Freihandel und nährt die Illusion, man könnte sich wieder im Nationalstaat verschanzen. Kurz: Die AfD ist genau das Gegenteil von uns.
Frage: Vor vier Jahren hat die FDP in Bremen 2,4 Prozent geholt. Was ist Ihr Ziel für die anstehende Bürgerschaftswahl?
LINDNER: Wir wollen mit einem ordentlichen Ergebnis in die Bürgerschaft einziehen.