23.05.2014FDPEuropa

LAMBSDORFF/Henkel-Streitgespräch für „Handelsblatt Online“

Berlin. Der Spitzenkandidat zur Europawahl und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF und der stellvertretende AfD-Sprecher HANS-OLAF HENKEL im Streitgespräch für „Handelsblatt Online“. Die Fragen stellten JAN MALLIEN und NILS RÜDEL:

Frage: Meine Herren, lassen Sie uns nett sein: Geben Sie doch mal eine Wahlempfehlung für Ihr Gegenüber ab. Herr Henkel, was spricht für die FDP?

HENKEL: Für mich ist die FDP die zweitbeste Partei in Deutschland. Ich habe sie jahrelang unterstützt, mich in ihr Programm eingemischt und für sie Geld gesammelt. Aber seit Mai 2010, seit dem ersten Griechenland-Hilfspaket, ist die FDP nicht mehr meine Partei, weil sie in ihrer Euro- und Europapolitik alle ihre liberalen Grundsätze über Bord geworfen hat.

Frage: Graf Lambsdorff, was spricht aus Ihrer Sicht für die AfD?

LAMBSDORFF: Ich kann die AfD nicht zur Wahl empfehlen. Der Gründungsimpuls der AfD war ein ökonomisch hergeleitetes Argument, nämlich das Unbehagen über die Stabilisierung des Euro. Darüber konnte man mit Fug und Recht streiten. Die AfD hat aber dann wie ein Zauberlehrling mit ihren populistischen Forderungen Kräfte entfesselt und in ihrer Partei gebündelt, die sie nicht mehr kontrolliert.

Frage: Was meinen Sie?

LAMBSDORFF: Das sehe ich zum Beispiel auf meiner Facebook-Seite, wo ich angegriffen werde, oft massiv unter der Gürtellinie. Hier ist eine Kraft entstanden, die Nationalismus und Populismus in Deutschland zum ersten Mal eine parteipolitische Struktur gibt.

HENKEL: Ich kann dem natürlich nicht zustimmen. Bleiben wir mal bei dem letzten Teil Ihrer Aussage, dass Sie angegriffen werden. Ich sehe das umgekehrt: Seitdem ich mich öffentlich von der FDP losgesagt habe, werde ich persönlich von führenden Parteimitgliedern verunglimpft. Das ist Lindner, der mich als „Trübe Tasse“ bezeichnet, Kubicki, der sich über mein Alter lustig macht oder Michael Theurer, der Lucke als „Salonfaschisten“ bezeichnet. Die AfD war einmal eine Ein-Themen-Partei. Inzwischen haben wir aber ein Programm, das klarstellt, was wir wollen: Keinen Zentralstaat, sondern ein Europa der Vaterländer, wie es Charles de Gaulle wollte.

LAMBSDORFF: Man sollte nicht jedes Wort im Wahlkampf auf die Goldwaage legen. Manchen Begriff finde ich auch unglücklich. Aber wenn die FDP bezichtigt wird, keine liberale Partei mehr zu sein, ist das für uns ebenfalls ein Angriff auf den Charakter. Und wenn man wie die AfD behauptet, man sei für ein Europa der Vaterländer, und es dann so strukturieren will, dass gemeinsam gar nichts mehr gestaltet werden kann, dann muss man auch so ehrlich sein und sagen: Wir wollen die EU auflösen.

HENKEL: Nein, das stimmt nicht. Das ist eine Unterstellung, die aus dem Parteiprogramm überhaupt nicht hervorgeht. Im Gegenteil: Wir bekennen uns explizit zur EU. Aber wir sind der Meinung, dass sie Dinge macht, die dort nichts zu suchen haben. Wir haben zum Beispiel eine Kommissarin für Bildung. Können Sie mir mal sagen, wieso sich Europa in die Bildung einmischt?

LAMBSDORFF: Ich habe Ihr Programm gelesen, das ergibt sich sehr wohl.

Frage: Das sind Fragen, die sich auch Wähler jetzt stellen. Allerdings scheint sich die Bevölkerung nicht sonderlich für die Europawahl zu interessieren. Woran liegt das?

LAMBSDORFF: Natürlich wünsche auch ich mir eine höhere Wahlbeteiligung. Wir haben jetzt zum ersten Mal Spitzenkandidaten der europäischen Parteien. Aber was passiert? In Deutschland werden Martin Schulz und Jean-Claude Juncker, Sozialdemokrat und Christdemokrat, ins Fernsehen geschoben. Die rühren dort eine derart fade Konsenssoße an, dass ich Bürger verstehen kann, die sagen, das ist doch langweilig. Da hätte ich, und das sage ich als Liberaler, lieber noch Alexis Tsipras von den Linken gesehen oder unseren Kandidaten Guy Verhofstadt, dann gäbe es wenigstens klar konturierte Positionen, dann würde erkennbar, dass die Bürgerinnen und Bürger eine Wahl zwischen unterschiedlichen Politikentwürfen haben.

HENKEL: Ich bin der Meinung, dass die AfD einen großen Beitrag zu einer höheren Wahlbeteiligung leistet. Die Bundestagswahl hat gezeigt: Die größte Quelle unter den AfD-Wählern waren jene, die bisher selten zur Wahl gegangen sind.

Frage: Laut Umfragen können Eurokritiker, EU-Gegner und Rechtspopulisten mit großen Erfolgen rechnen. Freuen Sie sich darüber, Herr Henkel?

HENKEL: Nee, überhaupt nicht...

LAMBSDORFF: ...das werden doch dann ihre Fraktionskollegen sein!

HENKEL: Also mein lieber Graf Lambsdorff, wir haben schon X mal gesagt, dass für uns eine Koalition mit Marine Le Pen. Für uns kommt Herr Wilders auch nicht in Frage. Selbstverständlich auch die Ukip nicht. Wegen ihres ausländerfeindlichen Wahlkampfs in Großbritannien, vor allem aber deshalb, weil sie die EU nicht will. Wir wollen die EU!

Frage: Also wird es nach der Wahl keinerlei Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten geben?

HENKEL: Kommt nicht in Frage, das sagen wir seit Monaten! Trotzdem wird es uns immer unterstellt. Wir wollen mit Parteien kooperieren, mit denen man kooperieren kann, zum Beispiel mit den britischen Konservativen. Wären wir auf die Mitarbeit von Populisten angewiesen, würden wir lieber ganz alleine sein.

LAMBSDORFF: Als Solisten haben Sie null Einfluss. Sie werden das Parlament als Bühne bekommen, um ihre Botschaften loszuwerden, aber mitgestalten werden sie nichts.

HENKEL: Sie irren. Wenn diese sechs, sieben, acht Personen von der AfD kommen, fallen wir schon dadurch auf, dass zum ersten Mal eine Gruppe deutscher Abgeordneter in dieses Parlament geht, die kompetent ist. Das sind nicht Leute, die ihr Leben lang in der Politik verbracht haben...

LAMBSDORFF: ...das ist jetzt eine sehr steile These (lacht).

HENKEL: Ja. Das sind Leute, die haben zugegebenermaßen nicht so viel Politikererfahrung wie Sie, der seit zehn Jahren im Parlament sitzt. Das ist eine neue kompetente Gruppe, die keine politische Erfahrung hat, aber dafür Erfahrung im Leben.

Frage: Graf Lambsdorff, wie erklären sie sich denn die Erfolge der Populisten?

LAMBSDORFF: Dort, wo sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, wächst Radikalität, gerade in Frankreich. Das heißt nicht, dass es keine Kritik an Europa geben muss. Ich bin auch der Meinung, dass wir zu viele Kommissare haben.

HENKEL: In Großbritannien ist das etwas anderes, dort wächst die Wirtschaft zurzeit ganz gut, aber es gibt trotzdem diese enorme Enttäuschung über Europa, obwohl es dort gar keinen Euro gibt. Denn als Nebenprodukt dieser Euro-Rettungspakete marschiert die EU in Richtung Zentralstaat und Gleichmacherei, was die Briten nicht wollen. Wenn die Briten aussteigen, verlässt das letzte Land mit gesundem Menschenverstand die EU.

LAMBSDORFF: Der Euro ist schuld an der britischen Euroskepsis? Das ist doch Unsinn, bleiben Sie doch bitte seriös! Die UKIP gab es vor dem Euro und die Tories waren auch schon vorher euroskeptisch. Die britische Euroskepsis hat ganz andere Gründe: Großbritannien hat eine Auffassung vom europäischen Integrationsprozess, die auf „cherry picking“, auf „Kirschen pflücken“, beruht – wir nehmen das, was für uns gut ist und wir lassen das, was nicht gut ist.

HENKEL: Sehen Sie mal, was im Süden Europas los ist. Die Arbeitslosenraten in Frankreich, Spanien oder Griechenland sind besorgniserregend. Der französische Premier hat vor ein paar Tagen gesagt, der Euro ist zu schwer, und er hat Recht. Der Süden kann eben nicht mehr seine Waren verkaufen, und das ist einer der Hauptgründe für die Probleme in diesen Ländern. Die Italiener konnten immer, wenn sie Reformen nicht geschafft haben, die Lira abwerten...

Frage: Aber zwingt der Euro diese Länder nicht zu wichtigen Reformen?

HENKEL: Natürlich, aber die Reformen greifen nicht genug. Eine einheitliche Politik für alle in völlig unterschiedlichen kulturellen Verhältnissen funktioniert nicht.

LAMBSDORFF: Wir reden hier von angeblich dramatischen Unterschieden innerhalb Europas, während unsere Betriebe doch längst in der Globalisierung angekommen sind! Die wahren Unterschiede existieren mit China, den USA, mit Indien. Der Euro sorgt dafür, dass in den Krisenländern endlich nicht mehr nur abgewertet, sondern dass Europa insgesamt wettbewerbsfähiger wird. Deshalb ist es richtig, beim Euro zu bleiben, zumal die Auflösung der Eurozone volkswirtschaftlich eine absolute Katastrophe wäre. Wir können ja nicht einfach zurückkehren zu nationalen Währungen, wir hätten dann ja faktisch 18 Währungsreformen...

HENKEL: ... ach Quatsch. Also hören Sie auf ...

LAMBSDORFF: ... Herr Henkel, das ist nicht Quatsch, das ist objektiv richtig!

HENKEL: ... gut, also dann ist es Ihre Objektivität. Aber erst einmal zu den großen Erfolgen im Süden: Es ist sicherlich richtig, dass sie sich enorm anstrengen, aber sie wachsen nicht. Italien tut nichts, und Frankreich tut überhaupt nichts, und das ist die allergrößte Gefahr für den Verbund. Die Folge: Wir Deutschen müssen runter mit unserer Produktivität.

Frage: Graf Lambsdorff, sind Sie mit dem Fortschritt der Reformen zufrieden, die durch den Euro angestoßen wurden?

LAMBSDORFF: Ja. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg. Niemand redet die Lage schön, aber die Indikatoren im Süden entwickeln sich in die richtige Richtung, ganz gleich, ob Sie Leistungsbilanzen, Lohnstückkosten oder die öffentlichen Haushalte nehmen. Die Krise ist noch nicht vorbei, aber jetzt exportieren wir liberale Wirtschaftspolitik in den Süden Europas. Endlich schaffen wir es, weil wir den Euro haben. Und dann haben wir wieder die AfD, die sagt: Obwohl es in die richtige Richtung geht, sprengen wir die Eurozone trotzdem in die Luft.

HENKEL: Nein, das stimmt nicht!

LAMBSDORFF: Entschuldigung, das haben Sie doch gerade gesagt.

HENKEL: Das ist schon witzig. Die gleichen Leute, die immer sagen, die AfD sei eine Partei der Angstmacher, machen den Leuten selber dauernd Angst. „Wir sprengen den Euro in die Luft“, also das ist eine Verwechslung.

LAMBSDORFF: Herr Henkel, Sie haben ein Plakat mit einer Bombe und dem Euro drauf. Das ist nicht meine, das ist ihre Bildsprache!

HENKEL: Quatsch! Ich kenne das Plakat nicht, es ist nicht von der Partei autorisiert. Wer weiß, wer das entworfen hat.

Frage: Außer einer Explosion – welchen Ausweg gibt es aus der Euro-Krise?

LAMBSDORFF: Zwischen Eurobonds, wie sie Schulz und Juncker wollen, und der Auflösung der Eurozone gibt es einen Kurs, der heißt: Nerven bewahren, Kurs halten und Reformen wirken lassen.

HENKEL: Ach, ich lach mich tot! Sie wissen doch, was die EZB vorhat. Die wollen jetzt eine Billion auf den Markt schmeißen, damit wir endlich mehr Inflation bekommen. Die Europäische Bankenunion bedeutet eine Risikoübernahme deutscher Sparer für die Zockerei südeuropäischer Banken. Und die angeblich tollen Fortschritte der südeuropäischen Länder sehe ich nicht.

Frage: Griechenland ist immerhin wieder an den Finanzmarkt zurückgekehrt…

HENKEL: Aber die Verschuldung steigt immer weiter.

LAMBSDORFF: Sie reden von Schulden. Sie meinen aber die Schuldenquoten. Natürlich steigen Schuldenquoten bei sinkender Wirtschaftsleistung. Sie übersehen aber die Reformen, die gemacht worden sind. Sobald die Wirtschaft wieder Tritt fasst, und dafür gibt es erste Anzeichen, werden die Schuldenquoten massiv sinken. Nerven bewahren, Herr Henkel!

HENKEL: Griechenland braucht doch wieder Geld. Herr Schäuble sagt, diesmal werden wir den Griechen kein Rettungspaket geben. Demnächst gibt er denen einen Kredit über 50 Jahre zu einem Prozent. Das ist kein Kredit, das ist ein Geschenk!

LAMBSDORFF: Herr Lucke will lieber gleich einen vollständigen Schuldenschnitt machen.

HENKEL: Recht hat er. Das Geld ist sowieso weg. Wir müssen da raus, je eher desto besser!

LAMBSDORFF: Na bitte!

Frage: Hätte das nicht schwere politische Verwerfungen zur Folge?

HENKEL: Es ist umgekehrt: Der Euro richtet nur Zwist und Zwietracht an. Wir alle wissen aus Umfragen, dass Deutschland die beliebteste Nation in Griechenland war – vor der Euro-Krise. Als Frau Merkel das letzte mal da war, musste sie von Tausenden Polizisten beschützt werden. Auch das deutsch-französische Verhältnis ist in einem katastrophalen Zustand, weil man sich dauernd in die Haare gerät über unterschiedliche ökonomische Ansichten.

LAMBSDORFF: Wir können nicht so tun, als könnten wir einfach zu nationalen Währungen zurückkehren. Ihre Idee mit einem Nord- und einem Südeuro kann nicht funktionieren. Ein wichtiges politisches Integrationsprojekt kann nicht an der Nahtstelle zwischen Deutschland und Frankreich auseinanderdividiert werden. Das ist das Gegenteil all dessen, was wir aus unserer Geschichte gelernt haben.

Frage: Zeigt nicht auch die Krise in der Ukraine, dass die EU mit einer Stimme sprechen muss?

LAMBSDORFF: Ich glaube, dass die Position der EU in dieser Krise geschlossen ist. Das ist positiv, weil wir ansonsten außerhalb Europas nicht wahrgenommen werden. Der Völkerrechtsbruch auf der Krim ist so schwer, dass man nicht zur Tagesordnung übergehen kann. Deshalb halte ich Sanktionen für richtig. Wir müssen aber den Gesprächskanal nach Moskau offen halten.

HENKEL: Ich habe als Mitglied von Amnesty International immer wieder erlebt, dass im Gefolge von deutschen Auslandsinvestitionen auch Werte, Ideen und Menschenrechte rüber gehen. Wenn wir Sanktionen gegen irgendein Land verhängen, vergeben wir diese Chance. Aber ich würde Sanktionen unterstützen, die sich gegen einzelne korrupte Personen richten.

Frage: Und Putins Politik?

HENKEL: Es war alles ungesetzlich, was Putin da gemacht hat. Aber die EU hat sich in der Ukraine nicht mit Ruhm bekleckert.

Frage: Viele deutsche Unternehmer haben den St. Petersburger Wirtschaftsgipfel abgesagt. Siemens-Chef Kaeser hat viel Kritik eingesteckt, weil er vor kurzem Putin besucht hat.

HENKEL: Ich persönlich fand es nicht gut, dass er das gemacht hat. Ich fand das illoyal.

Frage: Sie hatten als BDI-Chef aber auch keine großen Berührungsängste mit Fidel Castro.

HENKEL: Das war als BDI-Chef, nicht als Chef der IBM Deutschland, das ist was anderes. Ich habe mich als BDI-Chef mit Fidel Castro viermal stundenlang über Menschenrechte unterhalten. Und ich habe mitgeholfen, ihm die Todesstrafe auszureden, die in Kuba seit 2003 ausgesetzt ist.

Frage: Wir hatten das Gespräch angefangen damit, dass sie eine Wahlempfehlung für die FDP abgeben sollten. Können Sie vielleicht zum Abschluss eine Einschätzung abgeben, wie die FDP bei der Wahl abschneiden wird?

HENKEL: Puhh, ich würde sagen: Weniger als die Hälfte von uns.

LAMBSDORFF: Die Leserinnen und Leser kennen die Umfragen. Wer daran glauben möchte, der mag das tun. Wir werden am Wahlabend sehen, wie die Wähler entschieden haben.

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