02.05.2014FDPEuropa

LAMBSDORFF-Interview für das „Badische Tagblatt“

Berlin. Der Spitzenkandidat zur Europawahl und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „Badischen Tagblatt“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Dieter Giese:

Frage: Graf Lambsdorff, die FDP sitzt derzeit mit einem guten Dutzend Abgeordneten im Europaparlament. Eine große deutsche Tageszeitung hat kürzlich spekuliert, dass es deutlich einsamer um sie werden könnte. Haben sie Hoffnung, dass es nicht ganz so schlimm wird?

LAMBSDORFF: Die FDP hat bei der Bundestagswahl eine schwere Schlappe erlitten, das tut schon noch weh. Aber seither ist schon einiges passiert. Wir haben einen neuen Vorsitzenden, wir machen einen engagierten Wahlkampf und wir arbeiten daran, das verlorene Vertrauen zurück zu gewinnen. Wir wissen natürlich auch, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis man aus so einem Tal wieder heraus ist.

Frage: Die europakritischen Stimmen werden lauter, sind vielerorts auf dem Vormarsch. Kann es sich die FDP noch leisten, auf europakritische Inhalte im Wahlkampf zu verzichten?

LAMBSDORFF: Ist es nicht merkwürdig, dass sich in Deutschland diejenigen rechtfertigen müssen, die für ein starkes und erfolgreiches Europa sind? Und nicht diejenigen, die eine Rolle rückwärts zu Nationalismus und Abschottung propagieren? Die FDP hat über viele Jahrzehnte lang deutsche Außenpolitik erfolgreich gestaltet, auch unsere Europapolitik. Wir stehen zur Europäischen Union. Aber wir sprechen auch die Punkte an, die unserer Meinung nach geändert oder verbessert werden müssen. Wir sagen zum Beispiel, dass unser Mittelstand von Bürokratie entlastet werden muss. Und wir fordern als einzige Partei ganz klar: Die Ökodesign-Richtlinie muss weg. Ihr verdanken wir das Glühbirnenverbot, die Kaffeemaschinen-Diskussion und die Debatte um Staubsaugermotoren. SPD und Grüne, die jetzt plötzlich behaupten, sie seien auch gegen Bürokratie, haben all den bürokratischen Belastungen für Bürger und Unternehmen immer zugestimmt.

Frage: Ich frage mal anders herum: Wie muss sich die EU, das EU-Parlament verändern, dass es von den Bürgern nicht nur wahrgenommen, sondern als Alternative anerkannt wird?

LAMBSDORFF: Europa muss im Großen groß sein und im Kleinen klein. Bücher zum Beispiel können wir in Luxemburg im Internet einkaufen, Käse aus Holland im Supermarkt, aber Strom aus Finnland oder Frankreich – das geht nicht, obwohl er dort billiger ist als bei uns. Da brauchen wir einen gemeinsamen Markt. Wir wollen auch eine gemeinsame Außenpolitik für Europa, die diesen Namen wirklich verdient. Also: im Großen groß. Im Kleinen aber wollen wir, dass sich Europa auch kleiner macht – und deshalb habe ich Ökodesign-Richtlinie eben angesprochen.

Frage: Und das Europaparlament selber?

LAMBSDORFF: Wir müssten zum Beispiel viel weniger tagen. Im Moment haben wir 40 Sitzungswochen im Jahr, der Bundestag ungefähr 20. Das führt dazu, dass wir Europa-Abgeordneten nicht oft genug im Wahlkreis sein können, um zu erklären, was in Brüssel entschieden wurde, aber auch nicht da sein können, um zuzuhören, was die Bürger bewegt. Martin Schulz hat es verpasst, als Parlamentspräsident diese Reform endlich voranzubringen.

Frage: Am Europaparlament selbst wird aber auch aus anderen Gründen viel herumgenörgelt: Die verschiedenen Tagungsorte machen, so heißt es, die Demokratie in Europa unnötig teuer. Und auch die Größe ist für viele ein Problem: Muss sich das EU-Parlament vergrößern oder verkleinern?

LAMBSDORFF: Der Reisezirkus in der EU muss weg. Da ist die FDP ganz klar: Wir wollen einen Sitz für das Europäische Parlament. In der anderen Frage gibt es eine gute Nachricht: das Europaparlament wird ab dem Sommer kleiner sein. Die maximale Größe ist festgelegt auf 750 Abgeordnete plus den Parlamentspräsidenten. Damit wird das Parlament etwas kleiner, und das ist auch in Ordnung so.

Frage: Noch kleiner würde aus arithmetischen Gründen nicht gehen?

LAMBSDORFF: Ja, so ist es, weil wir große und kleine Mitgliedsstaaten haben. Es gibt ja jetzt schon Debatten darüber, wer wie viele Wählerinnen und Wähler vertritt. Wenn wir zu klein werden, dann haben die Abgeordneten in den großen Mitgliedssaaten zu viele Wähler, die sie vertreten, während aus den kleinen Mitgliedsstaaten nur noch ein Abgeordneter oder gar keiner mehr da ist. Damit wäre der Sinn des Parlaments als Ausdruck der Demokratie in Europa nicht mehr gewährleistet.

Frage: Wie viele Wähler vertreten Sie gerade im Europaparlament?

LAMBSDORFF: 850 000. Und wenn man diese Zahl kombiniert mit den 40 Sitzungswochen, dann sieht man, dass es schwer es ist, mit genug Menschen im Wahlkreis zu sprechen und zu hören, wo der Schuh drückt.

Frage: Alle geben dem Markt die Schuld für die Wirtschafts- und Finanzkrise, Sie eher nicht. Sie sagen, dass vielmehr „das Fehlen ausgeglichener Haushalte, entschlossener Reformen und liberaler Wirtschaftspolitik“ gewesen sei. Ist das nicht ein bisschen zu einfach, wenn man sich einige Ursachen anschaut?

LAMBSDORFF: Das ist ja keine einfache Antwort, sondern es sind drei verschiedene Gründe, die für sich genommen zutreffend sind und die zudem auch noch ineinander greifen. Ausgeglichene Haushalte: Griechenland hat so über die Stränge geschlagen, dass es zahlungsunfähig war und wir es retten mussten. Liberale Wirtschaftspolitik: Wenn sie Arbeitsplätze schaffen wollen, dann brauchen sie flexiblere Arbeitsmärkte, wettbewerbsfähige Unternehmen und Entbürokratisierung. Das sind Dinge, die in Griechenland, Italien und Spanien seit Jahrzehnten stocken. Entschiedene Reformen: Es reicht doch ein Blick nach Frankreich, um zu sehen, dass ohne Reformen die eigene industrielle Basis in Gefahr gerät, jetzt ist auch noch Alstom zum Übernahmekandidaten geworden. Dass aber die Marktwirtschaft als solche an der Krise schuld sein soll, ist ein Märchen, das die Linken gerne erzählen, das aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Wir haben doch in Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien eine soziale Marktwirtschaft und da geht es den Menschen besser als in Ländern, die sozialistischen Träumereien nachhängen.

Frage: Wie neoliberal ist die FDP, wie neoliberal sind die Liberalen im EU-Parlament?

LAMBSDORFF: Wir sehen uns in der Tradition von Ludwig Erhard, Wilhelm Röpke, Walter Eucken und den anderen großen Volkswirtschaftlern der Freiburger Schule, die die soziale Marktwirtschaft begründet haben. Die haben sich selbst als „neo“- oder „ordoliberal“ bezeichnet – eben weil sie der Marktwirtschaft Regeln gegeben haben. In dieser Tradition sieht sich die FDP. Wir wollen eine soziale Marktwirtschaft, in der der Staat die Regeln setzt, aber die Unternehmen im freien Wettbewerb miteinander stehen, um zum Wohle der Verbraucher Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.

Frage: Warum ist die Forderung: „Raus aus dem Euro“ eigentlich so gefährlich?

LAMBSDORFF: „Raus aus dem Euro“ bedeutet, dass wir 18 Währungsreformen durchführen müssten, denn wir können ja nicht einfach zurück zur alten D-Mark oder zum alten Franc. Das wären alles neue Währungen, auch wenn sie die alten Namen bekämen. Wir müssten dann sofort Kapitalverkehrskontrollen einführen in Europa, weil bestimmte Länder ihre Staatsangehörigen zwingen müssten, die jeweils neue nationale Währung zu behalten. Danach hätten ganz schnell wieder Personenkontrollen in Europa, denn natürlich würden viele versuchen, die weicheren Währungen über Grenzen zu bringen und in Hartwährung umzutauschen. Mit anderen Worten: Wir hätten die Rückabwicklung der großen Freiheiten, die wir innerhalb der EU geschafft haben – das ist ein ganz gefährlicher und ganz sicher der falsche Weg.

Frage: Warum, Herr Lambsdorff, ist Kritik an dem angestrebten Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA „haltlos und gefährlich“?

LAMBSDORFF: Da schaukelt sich im Internet eine Kampagne mit Halbwahrheiten und gezielter Agitation auf – man kann schon fast sagen: Propaganda. Tatsache ist, dass die beiden größten Wirtschaftsräume der Welt durch eine engere und bessere Verbindung, durch den Abbau von Zollsätzen, die Anerkennung von Produktstandards und verbesserten Marktzugang viel, viel Wohlstand und viele Arbeitsplätze schaffen können. Dies gilt übrigens gerade in den Ländern Südeuropas, wo die Jugendarbeitslosigkeit so hoch ist. Denn diese Länder bieten vor allem landwirtschaftliche und Lebensmittelprodukte an, die sich der normale Verbraucher in Amerika bisher gar nicht leisten kann.

Frage: Wenn man ein Freihandelsabkommen schafft, kommt es immer darauf an, wer die Spielregeln setzt. Da fürchten viele den Druck der USA. Können Sie den Bürgern die Angst nehmen?

LAMBSDORFF: Wir sollten ruhig ein bisschen selbstbewusster sein: Unsere Wirtschaft ist größer als die amerikanische. Nur ein Beispiel dafür, wer die Standards setzt: Alle Handys in Amerika funktionieren nach dem europäischen Standard GSM. Was Gen-Produkte anbelangt: Die Menschen können sich darauf verlassen, dass wir unsere Verbraucherschutzstandards nicht einen Millimeter absenken. Es wird keine Chlorhühnchen, kein Hormonfleisch und keine Genprodukte geben. Das Abkommen wird in voller Transparenz dem EU-Parlament vorgelegt. Und wir werden sehr genau prüfen. Die FDP wird unsere Standards schützen, da können sich die Bürgerinnen und Bürger drauf verlassen.

Frage: In der Ukraine überstürzen sich die Ereignisse, Sie gehören in dieser angespannten Lage zu den besonneneren Politikern. Wie geht es weiter?

LAMBSDORFF: Wir haben es auch in den dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges geschafft, einen Gesprächskanal nach Moskau offenzuhalten. Das halte ich auch jetzt für notwendig. Gleichzeitig sage ich aber auch: Der schwere Völkerrechtsbruch, die erste Annektion in Europa seit 1945 muss beantwortet werden. Denn hier wird die Axt an unsere Friedens- und Stabilitätsordnung in Europa im Rahmen der OSZE gelegt, also an das Lebenswerk von Hans-Dietrich Genscher. Insofern sage ich: Wir brauchen Druck gegenüber Moskau – deshalb sind die Sanktionen richtig. Aber wir dürfen den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen.

Frage: Das ist eine schwierige Verhandlungsposition.

LAMBSDORFF: Das ist so, aber wir haben nun einmal eine Situation, in der sich Russland in einer Art und Weise verhält, die wir nicht gutheißen können. Auf der anderen Seite gilt das Diktum Hans-Dietrich Genschers unverändert: Es gibt in Europa keine Sicherheit und keine Stabilität ohne, oder gar gegen, sondern nur mit Russland.

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