29.05.2017FDPAußenpolitik

LAMBSDORFF-Interview: Europa muss jetzt vorangehen

Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab „Deutschlandfunk Kultur“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Liane von Billerbeck.

Frage: Sechs Seiten umfasst ja die Abschlusserklärung des G7-Treffens. Normalerweise sind das 30 bis 40. Man könnte sagen, ist ja Effizienz, wenn man kurz zusammenfasst, was da so besprochen und zusammengefasst worden ist. Alles deutet aber darauf hin, dass dieses erste Treffen mit dem US-Präsidenten schlicht in die Hose ging und hinter den ja bekanntlich ohnehin nicht großen Erwartungen zurückgeblieben ist. Ist das auch Ihre Einschätzung?

Lambsdorff: Das ist auch meine Einschätzung. Wenn man sich die großen Themen mal anschaut, um die es hier geht, die internationale Handelspolitik, die Klimapolitik, die große strategische Frage insbesondere für Europa, aber auch für viele Entwicklungsländer, was passiert in der Flüchtlingsfrage, dann sind das alles Themen, bei denen man sich nicht einigen konnte, und ich glaube, wir merken jetzt anhand einer solchen Erklärung, anhand des ziemlich desaströsen Gipfels, was es bedeutet, wenn unser System, an das wir uns in den letzten Jahrzehnten gewöhnt haben, das System der internationalen Zusammenarbeit, in schweres Fahrwasser gerät, das sind unangenehme Zeiten, die da auf uns zukommen.

Frage: Die Kanzlerin hat es ja gestern gesagt: Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt: Sie hat die USA nicht direkt angesprochen, auch Trump nicht direkt, aber das wollte sie vermutlich sagen: Die Zeiten, in denen wir uns völlig auf die USA verlassen konnten, die sind endgültig vorbei.

Lambsdorff: So ist es auch in Amerika angekommen. Wenn Sie heute Morgen die „Washington Post“ lesen online, dann ist das die erste Meldung. Die Amerikaner haben sehr genau gesehen, dass zwar Großbritannien, England immer behauptet hat, es habe eine special relationship mit den USA. Tatsache ist aber, in den letzten Jahren, ja im Grunde seit Ende des Kalten Krieges, war die deutsch-amerikanische Beziehung eigentlich die wichtigere. Und dass jetzt die Bundeskanzlerin, die ja nun von Präsident Obama die Medal of Freedom bekommen hat – eine der höchsten Auszeichnungen, die es überhaupt gibt weltweit –, diesen Satz sagt, hat auch in Amerika viele schockiert, und es bedeutet im Umkehrschluss – und ich bin da der Meinung der Kanzlerin, ich finde allerdings das ist etwas spät, dass das gekommen ist –, dass Europa jetzt unter deutscher und französischer Führung mit den Institutionen, der Kommissionen und anderen vorangehen muss und überlegen: Wo müssen wir unsere Zusammenarbeit so vertiefen, dass für den Fall, dass man sich eben auf die USA nicht verlassen kann, dass wir da in der Lage sind, unsere Werte und unsere Interessen zu schützen.

Frage: Das könnte man ja auch einen positiven Aspekt nennen, was der Gipfel da ganz deutlich gezeigt hat: Wir müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen, aber da hört man natürlich sofort wieder auch einen Wink an die Innenpolitik. Das heißt, die Verteidigungsausgaben müssen zum Beispiel hoch.

Lambsdorff: Ja, und ich glaube, wir müssen eines klar sehen: Manches, was jetzt an Äußerungen so gekommen ist, auch schon in den letzten ein, zwei Jahren, wenn wir an die Handelspolitik denken beispielsweise, diese fürchterliche Anti-TTIP-Kampagne, die ja mit Lügen, mit Fake News, mit alternative facts auch bei uns in Deutschland geführt wurde, das System des internationalen Handels ist zu empfindlich, als dass man es gefährden dürfte. Das Zweite ist in der Tat die Verteidigungspolitik. Die Bundeswehr ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten – das weiß jeder, wer sich ein wenig damit beschäftigt – kaputtgespart worden. Es geht also nicht um Aufrüstung, wenn wir mehr für die Verteidigung tun. Es geht darum, die Bundeswehr in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben wahrzunehmen. Trotzdem, dass jetzt insbesondere die SPD bereits einen Bundestagswahlkampf, eine Ouvertüre zum Bundestagswahlkampf, wo sie sich als deutsche Friedenspartei positionieren versucht, ignoriert aber völlig die globalen tektonischen Verschiebungen, die sich um uns herum abspielen. Also wir müssen raus aus der Provinzialität, und wir müssen rein in ein tieferes Verständnis darüber, dass Europa – und das geht nicht ohne Deutschland – jetzt zum Produzenten von Stabilität werden muss. Wir waren bisher ein Konsument von Stabilität. Jahrzehntelang haben die Amerikaner das subventioniert, die haben das internationale System entworfen, designt, wenn man so will, gestaltet und getragen, auch finanziert. Die Zeiten scheinen tatsächlich mindestens teilweise vorbei zu sein, und das bedeutet nun mal, dass wir vielleicht manche kleinteilige Debatte in Berlin ein bisschen größer in einen bisschen größeren Kontext stellen sollten und nicht uns im Detail verlieren.

Frage: Nun fand ja das G7-Treffen auf Sizilien statt, und die Flüchtlingsfrage, die hatte man dort eigentlich genau vor Augen. Dennoch gab es keine grundsätzliche Einigung. Statt mehr Geld für Waffen mehr Geld für Flüchtlinge, Projekte in Afrika – wäre das auch Ihr Interesse?

Lambsdorff: Es ist das vitale Interesse Europas. Auch hier wiederum eine Debatte, die von Berlin aus über Jahre verschleppt worden ist. Italien, Griechenland haben ja schon vor Jahren, lange vor der aktuellen Flüchtlingskrise gesagt, dass die gesamte europäische Asyl-, Einwanderungs-, Flüchtlingspolitik überprüft werden muss, dass das System von Dublin nicht funktionieren wird in einer echten Krise. Was haben die Regierungen in Berlin gesagt? Sie haben gesagt: Nein, wir sitzen hoch und trocken, Italien muss mit den Problemen alleine zurechtkommen. Tatsache ist, Italien konnte überhaupt nicht mit den Problemen alleine zurechtkommen. Das heißt, die Flüchtlingspolitik zur europäisieren, auch jetzt mit den anderen Ländern darüber zu sprechen, wie man Solidarität in der Europäischen Union organisiert, das sind auch Fragen, bei denen man raus muss aus der kleinteiligen nationalen Denke hin zu einem gesamteuropäischen Entwurf, und ja, natürlich kostet sowas Geld, natürlich kostet sowas Geduld und Überzeugungskraft, dass man auch mit den osteuropäischen Nachbarn noch mal redet, aber es führt kein Weg daran vorbei, dass wir uns in dieser Frage richtig positionieren. Wir dürfen ja eines nicht vergessen: Die USA sind von der Flüchtlingskrise strategisch, geostrategisch einfach völlig anders berührt, nämlich viel weniger als wir. Vor unserer Haustür liegt Afrika, vor unserer Haustür liegt der Nahe und Mittlere Osten. Mit anderen Worten, das ist ein europäisches, vitales Interesse, hier etwas zu erreichen.

Frage: Drohender Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen, das ist das Thema, das können wir gar nicht ausführlich besprechen, Herr Lambsdorff, aber ganz kurz: Trump will entscheiden, ob die USA aussteigt. Was bedeutet das?

Lambsdorff: Wenn die Amerikaner tatsächlich aussteigen würden, dann wäre ein wesentlicher Baustein und wesentlicher Teil des Erfolges von Paris weg. Es war ja interessant, dass die USA da so mitgemacht haben, wie sie mitgemacht haben. Auch hier hieße das dann, dass die Europäer zum Stabilitäts-, zum Systemstabilisator werden müssten. Das heißt, auch hier müssten wir Beschlüsse fassen, die in die Zukunft weisen, und das bedeutet dann für alle Parteien in Berlin, für alle auch in diesem Bundestagswahlkampf, nach vorne zu schauen, europäisch zu denken, global zu denken in der Klimafrage, vielleicht darauf zu hoffen, dass die Chinesen sich ernsthaft als Partner entwickeln – bisher ist das mehr Rhetorik –, aber es ist jedenfalls eine sehr besorgniserregende Situation.

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