LAMBSDORFF-Interview: Die Türkei kann der EU nicht beitreten
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag“ (Samstag-Ausgaben) das folgende Interview. Die Fragen stellten STEFAN BEUKE und JULIAN HELDT:
Frage: Graf Lambsdorff, Donald Trump wird neuer Präsident der Vereinigten Staaten. Was können Sie als Politiker aus der US-Wahl lernen?
LAMBSDORFF: Viele Menschen haben wirtschaftliche Abstiegsängste, das Gefühl, Globalisierung, Digitalisierung und Handel gefährdeten die eigene wirtschaftliche Existenz. Gerade bei vielen weißen Amerikanern war das zu beobachten. Darauf müssen wir eingehen. Hinzu kommt, dass manche Debatten in der Politik, aber auch in den Medien, keinen Bezug mehr zur Lebenswirklichkeit vieler ganz normaler Menschen haben. Wenn Sie beispielsweise den aus dem Ruder gelaufen Genderdiskurs nehmen und ihn mit den wirklichen Sorgen der Bevölkerung vergleichen, sehen Sie eine riesige Diskrepanz. In Flensburg gab es etwa den Antrag der Linksfraktion auf gendergerechte Bezeichnung von Büroartikeln.
Frage: Allerdings als Satire gemeint.
LAMBSDORFF: Ja, aber das irre ist doch, dass alle, die davon gehört haben, den Antrag ernst nahmen, weil sie sich selbst so etwas inzwischen als den nächsten logischen Schritt vorstellen können. Und genau gegen solche abgehobenen Eliten- Debatten, gegen so eine Art von Einmischung in ihr tägliches Leben haben sich die Amerikaner mit ihrer Wahl gewendet. Schließlich hat sich Trump um diese Themen nie gekümmert und auf politische Korrektheit vollständig verzichtet.
Frage: Ein Erfolgsrezept auch für die etablierten Parteien?
LAMBSDORFF: Nicht direkt, aber die Botschaft, dass Politik sich nicht in alles einmischen soll und dass wir keine politische Sprachpolizei brauchen, ist schon eine, die wir hören sollten. Und alle demokratische Parteien muss umtreiben, dass es sowohl beim Gerechtigkeitsgefühl als auch beim Grundvertrauen in die politische Führung ganz offenbar Störungen gibt, auch bei uns. Dabei ist sowohl die Wirtschaft als auch die politische Kultur bei aller berechtigten Kritik im Einzelnen doch insgesamt nicht so schlimm, dass wir eine rechtspopulistische Partei brauchen.
Frage: Dennoch liegt die AfD in Umfragen teilweise bei 15 Prozent. Was bedeutet dies vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen, etwa im Mai in Schleswig-Holstein?
LAMBSDORFF: Erfreulicherweise liegt die AfD in Schleswig-Holstein nur bei sechs Prozent, wir als FDP sind bei zwölf Prozent und mit Wolfgang Kubicki auch prima aufgestellt. Ich bin überzeugt: Die AfD wird nicht erfolgreich sein, wenn es uns gelingt, Gerechtigkeitsgefühl und Grundvertrauen wieder zu stärken.
Frage: Wie haben Sie am Mittwochmorgen die Nachricht vom Trump-Erfolg aufgenommen?
LAMBSDORFF: Ich war schon sehr überrascht. Als ich um 6.30 Uhr die Nachrichten anmachte, führte Trump mit 244 zu 215 Stimmen. Ich hätte nicht gedacht, dass es ihm wirklich gelingen würde, Wisconsin und Michigan zu gewinnen. Dann habe ich angefangen, mich darauf einzustellen, dass nun jemand Präsident wird, der politisch ein völlig unbeschriebenes Blatt ist. Dabei ist wichtig, dass man zunächst einmal abwartet und nicht hysterisch reagiert, sondern schaut, was er aus seinem Wahlkampf wirklich in Politik überführen will. Denn die wenigsten Politikfelder sind bei ihm wirklich durchbuchstabiert.
Frage: Haben Sie Angst vor dem, was kommen könnte?
LAMBSDORFF: Nein. Ich habe sechs Jahre in den USA gelebt und dort die Anschläge von 9/11 miterlebt. Trump ist eine völlig unkonventionelle Wahl, aber die Amerikaner hatten mit Andrew Jackson schon einmal einen Populisten als Präsidenten. Trump vertritt nicht die Themen, die mir nahe sind. Ich schätze auch die Art und Weise nicht, wie er sie vertritt. Aber Angst ist kein guter Ratgeber.
Frage: Wie bereiten Sie sich als EU-Politiker auf die Zusammenarbeit mit Trump vor?
LAMBSDORFF: Ich fahre nächsten Monat nach Washington, wo wir ein Verbindungsbüro zum Kongress haben. Ich werde die Mitarbeiter bitten, mir Gesprächspartner zu benennen, die voraussichtlich in der Trump-Administration eine Rolle spielen. In der internationalen Politik zählen Vertrauen, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit, damit es gar nicht erst zu Missverständnissen kommt. Daher ist für mich eine schnelle Aufnahme des Gesprächsfadens so wichtig.
Frage: Ein zweites großes Thema, was uns dieser Tage umtreibt, sind die Verhaftungen von Oppositionspolitikern und kritischen Journalisten in der Türkei. Man hat das Gefühl, dass Europa ohnmächtig zuschaut. Macht die EU hier zu wenig?
LAMBSDORFF: Die Türkei ist auf dem Weg in die Diktatur. Aber die Mitgliedsstaaten der EU, auch unsere Bundesregierung, halten stur am Beitrittsprozess fest. Das ist ein Fehler. Ich kann Frau Merkel und Herrn Steinmeier nicht verstehen, dass sie Österreich nicht unterstützen, das den Mut hat zu sagen, dass es nichts mehr bringt. Die FDP hat ganz klar gesagt, dass die Türkei der EU nicht beitreten kann. Es ist an der Zeit, den Beitrittsprozess zu beenden. Er ist doch zutiefst unehrlich. Die EU tut so, als ob wir die Türkei aufnehmen wollen und die Türkei tut so, als ob sie beitreten will. Beide wissen, dass es nicht stimmt. Das Ergebnis ist eine vergiftete Atmosphäre. Wir müssen stattdessen einen Grundlagenvertrag ausarbeiten, in dem wir Gebiete der Zusammenarbeit ganz realistisch definieren.
Frage: Wie könnte die von Ihnen beschriebene Zusammenarbeit aussehen? In Deutschland wird gerne von einer „privilegierten Partnerschaft“ gesprochen.
LAMBSDORFF: Ich halte nichts davon, gleich ein Etikett draufzukleben. Wir sollten schauen, wo eine Zusammenarbeit sinnvoll ist. Mit der Türkei haben wir etwa eine Zollunion, die für Waren, aber nicht für Dienstleistungen gilt. Da kann man über eine Ausweitung reden, das wäre für die Wirtschaft ein großer Gewinn. In der Außen- und Sicherheitspolitik sind viele türkische Probleme auch unsere Probleme. Dies sehen wir am Beispiel Syrien. Die Türken legen großen Wert darauf, dass man bei allen Schwierigkeiten respektvoll miteinander umgeht. Dies vermisse ich in deutschen Debatten manchmal – insbesondere bei Äußerungen aus München. Wir brauchen die Türkei und die Türken brauchen uns, trotz aller Schwierigkeiten. Deshalb sollten wir klar in der Sache sein, aber respektvoll im Ton.
Frage: Brexit, keine Einigung bei der Flüchtlingsverteilung und mehr Nationalismus – die EU gibt derzeit kein gutes Bild ab. Was muss passieren, damit sie wieder attraktiver wird?
LAMBSDORFF: Wir müssen Erfolge auf den Feldern erzielen, die den Menschen besonders wichtig sind. Ich merke in vielen Gesprächen, dass das Top-Thema aus deutscher Sicht Sicherheit ist. Die Fortschritte hier sind minimal. Die europäische Polizeibehörde Europol ist nach wie vor ein zahnloser Tiger und hat keine eigene Ermittlungsbefugnis. Dabei brauchen wir ein europäisches FBI, das gemeinsam mit den nationalen Polizeibehörden ermittelt. Dies ist notwendig, weil Terroristen heute in Bratislava landen, nach Stuttgart zum Waffenhändler fahren, dann weiter nach Brüssel reisen und schließlich in Paris ein Attentat verüben. Wie soll eine nationale Polizeibehörde diese Punkte verbinden? Wir müssen zudem unsere Außengrenzen gemeinsam schützen. Wir brauchen eine europäische Agentur, bei der die Grenzschutzbeamten auch angestellt sind. Diese müssen vor Ort aus eigener Lagebeurteilung handeln und entscheiden dürfen. Bisher müssen sie jeden Schritt mit der Regierung des Landes abstimmen, auf dessen Boden sie sich gerade befinden. Bis das erfolgt ist, ist es oft schon zu spät.