05.01.2017FDPFDP

KUBICKI-Interview: Wir müssen den Liberalismus nicht neu erfinden

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab der „Stuttgarter Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe) und „stuttgarter-zeitung.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Thomas Maron:

Frage: Herr Kubicki, was erzählen Sie auf dem Dreikönigstreffen denen, die sich 2013 von der FDP abgewandt haben?

Kubicki: Die Menschen haben sich damals vor allem deshalb abgewandt, weil die Führung meiner Partei in den Jahren 2009 bis 2013 das Gefühl vermittelt hat, nichts durchsetzen zu können. Die Klage darüber, Mutti lasse uns keine Luft zum Atmen und die Union gönne uns nichts, war ein Ausweis von Kleinmütigkeit. Und wer sich klein macht, wird auch klein gewählt. Man darf außerdem nicht den Eindruck vermitteln, mit der Übernahme eines Ministerpostens ende der eigene politische Gestaltungswille. Diese Lektion haben wir gelernt. Die jetzige Führung der Freien Demokraten würde so etwas nicht mehr zulassen. Keiner wird aber bestreiten, dass im Bundestag jetzt eine Stimme der wirtschaftlichen Vernunft fehlt. Alle reden darüber, wie man Geld verteilen kann, aber keiner darüber, wie man es erwirtschaftet. Diskutiert wird nur über die Ränder der Gesellschaft, die Ärmsten und die Superreichen, aber nicht über die schuftende Mitte, die sich im Stich gelassen fühlt. Ich glaube deshalb, dass der Bundestagswahlkampf von der Frage geprägt wird: Wer sichert unser Wohlstandsniveau in der Zukunft? Und da haben wir die Nase vorn.

Frage: Und wie genau wollen Sie das schaffen?

Kubicki: Wir müssen den Liberalismus nicht neu erfinden. Die FDP will die Menschen befähigen, aus ihrem Leben das Beste zu machen, statt sie zu erziehen. Das war so und das wird so bleiben. Deshalb reden wir nicht nur über eine Entbürokratisierung für die mittelständische Wirtschaft oder eine Veränderung des Steuersystems. Wir müssen schleunigst die Infrastruktur auf den neuesten Stand bringen, vor allem in Bildung investieren, in digitale Netze. Es kann doch nicht unser Anspruch sein, erst 2030 unser Land mit Breitbandnetzen auszustatten. Das muss viel schneller gehen.

Frage: Welchen Stellenwert hat Freiheit in Zeiten des Terrors, in denen sich die Menschen doch in erster Linie sicher fühlen wollen?

Kubicki: Freie Demokraten sorgen dafür, dass es ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit gibt. Wir sind nicht naiv, aber wir beschreiben Probleme nicht, um Angst zu machen, wie die AfD oder die Sicherheitsfanatiker der Union, sondern um sie zu lösen. Der immer schrillere Ruf nach neuen Gesetzen hilft nicht weiter. Die bestehenden rechtlichen Grundlagen reichen aus und ich frage mich, warum sie nicht genutzt werden.

Frage: Nämlich?

Kubicki: Das liegt zum einen daran, dass die Sicherheits- und Justizbehörden personell viel zu schlecht ausgestattet sind. Das liegt aber auch daran, dass wir es verlernt haben, politische Debatten auszuhalten. Die völlig absurde Diskussion über angebliches „Racial Profiling“ am Kölner Hauptbahnhof ist da ein Zeugnis dafür. Wenn man weiß, dass beispielsweise Raubdelikte überwiegend von jungen Männern unter 30 an bestimmten Orten begangen werden, dann muss die Polizei selbstverständlich nicht den Schwerpunkt auf Frauen über 70 legen. Man darf die Polizei doch nicht aus ideologischen Gründen zwingen, sich dumm zu stellen, nur weil das dann besser ins Weltbild von Grünen-Chefin Simone Peter passt.

Frage: Sie glauben, die Polizei könnte, traut sich aber manchmal nicht, weil sie sonst medial verdroschen wird?

Kubicki: Wir können jedenfalls jetzt schon Menschen in Abschiebehaft nehmen. Wozu brauchen wir also eine Verschärfung? Wir können, egal übrigens ob Deutscher oder Ausländer, Menschen auch wegen geringfügiger Straftaten in Untersuchungshaft nehmen, wenn sie ins Ausland abzutauchen drohen. Ich glaube aber, dass das bei Flüchtlingen auch deshalb häufig unterlassen wird, weil man sich den Vorwurf ersparen will, Asylbewerber schlecht zu behandeln. Das halte ich für fatal. Es geht uns um die Durchsetzung des Rechtsstaates gegenüber jedermann, unabhängig von Herkunft und Religion, weil alles andere Willkür ist, zur Verunsicherung beiträgt und einzig und allein die AfD stärkt.

Frage: Wie wollen Sie den Menschen noch erklären, dass die FDP nach dem Terroranschlag und den Übergriffen auf eine Frau und einen Obdachlosen in Berlin gegen eine Ausweitung der Videoüberwachung ist?

Kubicki: Weil die Behauptung, Videoüberwachung verhindere Straftaten, nachweisbar falsch ist. Der Brüsseler Flughafen war komplett videoüberwacht, verhindert hat das nichts. Vielleicht kann die Aufklärung bei Schlägereien auf einem Bahnsteig beschleunigt werden, aber Täter mit hoher krimineller Energie werden sich verkleiden, wenn sie nicht, wie manche Terroristen, ohnehin erkannt werden wollen. Es gibt bis heute keinen einzigen Fall, bei dem es ausschließlich durch Videoüberwachung gelungen wäre, eine Straftat gerichtsfest aufzuklären. Es spricht deshalb zwar nichts gegen Videoüberwachung in Zügen, Bahnhöfen oder Flughäfen. Aber eine flächendeckende Überwachung hilft niemandem, verlagert nur die Kriminalitätsschwerpunkte und schränkt Grundrechte massiv ein.

Frage: Was ist vom Sicherheitskonzept des Bundesinnenministers zu halten?

Kubicki: Wenn sich Thomas de Maizière so sehr um sinnvolle Vorschläge zur Beseitigung behördlicher Umsetzungsdefizite bemühen würde, wie er sich um PR-Inszenierungen kümmert, wären wir einen großen Schritt weiter. Das, was wir jetzt von ihm lesen konnten, sind jedenfalls weder neue, noch intelligente Ansätze. Indem er sich vor allem darum bemüht, den Föderalismus als Makel der deutschen Sicherheitsstruktur zu definieren, ohne die eigenen Fehler ehrlich zu benennen, zeigt er, dass er in Wahrheit mit seiner Aufgabe überfordert ist.

Frage: Wie lässt sich dann die Sicherheitslage verbessern? Durch Nichtstun?

Kubicki: Von wegen. Wir brauchen deutlich mehr Personal und vor allem Menschen mit Analysefähigkeiten, die sich rund um die Uhr mit dem Gedanken beschäftigen, was ein potenzielles Anschlagsziel sein könnte. Ich wundere mich schon, weshalb man nach dem Anschlag in Nizza ungehindert mit einem Lastwagen auf den Berliner Weihnachtsmarkt gelangen konnte. Das wäre mit relativ einfachen Maßnahmen zu verhindern gewesen, die ja danach auch ergriffen wurden. Der Staat hat im Übrigen schon jetzt alle Möglichkeiten, soziale Netzwerke, Telefone oder Mailverkehr zu überwachen, wenn er auf so genannte Gefährder stößt. Von den 17 Attentätern in Paris und Brüssel waren 15 polizeilich bekannt und als Gefährder eingestuft. Auch Herr Amri, der Berliner Attentäter, hätte nie so in Deutschland umherreisen dürfen, wie er es getan hat. Man hätte ihn schon in Nordrhein-Westfalen festsetzen können. Er wurde überwacht, gegen ihn lief ein Ermittlungsverfahren, er war ausreisepflichtig. Was will man denn eigentlich noch mehr? Das Arsenal der rechtsstaatlichen Möglichkeit hätte locker ausgereicht, ihn an der Ausführung dieser grauenhaften Tat zu hindern. Man hätte es nur anwenden müssen. Von möglichen Fehlern soll nun abgelenkt werden – durch eine Monsterdebatte über neue gesetzliche Möglichkeiten.

Frage: Kommen wir zu Ihren Zukunftsaussichten. Ist, um mit Franz Müntefering zu sprechen, „Opposition Mist“?

Kubicki: Opposition kann jedenfalls nie das Ziel einer Partei der bürgerlichen Mitte sein und schon gar nicht das Ziel der Freien Demokraten. Wir wollen gestalten. Alles andere wird von denen, die uns unterstützen, nicht verstanden. Wer sollte uns denn wählen, wenn wir nur die Opposition anstreben? Sowas können Protestparteien wie die Linke oder die AfD machen. Wir nicht.

Frage: Mit wem würden Sie am liebsten in Berlin regieren?

Kubicki: Numerisch wird es wohl nicht reichen für eine Ampel. Es könnte auf Jamaika, also ein Bündnis von Union, FDP und Grünen hinauslaufen. Aber das wäre gewiss auch kein Selbstläufer.

Frage: Aber auch nicht ausgeschlossen…

Kubicki: Christian Lindner hat zu Recht gesagt, diese große Koalition der vielen vertanen Chancen sei die schlechteste aller politischen Konstellationen, die Deutschland je hatte. Wir können deshalb doch nicht sagen, dass wir die große Koalition ablösen wollen und anschließend führen wir sie wieder herbei, in dem wir uns verweigern. Das wäre absurd.

Frage: Sie wetten gern. Was springt für die FDP am Wahlabend bei der Bundestagswahl heraus?

Kubicki: Zunächst konzentrieren wir uns auf die kommenden Landtagswahlen: Im Saarland schaffen wir den Einzug in den Landtag. In Schleswig-Holstein bekommen wir zwischen zwölf und 14 Prozent. Auch Christian Lindner wird in Nordrhein-Westfalen auf seine 8,6 Prozent noch was drauf packen. Und im Bund landen wir eher bei neun als bei sechs Prozent.

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