02.01.2017FDPFDP

KUBICKI-Interview: Wer sich klein macht, wird klein gewählt

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab der „Welt“ (Montag-Ausgabe) und „Welt.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Thorsten Jungholt:

Frage: Ihre Partei startet mit dem Dreikönigstreffen am 6. Januar in den Dauerwahlkampf. Sie gehören zu den Rednern. Was wird Ihre wichtigste Botschaft sein, Herr Kubicki?

Kubicki: Es ist wichtig, dass wir sehr deutlich machen, wie entschlossen wir sind, die kommenden Wahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen erfolgreich zu bestreiten. Für die Binnenwirkung der Freien Demokraten ist Dreikönig deshalb besonders wichtig. Allerdings sollte man die mediale Wirkung, die vom Stuttgarter Staatstheater ausgeht, auch nicht überschätzen.

Frage: Sie könnten die Gelegenheit nutzen, um zu erklären, was um ihre Sicherheit besorgte Bürger von der FDP zu erwarten haben. Der Terroranschlag von Berlin bewegt das Land.

Kubicki: Wir sind die einzige Partei, die nicht mit Symboldebatten Angst und Furcht verbreitet. Die AfD schürt Angst vor Islam, Überfremdung und Kopftüchern – wissend, dass das völliger Unsinn ist. CSU und CDU machen das in leicht abgeschwächter Form – mit ihrer Doppelpassdebatte oder der grenzenlosen Ausweitung der Videoüberwachung, die ja keine Straftaten oder terroristischen Angriffe verhindert, sondern allenfalls zur Aufklärung beiträgt. Die SPD läuft da gerade im Angesicht des Berliner Terroranschlages hinterher. Die FDP beschreibt ein Problem nicht, um damit Angst zu schüren, sondern um eine Lösung anzubieten. Und die besteht in mehr Personal, einer besseren Ausstattung, intensiverer Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und der Herausbildung grundlegender Analysefähigkeiten.

Frage: Haben Sie die Befürchtung, dass die Ereignisse des 19. Dezember das politische Klima im Land nachhaltig verändern werden – und die FDP als Partei der außerparlamentarischen Opposition im Disput zwischen Regierung und AfD auf der Strecke bleibt?

Kubicki: Die etablierten Parteien verhalten sich im Kampf gegen den Rechtspopulismus völlig falsch. Statt sich intellektuell mit den Rechtspopulisten auseinanderzusetzen, wird denunziert. Von dieser plumpen Art der Ausgrenzung durch die sogenannten „etablierten Parteien“ lebt aber die AfD – das führt also zu nichts. Ich habe das erste Mal seit langer Zeit wieder die Sorge, dass politische Prozesse ihren Lauf nehmen, die nicht mehr zu steuern sind – und das, weil viele nicht mehr argumentieren können oder wollen.

Frage: Welches Thema wird abseits der Sicherheitslage 2017 wichtig?

Kubicki: Ich glaube, uns erwartet ein postfaktischer Wohlstandserhaltungswahlkampf.

Frage: Bitte was?

Kubicki: Es werden die gewählt werden, die den Menschen das Gefühl und den Glauben vermitteln, dass ihr Wohlstandsniveau erhalten bleibt oder verbessert werden kann. Sie wollen, dass es ihnen und ihren Kindern gut geht, dass sie eine Perspektive haben. Freie Demokraten können guten Gewissens sagen, dass wir diese Aufgabe am besten meistern. Mit uns gelingt es besser als mit den Umverteilungsaposteln, deren Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit dann erfüllt ist, wenn es allen gleich schlecht geht. Denn wir wollen die Wirtschaft so leistungsstark machen, dass wir uns das soziale Netz auch tatsächlich leisten können.

Frage: Welche Themen folgen daraus?

Kubicki: Es braucht eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur, damit Unternehmen ihre Produkte auch pünktlich ausliefern können. Es braucht Wachstum und neue Arbeitsplätze, damit die Steuereinnahmen stabil bleiben. Es braucht Bildung als Voraussetzung dafür, dass die Bürger ihr Leben selbst in die Hand nehmen können – ohne das Nudging der Kanzlerin oder eine Ernährungsanleitung der Grünen. Aber ich sage auch: Unsere Lernaufgabe ist es, mit dieser Ratio das Herz zu erreichen. Wir müssen aufpassen, nicht wieder den Eindruck zu erwecken, uns fehle Empathie.

Frage: Wie lernt man Emotion?

Kubicki: Wie sagt ein Arzt einem Patienten, dass er unheilbar an Krebs erkrankt ist? Erste Möglichkeit: Tut mir leid, Sie werden sterben, der Nächste bitte. Zweite Möglichkeit: Er nimmt den Patienten in den Arm, sagt: Wir werden alles Menschenmögliche versuchen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass wir es schaffen, ist äußerst gering. Ich würde Möglichkeit zwei bevorzugen. Ich warne dringend davor, so zu handeln wie der erste Arzt. Zwischen 2009 und 2013 vermittelten einige Äußerungen meiner Kollegen diesen Eindruck. Da können Sie noch so kluge Dinge zu Tengelmann oder Digitalisierung sagen. Wenn Sie aber dabei reden wie ein Nachrichtensprecher im Maßanzug, berühren Sie die Menschen nicht.

Frage: Also besser Anzüge von der Stange tragen?

Kubicki: Vor allem kommt es auf den Ton an. Natürlich stehen wir für eine klare Ordnungspolitik. Aber wir brauchen Botschaften für die, die um ihre Existenz fürchten. Was sage ich dem Taxifahrer, der mich fragt: Was mache ich, wenn die Autos demnächst autonom fahren? Was sage ich einer Schreibkraft, einer Kassiererin, die demnächst digital durch Sprachsysteme oder Automaten ersetzt werden? Ich kann sagen: Das ist Strukturwandel, sorry. Das ist der erste Arzt. Der zweite Arzt würde sagen: Wir können die Entwicklung nicht aufhalten. Aber wir haben genügend Zeit, uns darauf vorzubereiten. Lass uns gemeinsam überlegen, welche Talente du hast. Wie kannst du dich weiterbilden? Wir müssen auch als Liberale klar sagen: Bei uns fällt keiner durchs Lattenrost. Wen der Strukturwandel unverschuldet trifft, der wird nicht auf die Suppenküche angewiesen sein.

Frage: Bis 2013 waren Sie der Querulant aus Kiel. Seit Sie stellvertretender Bundesvorsitzender sind, haben Sie das Teamplay entdeckt. Hat sich Wolfgang Kubicki neu erfunden?

Kubicki: Ich war lange ein Paria in der Partei, der Chaot aus dem Norden. Ich bin auf Parteitagen bei Vorstandswahlen schon mehrfach durchgefallen. Jetzt habe ich Ergebnisse von deutlich über 90 Prozent. Früher bin ich selten von anderen Landesverbänden eingeladen worden, jetzt kann ich gar nicht alle Termine wahrnehmen, die angefragt werden. Aber wahr ist: Wir haben uns aufeinander zubewegt. Auch die Partei hat sich seit 2013 verändert, sie hat nach der Niederlage gelernt.

Frage: Was?

Kubicki: Es gibt intern eine völlig andere Diskussionskultur als früher. Alles ist offener, optimistischer, auch fröhlicher. Natürlich prallen Meinungen aufeinander, aber es gibt nicht den Streit um Personen wie früher, sondern die Debatte in der Sache. Dieser Spirit sorgt dafür, dass unsere über 50.000 Parteifreunde wieder bundesweit auf die Straße gehen und sagen: Wir sind stolz, Freie Demokraten zu sein. Dabei ist unser Auftreten nach außen nicht mehr so apodiktisch. Wir tun nicht mehr so, als seien wir im Besitz letzter Wahrheiten. Allerdings müssen wir aufpassen, dass die FDP dieses neue Flair nicht wieder verliert. Ich spüre, dass wir gerade in so eine Phase geraten, wo es zehn Monate vor der Bundestagwahl vielen als wahrscheinlich erscheint, dass wir es sowieso wieder schaffen. Und da können sich alte Muster wieder einschleichen.

Frage: Welche Muster?

Kubicki: Übermut. Selbstverständlichkeit. Dass wir uns parteiintern mit dem Tag nach der Wahl befassen und mit der Frage: Wer wird was wann? Ich bin Anhänger der alten indianischen Weisheit, die da lautet: Mach dir keine Gedanken, was du am anderen Ufer machen willst, solange du nicht weißt, wie du über den Fluss kommst. Also: Wir sollten bis zum Wahltag für ein gutes Ergebnis kämpfen. Nur dafür. Und auch danach geht es nicht darum, etwas werden zu wollen, sondern etwas bewirken zu wollen.

Frage: Sie wollen nichts werden?

Kubicki: Ich wollte nie Minister werden. Das hätte ich nach unserer Regierungsbeteiligung in Schleswig-Holstein 2009 schon sein können. Nein, ich will zeigen, dass wir es in Berlin besser können als 2009 bis 2013. Die letzte Woche vor der Bundestagswahl war damals für mich das Beschämendste, was ich je in der FDP erlebt habe: Darauf zu hoffen, dass die Kanzlerin uns über die Fünf-Prozent-Hürde hilft. Ich habe unserem Spitzenkandidaten Rainer Brüderle damals gesagt: Rainer, wer sich klein macht, der wird klein gewählt. Wir wollten nie wieder sagen: Wer Kohl will, muss FDP wählen. Und dann haben wir den Namen Kohl durch Merkel ersetzt. Und die ganzen vier Jahre haben wir geglaubt, man dürfe den großen Partner bloß nicht verärgern. Dabei gilt: In einer Koalition sind beide Partner gleich stark, unabhängig von Prozenten, weil sie nur gemeinsam eine Mehrheit haben. Wenn man das im Kopf hat und danach handelt, kann man ganz anders regieren, als das in Berlin gelungen ist. Wir waren in Schleswig-Holstein in einer Koalition mit der Union, genau wie im Bund. Aber am Ende der Legislatur hat die FDP das zweitbeste Ergebnis in der Geschichte unseres Landes bekommen, die CDU das schlechteste seit 1950. Also, für den Fall, dass wir in Berlin in einer Koalition gebraucht werden sollten, werden wir schnell dokumentieren: Es gibt jetzt eine andere FDP als die, die 2013 im Bund abgewählt wurde.

Frage: Sie streben eine Regierungsbeteiligung an?

Kubicki: Ich schließe aus, dass wir mit den Linken in einer Regierung arbeiten. Ich schließe aus, dass wir mit der AfD in einer Regierung arbeiten. Alles andere schließe ich nicht aus. Es wäre doch komisch, wenn eine Partei der bürgerlichen Mitte, wie die FDP, ausschließlich für die Opposition zur Verfügung stünde. Für mich gilt auch hier: Wer sich klein macht, wird klein gewählt. Und ich halte es für eine merkwürdige Idee, eine Partei könne in der Opposition an Profil gewinnen. Gucken Sie sich mal die aktuelle Opposition an. Sollten Grüne und Linke jemals Profil gehabt haben, ist davon nichts mehr zu sehen.

Frage: Für eine FDP-Regierungsbeteiligung wäre im Bund wie in den Ländern wohl ein Dreierbündnis nötig. Was bevorzugen Sie: Ampel oder Jamaika?

Kubicki: Das werde ich in Schleswig-Holstein beinahe jeden Tag gefragt, weil die regierende Koalition nach den letzten Umfragen keine Mehrheit mehr hat. Meine Antwort: Wir gucken nach der Wahl auf die Lage und entscheiden am Maßstab unserer Inhalte. Wir sind für verschiedene Konstellationen offen, besser können Sie die Unabhängigkeit der FDP doch gar nicht dokumentieren.

Frage: Und Sie wollen wirklich weg aus Kiel? Dort sind Sie der liberale Zampano, bekannt wie ein bunter Hund. In Berlin wären Sie einer von 600 bis 700 Abgeordneten …

Kubicki: Lieber König in Kiel als Bauer in Berlin meinen Sie? Das trifft mich jetzt tief. Mein Selbstbewusstsein ist ein anderes: Auch ein Bauer kann einen König schlagen.

Frage: Herr Kubicki, Sie sind jetzt 64 Jahre alt. Seit drei Jahren sind Sie mit Christian Lindner das Gesicht der Partei, touren beinahe pausenlos durch die Republik. Sie arbeiten zusätzlich noch als Anwalt in Steuer- und Wirtschaftsstrafsachen mit eigener Kanzlei. Warum geben Sie das nicht auf?

Kubicki: Vor allem deshalb, um mir Unabhängigkeit zu sichern. Mir kann niemand drohen: Kubicki, lass das, sonst ist deine politische Karriere zu Ende. Nur aus dieser Unabhängigkeit kann Unbeugsamkeit erwachsen.

Frage: Wie hoch ist der Tagessatz des Strafverteidigers Kubicki?

Kubicki: Es reicht, um davon gut leben zu können.

Frage: Haben Sie der FDP schon mal eine Rechnung geschrieben?

Kubicki: Natürlich nicht. Aber ich erkläre gelegentlich, dass mich jeder Tag, den ich für die Partei aufwende, einen Tagessatz kostet.

Frage: Den wir mal auf einige Tausend Euro schätzen. Ist die Partei das wert?

Kubicki: Jeden Cent. Ich bin 45 Jahre in dieser Partei und werde alles dafür tun, dass sie im politischen Spektrum eine feste Größe bleibt. Ich kann mir eine Gesellschaft schwer vorstellen, in der es eine Partei wie die Freien Demokraten nicht gibt. Und, ganz ehrlich, ich habe viele Artikel von Ihnen und Ihren Kollegen an die Wand genagelt, in denen wir nach 2013 abgeschrieben wurden. Ich liebe es, in einem Wettbewerb zu gewinnen, also all den Kritikern zu beweisen: Eure Einschätzung war falsch.

Frage: Vier Jahre Arbeit für einige glückliche Minuten am Wahltag?

Kubicki: Immerhin. Es gibt Menschen, die haben nie so ein Glücksgefühl. Außerdem bin ich neugierig, ob Christian Lindner sein Versprechen hält.

Frage: Welches Versprechen?

Kubicki: Am Wahlabend 2013, als wir aus dem Bundestag geflogen waren, wollte ich eigentlich gar nicht nach Berlin. Dann rief mich Christian Lindner an, ich habe mich in Kiel ins Auto gesetzt, und wir trafen uns gegen Mitternacht in einem Hotel. Er rauchte eine Zigarre, wir tranken Wein und haben uns in die Hand versprochen, dass wir alles dafür tun, dass diese Partei nicht auseinanderfliegt. Es war ja klar, dass am nächsten Morgen Präsidium und Bundesvorstand zurücktreten würden. Was dann? Christian Lindner fragte mich, ob ich Generalsekretär werden will. Ich habe das abgelehnt, eine Nacht darüber geschlafen und ihm am nächsten Morgen erklärt, ich würde als erster stellvertretender Bundesvorsitzender kandidieren. Gleichzeitig habe ich ihm versprochen: Wir machen den Neuaufbau der FDP gemeinsam, in enger Abstimmung. Im Gegenzug habe ich nur eines verlangt: Am Wahlabend 2017 treffen wir uns um Mitternacht wieder hier im Hotel, gucken uns in die Augen und gießen uns einen hinter die Binde – wenn wir es geschafft haben.

Frage: Und Sie glauben wirklich, dass Sie mittlerweile sittlich und moralisch gefestigt genug sind, um in Berlin zu arbeiten?

Kubicki: Ja. Machen Sie sich keine Sorgen um meinen Lebenswandel. Wie sagte meine Frau so schön: „Du wirst auch nicht jünger.“ Und im Übrigen hat mir Klaus Wowereit, mit dem ich ja irgendwie familiär verbandelt bin, versprochen, mich unter seine Fittiche zu nehmen.

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