KUBICKI-Interview: Merkels Anti-Terror-Plan ist ein Placebo
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI gab der „B.Z. am Sonntag“ (heutige Ausgabe) und „bz-berlin.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte ULRIKE RUPPEL:
Frage: Herr Kubicki, gefährdet Angela Merkels Flüchtlingspolitik unsere Sicherheit?
KUBICKI: Frau Merkel ist für die Terror-Anschläge in Würzburg und Ansbach nicht verantwortlich. Inzwischen wissen wir aber, dass unter den 1,2 Millionen Neuankömmlingen seit März 2015 auch potenzielle Attentäter sind. Einige wurden vom ISIS in Marsch gesetzt. Das viel größere Sicherheitsrisiko sind aber jene Hunderttausende, die unregistriert eingereist und amtlich verschollen sind. Wir wissen nicht, wer und wo sie sind und was sie wollen. Diesen Fragen geht man nicht nach.
Frage: Wo liegt die Gefahr?
KUBICKI: Diese Menschen sind – weil nicht gemeldet – von allen möglichen Leistungen unseres Staates ausgeschlossen. Das erhöht das Frustrationspotenzial. Deshalb brauchen wir in den nächsten Monaten mehr Ausweiskontrollen auf Straßen und Plätzen, um Identitäten zu klären, damit wir uns dieser Menschen annehmen können – mit Hilfen oder Restriktionen.
Frage: Was tun an den Grenzen, wenn 80 Prozent der Neuankömmlinge keine Pässe haben?
KUBICKI: Dann muss man sie grenznah so lange festhalten, bis ihre Identität festgestellt ist. Die meisten Neuankömmlinge sind ja vorher in Europa schon einmal irgendwo erfasst worden. Diese Daten müssen wir mit ihren Angaben abgleichen. Befragungen und Dolmetscher, die unterschiedliche Dialekte kennen, können zur Identifizierung beitragen. Wer falsche Angaben macht und illegal einreist, hat laut geltender Rechtslage sein Asylrecht verwirkt und muss dorthin zurückgeschickt werden, wo er herkommt – in den allermeisten Fällen in das EU-Land, aus dem er gekommen ist.
Frage: Überzeugen Sie Frau Merkels Antworten auf die Herausforderung?
KUBICKI: Die Ruhe und Souveränität der Kanzlerin bei der Pressekonferenz hat mich beeindruckt. Das ist ein Wert an sich. Ich vermisse allerdings die Antwort, wie sie die Identität der nicht registrierten Migranten klären will. Und sie sagt nicht, wie sie den Neuankömmlingen eine Perspektive schaffen will. 70 Prozent der 1,2 Millionen sind Männer, zumeist jung. Die brauchen Perspektiven. „Wir schaffen das“ ist mir zu wenig. Ich will wissen, wie.
Frage: Was schlagen Sie vor?
KUBICKI: Die größte soziale Integrationsleistung wird in Vereinen, Verbänden und in Betrieben erbracht. Da ist der Mindestlohn kontraproduktiv. Deshalb appelliere ich an die Bundesregierung: Weichen Sie den Mindestlohn auf und behandeln Sie die Flüchtlinge wie Langzeitarbeitslose!
Frage: Was halten Sie von Merkels Neun-Punkte-Plan gegen den Terror?
KUBICKI: Es ist im Grunde ein Placebo. Der klügste Gedanke war, die wissenschaftliche Erkenntnis nach den Ursachen der Radikalisierung zu verstärken und dafür mehr Geld auszugeben – egal ob es sich um Deutsche oder Ausländer handelt. Ein guter Punkt ist auch das Frühwarnsystem, um gefährdete Personen zu identifizieren. Da können uns syrische und irakische Ärzte unter den Flüchtlingen helfen. Es ist doch idiotisch, dass sie nicht mitarbeiten dürfen, nur weil sie die deutsche Approbationsordnung noch nicht erfüllt haben.
Frage: Welche Punkte kritisieren Sie?
KUBICKI: Frau Merkel will gemeinsame Übungen von Polizei und Bundeswehr. Hallo, der ISIS marschiert doch nicht in Bataillonsstärke bei uns ein. Die Polizei und die GSG 9 schaffen das allein. Sie brauchen aber natürlich mehr Personal, bessere Ausbildung und bessere Waffen.
Frage: Aber warum sollten wir die Potenziale der Bundeswehr nicht ebenfalls nutzen?
KUBICKI: Abgesehen davon, dass die Bundeswehr kaum in der Lage ist, ihre Auslandseinsätze ordentlich abzuarbeiten – glauben Sie wirklich, dass Panzer etwas bringen? Soldaten sind ganz anders ausgebildet, haben andere Waffen. Die Forderung nach dem Einsatz der Bundeswehr ist schlimmste PR.
Frage: Sind Ihre Bedenken nur praktischer Natur?
KUBICKI: Es sind grundsätzliche Erwägungen. Der Einsatz des Militärs – siehe Türkei – kann schnell dazu führen, dass jemand glaubt, das Recht selbst in die Hand nehmen zu müssen. Kennen Sie den US-Film „Ausnahmezustand“? Da bekommt ein Armee-General die Vollmacht, und alles läuft aus dem Ruder. Zu Sanitätshilfeleistungen kann die Bundeswehr bereits heute eingesetzt werden. Im äußersten Notstand ebenfalls.
Frage: Die FDP ist in Sachen Flüchtlingspolitik erkennbar strikter geworden. Eine Reaktion auf die AfD?
KUBICKI: Ich mache meine Politik nicht von der AfD abhängig, sondern folge der Vernunft. Mich stört, dass Menschen das Vertrauen in unseren Rechtsstaat verlieren, weil sie beschwichtigt werden. Die FDP verteidigt den Rechtsstaat mit Händen und Füßen. Dazu gehört, dass wir keine Rechtsbrüche aus kulturellen oder religiösen Gründen tolerieren. Dass Mädchen nicht ins Schwimmbad dürfen, akzeptieren wir zum Beispiel nicht.
Frage: Wie wollen Sie das sanktionieren?
KUBICKI: Wenn Eltern sagen: „Meine Tochter geht nicht zum Schwimmunterricht“, aus welchen Gründen auch immer, muss man die Eltern gegebenenfalls mit Strafen belegen, ihnen notfalls sogar das Sorgerecht entziehen. Denn es gibt keine schlimmere Kindeswohlgefährdung, als dass Eltern die Integration in die Gesellschaft verhindern.
Frage: Sie wollen 2017 für den Bundestag kandidieren. Was treibt Sie an?
KUBICKI: Ich bin mit 25 Jahren Amtszeit der dienstälteste Fraktionsvorsitzende aller Zeiten und aller Bundesländer. Ich bin Stellvertretender Bundesvorsitzender. Meine Aufgabe besteht darin, mit anderen dafür Sorge zu tragen, dass die FDP 2017 wieder im Bundestag vertreten ist.
Frage: Wie ist die Berliner FDP für die Wahl zum Abgeordnetenhaus aufgestellt?
KUBICKI: Sie ist gut aufgestellt. Berlin war ein zerstrittener Landesverband. Das ist vorbei. Wir arbeiten gemeinsam am Erfolg. Im Abgeordnetenhaus fehlt eine Partei, die weiß und dafür sorgt, dass zunächst erwirtschaftet werden muss, was verteilt werden soll. Wir wollen den Rechtsstaat durchsetzen. Es ist nicht hinnehmbar, dass jede zweite Nacht Autos in Flammen aufgehen, weil Linksradikale glauben, sie dürften das Recht selbst in die Hand nehmen. Berlin ist eine wunderbare, tolerante, weltoffene Stadt, die gerade jungen Menschen neue Perspektiven eröffnen will. Keine andere politische Kraft repräsentiert dies mehr als die Freien Demokraten.