KUBICKI-Interview: Ich befürchte, dass VW bald keine Autos mehr nach Amerika liefern darf
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI gab „FAZ.net“ das folgende Interview. Die Fragen stellten OLIVER GEORGI und THOMAS HOLL:
Frage: Herr Kubicki, nach der Einigung von Union und SPD auf Frank-Walter Steinmeier als gemeinsamen Kandidaten als Bundespräsidenten scheinen die Zeichen auch für die Bundestagswahl auf eine Fortsetzung der großen Koalition zu stehen. Täuscht der Eindruck?
KUBICKI: Das war keine Einigung zwischen Union und SPD, sondern eine Kapitulationserklärung von Angela Merkel. Sie hatte eigentlich einen ganz anderen Kandidaten im Kopf – nämlich Winfried Kretschmann. Aber nachdem die Grünen auf ihrem Parteitag das Signal gegeben haben, dass sie wieder eine linkere Politik verfolgen wollen, war Kretschmann der Union nicht mehr zu vermitteln.
Frage: Hätte die FDP Kretschmann gewählt, wenn die Grünen ihn aufgestellt hätten?
KUBICKI: Ich kenne niemanden, der ihn wählen würde. Als Person ist Kretschmann sympathisch, aber was die Partei angeht, muss noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen, bevor Freie Demokraten einen Grünen zum Bundespräsidenten wählen. Oder umgekehrt.
Frage: Und Steinmeier?
KUBICKI: Ich kenne zumindest im Moment keine Wahlmänner und -frauen der FDP, die ihn nicht wählen werden. Er ist ein akzeptabler Kandidat, aber ja auch der einzige, den wir haben. Mich hat es sehr gewundert, dass so viele, die gefragt wurden, abgesagt haben, Norbert Lammert zum Beispiel. Ich dachte immer, es wäre reizvoll, das höchste deutsche Staatsamt auszuüben. Dass die Union es nicht fertiggebracht hat, einen eigenen Kandidaten zu benennen, fällt vor allem auf die Kanzlerin zurück.
Frage: Für die SPD kommt die Einigung ein knappes Jahr vor der Bundestagswahl hingegen wie gerufen. Ist Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat jetzt gesetzt?
KUBICKI: Sigmar Gabriel hat mit Steinmeier unbestritten einen guten Coup gelandet. Innerhalb der SPD hat er sich damit stabilisiert, jetzt stehen ihm wieder alle Optionen offen. Steinmeier wird Bundespräsident, Martin Schulz geht als Außenminister nach Berlin, und Gabriel wird sich bis April oder Mai die Frage offen halten, wer Kanzlerkandidat wird. Für die Kommunikation nach außen ist das wunderbar. Angela Merkel hat durch die Causa Steinmeier hingegen massiv verloren. In der Union ist jetzt endgültig der Eindruck entstanden, sie könne nichts Wichtiges mehr durchsetzen.
Frage: Ist Angela Merkel zu einem Problem für die Union geworden?
KUBICKI: Die Ablehnung, die Frau Merkel bis in weite Teile der Union hinein entgegenschlägt, ist gewaltig. Viele Unionsleute müssen jetzt auf einmal Dinge vertreten, gegen die sie bis vor zwei Jahren massiv gekämpft haben. Deshalb sagen sie jetzt: „Diese Frau muss weg.“ Denn aus der roten Merkel ist mittlerweile eine rot-grüne Merkel geworden. Das wird die Union bei den Landtagswahlen schmerzlich zu spüren bekommen. Im Ruhrgebiet werden die Wähler bei der NRW-Wahl scharenweise von der SPD zur AfD wechseln, jedenfalls nicht bei der Union landen. Spätestens dann hat Frau Merkel ein Problem.
Frage: Früher war die FDP das Zünglein an der Waage und der wichtigste Mehrheitsbeschaffer in der deutschen Politik. Welche Perspektive haben die Liberalen jetzt noch, wo die nächste große Koalition schon fast ausgemacht scheint?
KUBICKI: Ich gehe zuerst einmal davon aus, dass wir wieder in den Bundestag einziehen, über alles weitere reden wir danach. Die Union wird sicher nicht stärker werden als bei der letzten Wahl, sondern eher Verluste einfahren. Außerdem halte ich es für ausgeschlossen, dass die SPD noch einmal eine große Koalition eingeht, weil sie längst gemerkt hat, dass die für alle Beteiligten nur lähmend und frustrierend ist. Die SPD wird deshalb versuchen, ein rot-rot-grünes Bündnis zu schließen – und als Gegenmodell könnte eine Jamaika-Koalition dann für viele an Attraktivität gewinnen. Eine Ampel-Koalition kann man hingegen schon numerisch ausschließen.
Frage: Ist Jamaika nach den schlechten Erfahrungen im Saarland in Ihrer Partei überhaupt noch vermittelbar?
KUBICKI: Politik ist die Kunst des Möglichen und kein Wunschkonzert. Außerdem haben nach der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz auch alle gesagt, eine Ampel-Koalition wäre eine Katastrophe für die Liberalen, und jetzt läuft sie richtig gut. Aber ich sage ebenso klar: Von der politischen Grundstruktur, also in Fragen der Wirtschafts- und Steuerpolitik, aber auch der Infrastrukturentwicklung können wir in einer Jamaika-Koalition deutlich mehr erreichen als in einer Ampel. Auch wenn diese FDP unter der Führung von Christian Lindner sicher nicht um jeden Preis eine solche Koalition will.
Frage: Unter Westerwelle war die FDP als Klientelpartei verschrien, unter Lindner hat sie versucht, sich neu zu erfinden. Wofür stehen die Freien Demokraten heute?
KUBICKI: Für eine Politik der praktischen Vernunft, die sich daran orientiert, was unseren Wohlstand in zehn oder 20 Jahren sichert und die Straßen bauen statt verhindern will. Was die Menschen zwischen 2009 und 2013 so unglaublich an der FDP gestört hat, war unser großspuriges Auftreten. Ich kann mich noch an den Parteitag 2009 in Berlin erinnern, als Guido Westerwelle sich vorne hingestellt und gesagt hat: Wir haben uns zu 100 Prozent durchgesetzt. Schon damit hat er den Widerstand geradezu herausgefordert. Außerdem haben wir das Gefühl vermittelt, dass die Kollegen, die in den Ministerien angekommen waren, damit schon genug geleistet hätten und bei der Steuerreform nichts auf die Reihe bekommen. Stattdessen haben wir immer nur erklärt, „Mutti“ gönne uns nichts. Viele, mich eingeschlossen, haben das als sehr peinlich empfunden. Wir haben mit allen diesen Dingen mangelnde Durchsetzungsfähigkeit vermittelt. Dieses Empfinden haben die Menschen bei Christian Lindner und mir nicht.
Frage: Das erklärte Ziel der FDP für die Bundestagswahl lautet, stärker zu werden als die AfD. Wie wollen Sie das schaffen?
KUBICKI: Christian Lindner hat das Motto ausgegeben, stärker zu werden als die AfD. Das liegt vielleicht auch an seinem jugendlichen Ungestüm; nach den Umfragen könnte das schwierig werden. Für die anstehenden drei Landtagswahlen haben wir aber umso bessere Hoffnungen. Im Saarland werden wir den Einzug in den Landtag wieder schaffen, selbst wenn die AfD dort vielleicht leicht vor uns landet. Auch in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein werden wir gut abschneiden, in Kiel sicher mit einem zweistelligen Ergebnis. Und dann haben wir vier Monate vor der Bundestagswahl einen ordentlichen Vorlauf, der uns Rückenwind geben wird.
Frage: Wie erklären Sie es sich, dass die AfD in Schleswig-Holstein vergleichsweise schwach ist?
KUBICKI: Mit demselben Phänomen wie bei der Kommunalwahl in Niedersachsen: Überall dort, wo die Union deutsch-national ist, also aus meiner Sicht schwarz-braun, hat die AfD nicht mehr als drei Prozent bekommen. Hinzu kommt, dass die Dauer-Konflikte zwischen dem SPD-Kollegen Ralf Stegner und mir es den Menschen erlauben, ihren ganzen Frust und ihren ganzen Protest bei einem von uns beiden loszuwerden. Dafür brauchen sie bei uns keine AfD.
Frage: Das Thema AfD betrifft Sie also nicht?
KUBICKI: In jeder Gesellschaft leben 18 bis 20 Prozent durchgeknallte Rechtsradikale, Verschwörungstheoretiker und Demokratiefeinde, an die man als demokratischer Politiker ohnehin nicht mehr herankommt...
Frage: ... aber es werden doch immer mehr Anhänger, die den Rechtspopulisten hinterherlaufen, und es sind eben nicht nur durchgeknallte Rechtsradikale, sondern Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die vorher die etablierten Parteien gewählt haben. Lässt Sie das kalt?
KUBICKI: Überhaupt nicht, ich will die AfD nur nicht überhöhen oder dämonisieren. Wir wissen, dass 80 Prozent ihrer Wähler Protestwähler aus anderen Parteien sind – das muss man natürlich ändern, und die Verantwortung dafür liegt bei den etablierten Parteien. Trotzdem bringt die AfD auch Menschen an die Wahlurne, die wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben gewählt haben. Das allein ist doch auch schon mal ein demokratischer Wert.
Frage: Wird es im Bundestagswahlkampf eher um kalte Progression und Rente gehen oder um die großen Schlagworte wie Sicherheit, Solidarität, Frieden in Europa?
KUBICKI: Es wird ein Stimmungswahlkampf: Welche politischen Kräfte werden es verhindern, dass wir wieder in einen Krieg hineinschlittern? Normalisieren wir unser Verhältnis zu Russland? Was machen unsere amerikanischen Freunde, und sind die jetzt überhaupt noch unsere Freunde? Wenn man sich den künftigen Präsidenten Donald Trump so anhört, befürchte ich, dass VW bald keine Autos mehr nach Amerika liefern darf.
Frage: Glauben Sie, dass Trump seinen radikalen Kurs aus dem Wahlkampf wirklich umsetzen wird?
KUBICKI: Ich bin überzeugt davon, dass er zumindest einen Teil seiner zentralen Wahlversprechen einlösen muss und auch wird. Trump wird ganz schnell ein Infrastrukturprogramm und einen Wachstumsfonds auflegen, er wird in den Straßen- und Schienenbau investieren. Damit kann er den Menschen im Mittleren Westen, die ihn gewählt haben, die Hoffnung wiedergeben, dass es vorwärts geht. Dann hätte er schon fast alles erreicht, was er erreichen kann.
Frage: Vor der Wahl haben viele die Gefahr beschworen, die von Trump ausgehe – für die internationalen Beziehungen, für den Frieden. War das übertrieben?
KUBICKI: Es war zumindest sehr unklug. Trump von vorneherein zum Dämon gemacht zu haben bedeutet, jetzt erklären zu müssen, warum er vielleicht doch keiner ist. Die Kriegsgefahr wäre unter Hillary Clinton übrigens nicht geringer gewesen, sondern vielleicht sogar größer, weil eine demokratische Präsidentin mit einer republikanischen Mehrheit in Senat und Kongress wahrscheinlich wesentlich martialischer hätte auftreten müssen als Trump jetzt. Ich glaube, das amerikanische System ist stark genug, um auch mit einem Donald Trump fertig zu werden. Meine große Sorge ist eher, dass Amerika und Russland jetzt anfangen könnten, sich weltpolitisch zu verständigen. Wenn Washington und Moskau im Angesicht Chinas künftig gemeinsam Weltpolizei spielen sollten, wäre das das Ende der deutschen Diplomatie. Dann würden wir zu nichts mehr gebraucht.
Frage: Nach der Wahl haben manche deutsche Politiker keinen Hehl daraus gemacht, was sie von Trump halten. Haben Sie das verstanden?
KUBICKI: Ich habe es als extrem unverschämt empfunden, wie deutsche Politiker, aber auch viele Medien, auf Trumps Wahl reagiert haben. Dass die deutsche Bundeskanzlerin einem amerikanischen Präsidenten erklärt, dass man bereit ist, auf der Grundlage bestimmter Werte miteinander zu reden, obwohl die Verfassung der Vereinigten Staaten gerade diese Wertegrundlage bildet, ist mehr als unangemessen. Wenn ich Donald Trump wäre, würde ich jetzt sagen: Mit Angela Merkel rede ich erst an sechster oder siebter Stelle.