27.09.2018FDPFDP

KUBICKI-Gastbeitrag: Die Untergeherin

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki schrieb für das „Handelsblatt“ (Donnerstagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Im medialen Berlin gibt es eigentlich eine Faustregel: Wenn es politische Eruptionen von größerer Tragweite gibt, steigt mit dem Eintreffen des Ereignisses schlagartig die Zahl der Naseweise, die das Beben schon lange vorausgesehen hatten. Aber am Tag, an dem die dramatische Machterosion Angela Merkels mit der Niederlage ihres Gefolgsmannes Volker Kauder ein Gesicht bekommen hat, war dies erstaunlicherweise nicht der Fall. Kaum jemand hatte an diesem Dienstag auf den Underdog Ralph Brinkhaus gesetzt – er selbst wirkte über das Ergebnis am meisten überrascht. Zu sehr hatten sich die Kanzlerin, der CSU-Vorsitzende Seehofer und der CSU-Landesgruppenchef Dobrindt im Vorhinein für die Methode „Weiter so“ in der CDU/CSU-Fraktion aus dem Fenster gelehnt. Es war eigentlich nur die Frage offen, wie viele Stimmen Kauder oberhalb von 50 Prozent erhalten würde.

Im Nachhinein wird deutlich, wie groß die Frustration der Unionsabgeordneten gewesen sein muss, als die Fraktion – wissend um die Bedeutung dieser Personalie – der Kanzlerin die Gefolgschaft verweigerte. Es war ein Aufstand gegen das System Merkel, das auf absolute Regierungstreue ausgerichtet war. Volker Kauder stand wie kein zweiter für dieses System.

Angela Merkels machtstrategischer Fehler war sicherlich, mit dem Einstieg in die letzten Jahre ihrer Kanzlerschaft nicht die Weichen für einen geordneten Übergang zu stellen. Mit der Erkenntnis, dass sie maximal bis zum Jahr 2021 Regierungschefin bleiben würde, mussten sich die Unionsabgeordneten zwangsläufig der Frage zuwenden: Was dann? Schon mit der Ankündigung des Ausstiegsdatums hatte sich Frau Merkel selbst zur Kanzlerin auf Abruf gemacht.

Klar war also, dass der Wechsel kommen würde. Aber es wurde personell kein Zeichen gesetzt, dass der Wechsel auch gestaltet werden sollte. Insofern ist das Signal, das von der Wahl von Ralph Brinkhaus zum Fraktionsvorsitzenden ausgeht, ein ermutigendes. Dass sich die Unionsfraktion nun dem System Merkel widersetzt hat, offenbart ein stärkeres parlamentarisches Selbstbewusstsein. Und es ist davon auszugehen, dass

das Parlament künftig wieder zum zentralen Austragungsort der gesellschaftlichen Debatten wird – und nicht bloß dazu dient, dass die regierungstragenden Fraktionen dort den aktuellen Regierungsreport vorlesen. Denn Ralph Brinkhaus muss in dieser Frage liefern. Er hat bei seinen Sympathisanten diese Erwartung geweckt.

Wir erleben gerade, wie schnell Angela Merkels Macht erodiert. Sei es in der peinlichen Posse um Hans-Georg Maaßen, beim Tag der Deutschen Industrie, wo sie die harsche Kritik an der Regierungspolitik reumütig entgegennahm, oder jetzt bei der Kauder-Abwahl: Jedes Mal musste sie Fehler oder Fehleinschätzungen eingestehen. In den 13 Jahren ihrer Kanzlerschaft hat sie sich seltener öffentlich demütig zeigen müssen als in den vergangenen Tagen.

Und wenn der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schuster nun öffentlich erklärt, die Kanzlerin müsse die „Zeit der Wachablösung (...) moderieren“, damit die Union im Jahre 2020 eine hervorragende Aufstellung für das Wahljahr habe, dann offenbart dies, wie wenig mit ihr noch innerhalb der eigenen Partei gerechnet wird. Eine Kanzlerin als „Moderatorin“, die im mutmaßlich letzten Jahr ihrer Amtszeit einen Unions-Nebenkanzler ertragen muss? Undenkbar. So gibt man sie der Lächerlichkeit preis.

Die kommenden Wochen und Monate werden den machtpolitischen Zerfallsprozess der Kanzlerin beschleunigen. Wenn die Vorstandswahlen der CDU Ende des Jahres stattfinden, wird sie sicher nicht mehr als Parteivorsitzende zur Verfügung stehen. Denn auch aus der Partei wird sie das Signal erhalten: „Für den Übergang ist es notwendig, Kanzlerschaft und Parteivorsitz zu trennen.“ Oder: „Ein glaubwürdiger Wechsel muss längerfristig eingeleitet werden.“ Angela Merkel wird klar sein, dass sie den Zeitpunkt verpasst hat, um mit Würde abzudanken.

Die Kanzlerinnendämmerung ist in vollem Gange. Trotz der Aussicht darauf, dass die Bundesregierung damit in noch schwereres Fahrwasser gerät, wächst seit diesem Dienstag aber die Hoffnung auf eine Stärkung der Debattenkultur.

Die Tatsache, dass sich die Unionsfraktion offenbar nicht mehr zu einem Kanzlerinnenwahlverein degradieren lassen möchte, eröffnet die Möglichkeit der Beantwortung einer Vielzahl von Fragen, die im politischen Diskurs bisher weitgehend ausgeblendet oder der AfD überlassen wurden. Damit kann dieser Dienstag tatsächlich eine katalytische Wirkung entfalten, die unserer Demokratie nur guttun kann.

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