05.11.2015Nach den jüngsten Parlamentswahlen in der Türkei wird erneut über die EU-Beitrittsperspektiven des Landes debattiert. Für Alexander Graf Lambsdorff ist eine EU-Mitgliedschaft der Türkei kein realistisches Ziel mehr. "Wir sollten uns ehrlich machen und den Beitrittsprozess beenden", forderte der Vizepräsident des EU-Parlaments im Gespräch mit "Zeit Online". Mit Blick auf die Lage der Bürgerrechte und Pressefreiheit im Land stellte er klar: "Eine EU, die an den Rändern überdehnt wird und in der innen die Werte zerfasern, liegt weder im deutschen noch im europäischen Interesse."
Sowohl in der Türkei als auch in der EU seien längst viele gegen den Beitritt, gab er zu bedenken. Der Prozess schade aktuell den Beziehungen mehr, als er helfe. In der Türkei würde Kritik aus Brüssel an den Zuständen im Kandidatenland nicht mehr als Ansporn, sondern als Angriff wahrgenommen. "Die Stimmung ist vergiftet", konstatierte Lambsdorff. Er hoffe, dass eine neue Nüchternheit die Beziehungen verbessern könnte.
Nachdem die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan die türkische Parlamentswahl gewonnen hatte, rief Lambsdorff alle Seiten auf, das Ergebnis zu akzeptieren und sich friedlich zu verhalten. "Trotzdem hat es einen bitteren Beigeschmack – denn die Meinungsfreiheit ist in der Türkei mittlerweile so stark eingeschränkt, dass sich die Wähler nur schwer ein klares Bild machen konnten", verdeutlichte der Freidemokrat. Er erläuterte im Interview mit dem "Deutschlandradio Kultur" seine Argumente für eine Aussetzung des EU-Beitrittsprozesses der Türkei.
Die innenpolitische Lage in der Türkei hat eine große Rolle beim Ausgang der Neuwahl gespielt. Die Besetzung eines regierungskritischen Verlages wenige Tage vor der Wahl habe die dramatische Verschlechterung der Medienfreiheit in der Türkei einmal mehr klar gemacht, so Lambsdorff. "Den Wahlsieg hat die AKP auch der Instabilität zu verdanken, die sie selber mitverursacht hat. Der Friedensprozess mit der PKK wurde nach der Wahlniederlage im Juni beendet, um von Unsicherheit in der Bevölkerung zu profitieren." Für die Wahlkämpfer der AKP sei der Machterhalt vor dem Frieden im Land gekommen, resümierte der Freidemokrat. Der Sieg der AKP bringe zwar Stabilität - "aber das war doch um einen sehr hohen Preis, was Grundwerte, was Meinungsfreiheit, was andere Fragen angeht".
Die Flüchtlinge aus Syrien und dem Nordirak seien allerdings ein wichtiger Grund, mit Ankara im Gespräch zu bleiben. Das Verhältnis zwischen EU und Türkei müsse auf eine neue Grundlage gestellt werden, betonte Lambsdorff. "Wenn die Grundwerte so mit Füßen getreten werden, wie das hier geschehen ist, dann kann das Land kein Beitrittskandidat mehr sein", unterstrich der Freidemokrat. Er forderte: "Wir dürfen die europäisch-türkischen Beziehungen nicht mehr durch das Prisma der Beitrittsverhandlungen betrachten. Stattdessen brauchen wir eine positive Agenda für die Bereiche, bei denen wir enger zusammenarbeiten können."
Die Stimmung ist vergiftet
Die türkische Hauptstadt Ankara. Bild: Stiftung für die FreiheitNach den jüngsten Parlamentswahlen in der Türkei wird erneut über die EU-Beitrittsperspektiven des Landes debattiert. Für Alexander Graf Lambsdorff ist eine EU-Mitgliedschaft der Türkei kein realistisches Ziel mehr. "Wir sollten uns ehrlich machen und den Beitrittsprozess beenden", forderte der Vizepräsident des EU-Parlaments im Gespräch mit "Zeit Online". Mit Blick auf die Lage der Bürgerrechte und Pressefreiheit im Land stellte er klar: "Eine EU, die an den Rändern überdehnt wird und in der innen die Werte zerfasern, liegt weder im deutschen noch im europäischen Interesse."
Sowohl in der Türkei als auch in der EU seien längst viele gegen den Beitritt, gab er zu bedenken. Der Prozess schade aktuell den Beziehungen mehr, als er helfe. In der Türkei würde Kritik aus Brüssel an den Zuständen im Kandidatenland nicht mehr als Ansporn, sondern als Angriff wahrgenommen. "Die Stimmung ist vergiftet", konstatierte Lambsdorff. Er hoffe, dass eine neue Nüchternheit die Beziehungen verbessern könnte.
Wahlergebnis hat einen bitteren Beigeschmack
Nachdem die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan die türkische Parlamentswahl gewonnen hatte, rief Lambsdorff alle Seiten auf, das Ergebnis zu akzeptieren und sich friedlich zu verhalten. "Trotzdem hat es einen bitteren Beigeschmack – denn die Meinungsfreiheit ist in der Türkei mittlerweile so stark eingeschränkt, dass sich die Wähler nur schwer ein klares Bild machen konnten", verdeutlichte der Freidemokrat. Er erläuterte im Interview mit dem "Deutschlandradio Kultur" seine Argumente für eine Aussetzung des EU-Beitrittsprozesses der Türkei.
Die innenpolitische Lage in der Türkei hat eine große Rolle beim Ausgang der Neuwahl gespielt. Die Besetzung eines regierungskritischen Verlages wenige Tage vor der Wahl habe die dramatische Verschlechterung der Medienfreiheit in der Türkei einmal mehr klar gemacht, so Lambsdorff. "Den Wahlsieg hat die AKP auch der Instabilität zu verdanken, die sie selber mitverursacht hat. Der Friedensprozess mit der PKK wurde nach der Wahlniederlage im Juni beendet, um von Unsicherheit in der Bevölkerung zu profitieren." Für die Wahlkämpfer der AKP sei der Machterhalt vor dem Frieden im Land gekommen, resümierte der Freidemokrat. Der Sieg der AKP bringe zwar Stabilität - "aber das war doch um einen sehr hohen Preis, was Grundwerte, was Meinungsfreiheit, was andere Fragen angeht".
Türkei und EU sind aufeinander angewiesen
Die Flüchtlinge aus Syrien und dem Nordirak seien allerdings ein wichtiger Grund, mit Ankara im Gespräch zu bleiben. Das Verhältnis zwischen EU und Türkei müsse auf eine neue Grundlage gestellt werden, betonte Lambsdorff. "Wenn die Grundwerte so mit Füßen getreten werden, wie das hier geschehen ist, dann kann das Land kein Beitrittskandidat mehr sein", unterstrich der Freidemokrat. Er forderte: "Wir dürfen die europäisch-türkischen Beziehungen nicht mehr durch das Prisma der Beitrittsverhandlungen betrachten. Stattdessen brauchen wir eine positive Agenda für die Bereiche, bei denen wir enger zusammenarbeiten können."