Brüderle-Interview für "Weserkurier"
Berlin. Der Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, FDP-Präsidiumsmitglied und Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion RAINER BRÜDERLE gab dem "Weser-Kurier" (Sonntag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte NORBERT HOLST am Freitag:
Frage: Herr Brüderle, sie sehen sich im Wahlkampf als Mittelstürmer Ihrer Partei, der die Tore machen muss. So lautet die abgesprochene Arbeitsteilung mit Parteichef Philipp Rösler. Wie ist denn bislang die Trefferausbeute?
BRÜDERLE: Also, Abpfiff des Spiels ist am 22. September um 18 Uhr. Ich bin sicher, dass wir wieder in den Bundestag kommen und auch ein gutes Ergebnis erzielen. Denn die SPD vertritt schon lange nicht mehr die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Und das Programm der Grünen besteht aus Steuern und Verboten. Wir dagegen können auf vier gute Jahre zurückblicken. In Deutschland ist die Beschäftigung auf Rekordniveau, die Renten und Reallöhne steigen und unsere Staatsfinanzen sind endlich wieder solide.
Frage: Für das Thema Bürgerrechte haben Sie ja nun eine Steilvorlage durch die großflächige Überwachung in den USA bekommen, Stichwort PRISM.
BRÜDERLE: Wenn man das alles so hört, kommt man sich vor wie in einem James Bond-Film. Diese Überwachungspraxis bestätigt unsere Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung. Denn der Fall in den USA zeigt, dass ein Staat nicht alles machen darf, was technisch möglich ist. Und er zeigt einmal mehr, dass wir als liberale Demokraten ein wichtiges Wächteramt haben - denn auch SPD und Union sind schnell bereit, sich den Sheriff-Stern anzustecken.
Frage: Auch bei Themen wie Mietpreisbremse, Mütterrente oder Adoptionsrecht für Homo-Paare sind die Positionen von FDP und Union bemerkenswert unterschiedlich. Wie wollen sie das unter einen Hut kriegen, wenn Schwarz-Gelb nach der Wahl noch das Sagen haben sollte?
BRÜDERLE: Es ist doch völlig normal, dass Koalitionspartner ihre eigenen Schwerpunkte setzen. Die FDP war von Anfang an für eine Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensbeziehungen. Das gilt auch für das Adoptionsrecht. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist der Koalitionspartner nun bereit, die steuerliche Gleichbehandlung umzusetzen. Leider ist er beim Adoptionsrecht noch nicht so weit. Aber die FDP wird die Forderung gleich nach der Wahl in den Koalitionsverhandlungen wieder auf den Tisch bringen. Gleiche Pflichten müssen zu gleichen Rechten führen. Ich habe grundsätzlich übrigens auch nichts gegen manche Vorschläge der Union. Sie müssen nur seriös finanziert werden können.
Frage: Aber eine Mietpreisbremse ist mit der FDP nicht zu machen, oder?
BRÜDERLE: Ich halte sie für Unfug. Wir haben in Ballungsgebieten die Regel, dass die Miete um maximal 15 Prozent in drei Jahren erhöht werden darf. Das ist also schon eine Mietpreisbegrenzung. Das Problem ist doch heute, dass wir zu wenige Neubauten von Wohnungen haben, die auch bezahlbar sind. Statt Mietpreisbremse ist unser Vorschlag: Gaspedal für mehr Mietwohnungen.
Frage: Wie soll das gehen?
BRÜDERLE: Wir wollen die degressive Abschreibung im Wohnungsbau wieder einführen. Das war ein sehr wirksames Instrument, weil Investoren in den ersten Jahren einen hohen steuerlichen Vorteil haben. Geld ist ja da, es fließt nur nicht in den Wohnungsbau.
Frage: Am Donnerstag lädt die FDP-Bundesfraktion zum Wirtschaftsdialog in Bremen. Die Wirtschaft beklagt den lahmenden Ausbau der Verkehrsinfrastruktur im Norden . Man denke nur an Langzeit-Projekte wie Küstenautobahn und Y-Trasse, oder an die Hinterland-Anbindung des Jade-Weser-Ports.
BRÜDERLE: In der Tat ist die Verkehrslogistik ein wichtiger Faktor für die Wirtschaft. Aber es gibt oft Probleme bei der Umsetzung von Planungen und Baurecht. Auch die norddeutschen Länder müssen die Prioritäten, die sie dann beim Bund für den Verkehrswegeplan anmelden, richtig setzen. Die Hausaufgaben nicht zu machen und auf den Bund zu verweisen, das ist zu einfach.
Frage: Haben Sie für den Ausbau der Infrastruktur auch ein Gaspedal in der Hinterhand?
BRÜDERLE: Wir brauchen neue Wege der Finanzierung, private Investoren sollten stärker einbezogen werden. Vor vielen Jahren habe ich als rheinland-pfälzischer Verkehrsminister die ersten privat co-finanzierten Straßen und Brücken Deutschlands gebaut. Die Kosten wurden über Benutzungsgebühren refinanziert. Durch solch ein Modell könnten sich mehr Projekte gleichzeitig verwirklichen lassen. So wurde ja auch der Ausbau der A1 zwischen Bremen und Hamburg finanziert.
Frage: CSU-Chef Horst Seehofer will eine Pkw-Maut, um den Straßenbau zu forcieren.
BRÜDERLE: Der Autofahrer wird ja schon kräftig gemolken. Als die Mineralölsteuer eingeführt wurde, sollte sie komplett in den Straßenbau fließen. Davon sind wir aber weit entfernt. Viele Menschen in Flächenländern sind auf dem Weg zur Arbeit auf ihr Auto angewiesen. Sie müssen die Pendelei auch bezahlen können. Deshalb kann man die Belastung für die Autofahrer nicht immer weiter nach oben schrauben. Nun will Horst Seehofer nur Pkw-Fahrer aus dem Ausland bezahlen lassen. Aber diese Vorstellung halte ich nicht für realistisch, denn eine unterschiedliche Behandlung widerspricht EU-Vorgaben.
Frage: Sollte es am 22. September für Schwarz-Gelb klappen, bekommt der Spitzenkandidat doch sicherlich einen Spitzenposten. Welcher darf"s denn sein?
BRÜDERLE: Für mich ist entscheidend, dass Deutschland weiter erfolgreich von einer christlich-liberalen Koalition regiert werden kann. Personen sind da nachrangig.