07.04.2003FDP

BESCHLUSS des FDP-Bundesvorstands vom 7. April 2003

Deutsche Außenpolitik im Lichte des Irak-Krieges

Berlin. Der FDP-Bundesvorstand hat auf seiner heutigen Sitzung beschlossen:

Der Krieg im Irak ist Ausdruck des Versagens der internationalen Politik und ihrer Mechanismen im Rahmen der bestehenden internationalen Systeme. Für uns Liberale sind der richtige Ort für die Beilegung schwerwiegender internationaler Konflikte stets die Systeme kooperativer Sicherheit, d. h. die OSZE im europäischen und die Vereinten Nationen im globalen Rahmen. Militärische Interventionen ohne entsprechendes Mandat der Vereinten Nationen außer in Fällen der Selbstverteidigung lehnt die FDP grundsätzlich ab. Der Krieg im Irak findet daher nicht die Billigung der FDP. Ausdrücklich halten wir fest: Im Irak herrscht ein brutaler, grausamer Diktator, der sein Volk seit Jahrzehnten unterjocht. SADDAM HUSSEIN ist Täter, nicht Opfer.

Ob angesichts der mangelnden irakischen Kooperationsbereitschaft und angesichts der amerikanischen Entschlossenheit dieser Krieg noch hätte verhindert werden können, ist kaum zu beurteilen. Eine Chance für eine friedliche Durchsetzung der UN-Resolution 1441 und ihrer vielen Vorgängerresolutionen hätte aber mit Sicherheit nur dann bestanden, wenn die Mitglieder des Weltsicherheitsrates, vor allem die fünf ständigen Mitglieder, ebenso wie die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der NATO zu einer gemeinsamen und entschlossen gegenüber Saddam Hussein vertretenen Haltung gefunden hätten. Nur dann hätte eine glaubwürdige militärische Drohkulisse ihre Wirkung auf das verbrecherische Regime in Bagdad entfalten können. Nur dann hätte die Chance bestanden, das Ziel der jahrzehntelangen Bemühungen der Vereinten Nationen, diesem Regime die Massenvernichtungswaffen aus der Hand zu nehmen, zu erreichen.

Nicht nur die Vereinigten Staaten haben diese Einigkeit durch ihre mangelnde Dialogbereitschaft in der UNO und vor allem mit den europäischen Partnern sowie schließlich durch ihre Entschlossenheit zum militärischen Alleingang verhindert; auch die deutsche Bundesregierung hat eine einheitliche Position des Weltsicherheitsrates und der Europäischen Union durch ihre wahltaktisch motivierte Vorabfestlegung und ihr Beharren auf "dem deutschen Weg" von vornherein unmöglich gemacht. Die dadurch entstandene Schwächung der Vereinten Nationen, die Zerrissenheit innerhalb Europas und die Schwächung der NATO sind deshalb auch Ergebnis falscher deutscher Außenpolitik.

Auch wenn wir Liberalen diesen Krieg für falsch halten und sich Deutschland - unabhängig davon, dass es seinen Bündnisverpflichtungen nachkommt - deshalb zu Recht nicht an ihm beteiligt, sind wir nicht neutral. Wir hoffen daher nicht nur, dass der Krieg möglichst schnell und mit so wenig Opfern unter der Zivilbevölkerung und unter den Soldaten wie möglich beendet werden kann, sondern auch, dass die amerikanischen und die mit ihnen alliierten Streitkräfte dem Terrorregime des Saddam Hussein ein Ende bereiten und den Menschen im Irak eine Freiheitsperspektive eröffnen.

Schon jetzt aber gilt es, den Blick in die Zukunft zu richten. Wir Liberale wissen, dass eine Beendigung des Krieges noch keine Gewähr dafür bietet, auch den Frieden zu gewinnen. Natürlich müssen zuallererst alle nötigen und möglichen Maßnahmen zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe ergriffen werden. Vor allem aber muss mit der Entwicklung von Konzepten für den Wiederaufbau des Irak unverzüglich und international koordiniert begonnen werden. Der Frieden im Irak und in der Region wird nur im Rahmen der Weltstaatengemeinschaft zu gewinnen sein. Protektorate der Siegermächte und eine Veränderung der territorialen Integrität des Irak sind sowohl für den Irak als auch mit Blick auf das Gleichgewicht in der Region der falsche Weg. Entsprechend dem Vorbild der KSZE sollte im Nahen Osten eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO) einberufen werden. Frieden lässt sich langfristig nur durch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Nationen erreichen.

Die Unfähigkeit der internationalen Politik, den Irak-Krieg zu vermeiden und das Ziel der UN-Resolutionen auf friedlichem Wege zu erreichen, bedeutet einen schweren Rückschlag für die Vereinten Nationen, für das transatlantische Verhältnis und für die europäische Integration. Die FDP beharrt auf einer zentralen Rolle der Vereinten Nationen beim Aufbau staatlicher Strukturen im Irak, die den Grundprinzipien der Achtung der Würde des Menschen, der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und des friedlichen Zusammenlebens der Völker Rechnung tragen. Die FDP fordert die Bundesregierung und ihre Partner in der Europäischen Union auf, das Fiasko im Vorfeld des Irak-Krieges zum Anlass zu nehmen, eine erneute Initiative zu ergreifen, um den Prozess der Reform der Vereinten Nationen, der in den letzten Jahren fatalerweise zum Stocken gekommen ist, wieder in Gang zu bringen. In diesem Zusammenhang sollte die Europäische Union auf einem eigenen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen beharren.

Die FDP fordert die Bundesregierung auf, die Initiative zur Wiederherstellung der Dialogfähigkeit zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland auch auf höchster Regierungsebene zu ergreifen und den völlig inakzeptablen Zustand zu beenden, dass zwischen dem deutschen Bundeskanzler und dem amerikanischen Präsidenten über fast ein Jahr hinweg kein einziges persönliches, geschweige denn von Freundschaft, Vertrauen und Respekt getragenes Gespräch stattgefunden hat. Trotz der Ablehnung des von den USA geführten Krieges im Irak steht die FDP fest zur transatlantischen Freundschaft als einem der wichtigsten Eckpfeiler der deutschen Außenpolitik. Wir sind der Überzeugung, dass die in Jahrzehnten gewachsene Freundschaft zwischen den USA und Deutschland stärker ist als die aktuellen Meinungsunterschiede. Offenen oder latenten Antiamerikanismus lehnt die FDP entschieden ab.

Die FDP fordert die Bundesregierung auf, dazu beizutragen, den unermesslichen Schaden zu begrenzen, den das Politikversagen auf beiden Seiten des Atlantiks auch und gerade für den Prozess der europäischen Integration verursachen könnte. Die aussichtsreichen ersten Schritte des EU-Verfassungskonvents hin zu mehr europäischer Handlungsfähigkeit gerade auch in der Außen- und Sicherheitspolitik und zu mehr demokratischer Legitimation in einem föderalen Europa scheinen gefährdet angesichts der tiefen Gräben, die dieser Krieg quer durch die Europäische Union einschließlich ihrer demnächst beitretenden neuen Mitglieder gerissen hat.

Dabei hat der Irak-Krieg nach Auffassung der FDP erneut schmerzlich klargemacht, dass Europa seine Interessen in der internationalen Politik nur wahren kann, wenn es mit einer Stimme spricht. Es ist darüber hinaus erneut deutlich geworden, dass jeder Fortschritt im europäischen Integrationsprozess nicht nur davon abhängt, dass es zu einer vertrauensvollen Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland kommt, sondern auch davon, dass alle Partner in der EU unabhängig von ihrer Größe die Chance haben, gleichberechtigt an diesem Prozess teilzuhaben. Geist und Buchstaben der europäischen Verträge vertragen weder Direktorien noch das bevormundende Machtgehabe einzelner großer Mitgliedstaaten, insbesondere gegenüber kleineren Partnern und solchen, die - gerade erst aus der Bevormundung durch die einstige kommunistische Supermacht befreit - jetzt aus freier Entscheidung den Weg in die Europäische Union angetreten haben.

Die FDP hält jetzt mehr denn je mutige Schritte in Richtung der Weiterentwicklung der Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik und der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik für erforderlich. Dies schließt sowohl eine Vertiefung der rüstungspolitischen Zusammenarbeit als auch die Integration von Streitkräften bzw. Teilstreitkräften sowie systematische Arbeitsteilung bei einzelnen Teilstreitkräften bzw. Waffengattungen im EU-Rahmen ein. Sofern einzelne EU-Mitglieder dabei eine Vorreiterrolle einnehmen, ist darauf zu achten, dass dadurch nicht die jetzt aufgerissenen Gräben innerhalb der Union vertieft werden, wie dies bei der belgisch-französisch-deutschen Initiative leicht der Fall sein könnte. Vielmehr sollten grundsätzlich alle großen wie kleinen, alten wie neuen EU-Mitglieder zur Teilnahme eingeladen werden. Dort wo Kerne den weiteren europäischen Integrationsprozess voranbringen sollen, dürfen sie nicht zur Spaltung führen.

Sowohl in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik als auch auf den anderen Politikfeldern, bei denen wir uns vom EU-Verfassungskonvent eine Vertiefung der europäischen Integration erhoffen, geht es uns Freien Demokraten nicht um eine Abkopplung von unseren nordamerikanischen Freunden, sondern um die Verbesserung der Fähigkeiten der Europäer zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den USA, die bei vielen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte - von der Bekämpfung des Terrorismus bis hin zur Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme der Globalisierung - noch dringend gebraucht werden wird. Wer glaubt, die nordatlantische Zusammenarbeit im erfolgreichsten Verteidigungsbündnis aller Zeiten ersetzen zu können durch neue Allianzen im euro-asiatischen Kontext, begibt sich nach Auffassung der FDP auf einen lebensgefährlichen Irrweg.

Bündnisfähigkeit - sowohl im Rahmen der NATO als auch in einer sich mehr und mehr der Sicherheits- und Verteidigungsdimension öffnenden Europäischen Union - ist für uns Freie Demokraten unverzichtbarer Teil deutscher Staatsraison. Jegliche Renationalisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa im Allgemeinen und Deutschlands im Besonderen würde einen unverantwortlichen historischen Rückschritt bedeuten. Sie kommt für die FDP nicht in Frage. Deshalb lehnen wir den sogenannten "deutschen Weg" sowohl als Politikentwurf als auch als
Ausdruck neu erreichter deutscher Emanzipation und vermeintlich gestärkten deutschen Selbstbewusstseins in der internationalen Politik ab. Der Bezugsrahmen deutscher Außenpolitik sind und bleiben die europäische Integration und die nordatlantische Allianz sowie OSZE und UNO als Systeme kooperativer Sicherheit in Europa und in der Welt.

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