FDPDas aktuelle Interview

Wir machen ein Angebot, an das wir glauben

Christian LindnerChristian Lindner
15.06.2015

Die Freien Demokraten haben sich auf ihre Kernkompetenz besonnen: Liberal sein. FDP-Chef Christian Lindner sprach im Interview mit dem „Iserlohner Kreisanzeiger“ über seinen Einstieg in die Politik, Teamarbeit und German Mut. „Der Kern der Überzeugung ist: wir glauben an den Einzelnen! Den wollen wir groß machen. Und nicht den Staat. Und das ist – wenn man seinen eigenen Kompass wiedergefunden hat – eine Form der Selbstbefreiung.“

„Ich glaube, dass man in einer Mannschaft erfolgreicher ist, als als Einzelkämpfer. Natürlich muss es einen geben, der die Mannschaft aufstellt, aber der kann nicht allein die Tore machen“, fasste Lindner seine Arbeitsphilosophie zusammen. „Wir sind ein starkes Team mit vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten aus beiden Geschlechtern und aus unterschiedlichen Altersgruppen.“

Der Denkzettel der Bundestagswahl 2013 hätte zur Rückbesinnung auf darauf geführt, „warum wir eigentlich mal Freie Demokraten geworden sind“. Der Kern der Überzeugung sei der Glaube daran, den Einzelnen groß zu machen. „Wir machen einfach ein Angebot, an das wir glauben.“ Statt die Menschen durch Bürokratie und Bespitzelung klein zu halten, setzten die Freien Demokraten auf Bildung, um die Menschen freiheitsfähig zu machen.

Christian Lindner im Interview mit dem "Iserlohner Kreisanzeiger"

Frage: Herr Lindner, wenn Wikipedia, das allgewaltige Online-Nachschlagewerk, stimmt, was ja nicht immer der Fall ist . . .

CL: Das können Sie wohl laut sagen!

Frage: . . . dann haben Sie schon in Ihrer Schulzeit als Unternehmensberater angefangen.

CL: Stimmt! Ich habe mit meinem 18. Geburtstag mein erstes Gewerbe angemeldet. Ich bin zu der Zeit in meine erste Wohnung gezogen – und irgendwer musste ja Miete und Tankfüllung bezahlen. Darum habe ich mich selbstständig gemacht.

Frage: Wirklich als Unternehmensberater?

CL: Nein, als Kaufmann in der Werbebranche. Ich habe nach kleineren Anfängen recht bald die Markteinführung von regionalen Telefongesellschaften eines großen Energieversorgers gestaltet. Bis ich ein Führungsamt übernommen habe, war ich außerhalb der Politik berufstätig. Das stärkt die Unabhängigkeit und eröffnet andere Erfahrungen.

Frage: Wie kommt man noch als Schüler zu oder auf so etwas? Ich gehe mal davon aus, dass Wirtschaftswissenschaften – obwohl Sie das hinterher ja gar nicht studiert haben – schon früh Ihr Thema war.

CL: Ja, aber eher als politischer Schwerpunkt. Beruflich ging es eher um Werbung und Kommunikation. Insbesondere auch bei der Nutzung der damals noch neuen Online-Medien und der Ansprache von jugendlichen Zielgruppen. Das lag im Schüler- und Studentenalter ja nahe.

Frage: Macht soviel Zielstrebigkeit zu Schulzeiten in der Klasse oder in der Stufe eher einsam oder verschafft es schon frühe Popularität?

CL: Weder noch. Die anderen wussten, dass ich Freude an Projekten habe und gerne etwas Neues anpacke. Deshalb war ich auch Schulsprecher. Und wegen dieser Haltung bin ich schließlich zu den Freien Demokraten gegangen.

Frage: Haben Sie aus diesen Anfängen auch die Kraft gewonnen, als Einzelkämpfer unterwegs zu sein?

CL: Nein, ich bin ja eigentlich eher Teamplayer. Ich glaube, dass man in einer Mannschaft erfolgreicher ist, als als Einzelkämpfer. Natürlich muss es einen geben, der die Mannschaft aufstellt, aber der kann nicht allein die Tore machen.

Frage: In einem Journalisten-Zitat fand ich, sie seien eine „Ein-Mann-Kapelle, die die Partei mit einem neuen Sound ausstattet“. Ein schönes Bild. Aber eine Ein-Mann-Kapelle beherrscht in den seltensten Fällen alle Musikrichtungen und -stile, quasi von Mozart bis Helene Fischer.

CL: Das stimmt. Und das wäre in der FDP auch so, wenn das Bild zutreffen würde. Ein Parteivorsitzender ist in der Sache natürlich immer Generalist, muss sich zu allen wesentlichen Themen äußern können. Aber deswegen ist die FDP noch lange keine Ein-Mann-Kapelle. Wir sind vielmehr ein starkes Team mit vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten aus beiden Geschlechtern und aus unterschiedlichen Altersgruppen. Nehmen Sie Wolfgang Kubicki, Nicola Beer, Katja Suding und Lencke Steiner, Alexander Graf Lambsdorff. Natürlich trage ich als Vorsitzender besondere Verantwortung. Die fürchte ich nicht, schließlich habe ich diese gesucht. Aber ich mache es eben nicht allein.

Frage: Sprechen wir über eine erste Ihrer Nagelproben, die Vorstellung der neuen Farben und des „German Mut“. Sitzt man da still in der Ecke und hofft, dass einem die Öffentlichkeit das neue Konzept nicht sofort um die Ohren haut? Auch, weil man selbst den Kopf am weitesten aus dem Fenster hält?

CL: Es geht nicht um Farben oder Sprüche. Wir haben uns ja nach der Bundestagswahl 2013 neu aufgestellt. Der Wählerauftrag war: politische und personelle Erneuerung. Wir haben uns damit beschäftigt, warum wir eigentlich mal Freie Demokraten geworden sind. Und nicht Christ- oder Sozialdemokraten.
Der Kern der Überzeugung ist: wir glauben an den Einzelnen! Den wollen wir groß machen. Und nicht den Staat. Und das ist – wenn man seinen eigenen Kompass wiedergefunden hat – eine Form der Selbstbefreiung. So haben wir uns auch befreit von jeder Form von Opportunität oder Ängstlichkeit. Wir machen einfach ein Angebot, an das wir glauben, das wir gut finden. Wir freuen uns, wenn sich viele dahinter versammeln, aber wir suchen nicht den Applaus des Tages.

Frage: Sie sagen, der einzelne Bürger in diesem Land wird zunehmend bürokratisiert, abkassiert, bevormundet und bespitzelt.

CL: Genau – und durch so etwas wird er klein gemacht.

Frage: Eigentlich müssten bei so einem Satz doch alle denkenden Menschen in diesem Land wie selbstverständlich bei Ihnen ein Wahl-Kreuzchen machen. Was aber vermutlich so nicht passieren wird. Warum haben die Menschen Angst, Ihnen zu sagen: Das sehe ich genauso!

CL: Ist das so? Ich bleibe dabei, wir machen mit diesem Satz ein Angebot. Denken Sie an das zum Glück inzwischen aufgegebene Vorhaben, die Paternoster zu verbieten. Obwohl unsere Eltern und Großeltern so etwas über Jahrzehnte überlebt haben. Oder Vorratsdatenspeicherung oder die Verlängerung des Solidaritätszuschlags – alles Dinge, die darauf abzielen, den Bürger klein zu machen.

Frage: Wir glauben vielmehr daran, dass wir mehr für Bildung tun müssen. Auch bei denen, die über die Familien eigentlich keinen direkten Zugang zu Bildung haben.

CL: Und wir wollen den Menschen vor Bürokratie schützen.

Frage: Kommen wir also zur Bildung, einem Ihrer Haupt-Themen.

CL: Es ist sogar das Schlüsselthema. Wenn man von Sozialer Marktwirtschaft spricht, ist doch Voraussetzung, dass die Menschen überhaupt Freiheits-fähig sind. Sonst hätten wir es bei vorgeblicher Chancengleichheit mit einem leeren Versprechen zu tun.

Frage: Haben Sie eine Erklärung dafür, dass das Bildungsniveau – zumindest bei einem Teil der Bevölkerung – doch gefühlt abwärts zeigt?

CL: Mein Eindruck ist, dass es sehr auseinandergeht. Wir haben viele, die überaus qualifiziert unterwegs sind und andere, die abgehängt sind. Woran liegt‘s? Das hat etwas mit der Veränderung der Bevölkerung zu tun, Stichwort: Höherer Anteil von Zuwanderern. Da funktioniert die Förderung vom Kindergarten über die Einschulung ganz offensichtlich nicht. Ich glaube aber auch, dass unsere rot-grüne Landesregierung systematisch die Leistungsstandards reduziert und dass wir uns pädagogische Moden erlauben, die sich sehr zum Nachteil der jungen Menschen auswirken. Zum Beispiel bei der Rechtschreibung, wo man die Kinder schreiben lassen will, wie sie sprechen, um sie vor zu vielen roten Strichen im Diktat zu schützen. Das werden die gleichen Kinder sein, die als junge Erwachsene später diese pädagogische Nachsicht verfluchen.

Frage: Unser Bildungssystem ist also reformbedürftig vom Start weg?

CL: Genau, Kindergärten müssen bereits aufgewertet werden zu echten Bildungseinrichtungen. Das funktioniert nicht nach dem Motto „Sicher, sauber, satt“. Da geht es um ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung, um Sprachförderung. Und auch um Aufwertung der Grundschulen und Berufsschulen.

Frage: Allerdings möchten Sie auch den Bund da stärker in der Verantwortung sehen.

CL: Absolut, der Investitionsbedarf und -stau auf allen Gebieten kann von den Ländern und Kommunen gar nicht bewältigt werden. Zumal der Wettbewerb zwischen Ländern auf diesem Gebiet ohnehin nicht zielführend sein kann.

Frage: Themenwechsel: Gesundheit. Gern wird behauptet, wir Deutschen stöhnten da auf ziemlich hohem Niveau. Halten Sie die oft geforderte „Rundum-Sorglos-Versorgung“ für noch zeitgemäß? Oder muss ein Stück davon an den Bürger zurückgegeben werden?

CL: Die großen Lebensrisiken müssen gemeinschaftlich getragen und abgesichert werden. Ansonsten bin ich aber für Wahlfreiheit und Eigenverantwortung. Ich teile grundsätzlich Ihren Eindruck, dass wir in Deutschland ein qualitativ sehr gutes Gesundheitssystem haben, weshalb ja auch Menschen aus dem Ausland hierher zu uns kommen. Das System kann aber bei einer zunehmenden Verstaatlichung der Medizin ins Wanken geraten. Auch wenn sie zum Teil gut gemeint ist. Zum Beispiel mit Terminvergabestellen. Kassenärztliche Zulassungen werden derzeit quasi enteignet, weil die Große Koalition die Zahl der Praxen reduzieren will. Es wird laut nachgedacht über eine Bürgerversicherung, also eine Krankenversicherung für alle. Das deutet auf ein deutlich schlechteres System hin, wie wir es zum Beispiel in Großbritannien haben. Mit der Folge, dass immer mehr Menschen aus der gemeinsamen Absicherung heraus in die komplett private Organisation flüchten.

Frage: Sie sind jetzt 36 Jahre alt. Haben Sie für sich schon eine Pflegeversicherung abgeschlossen?

CL: Ja, aber ich weiß wie wir alle: Das wird nicht reichen. Man muss zusätzlich vorsorgen. Dafür sollte der Staat den Menschen durch Steuern und Abgaben nicht alle Möglichkeiten nehmen.

Frage: Bleiben wir noch einmal bei der Bildung. Immer wieder ist bei der Regierung von Entscheidungen zum Nachteil der Bürger der Rede, von Stillstand, von Unentschlossenheit. Könnte mehr Bildung der Bürger auch zu verstärktem Aufbegehren führen?

CL: Ich habe zwei Erklärungen für die vermeintliche Ruhe. Ich glaube nicht, dass es ein Problem der Menschen und ihrer Bildung ist. Ich erkenne eine wachsende Unzufriedenheit mit der Innenpolitik der Großen Koalition. Die Umfragen sind aber trotzdem wie eingefroren, weil die Außenpolitik der Bundeskanzlerin als erfolgreich wahrgenommenen wird. Viele geben aktuell an, die Union zu unterstützen, aber mit zunehmend schlechter Laune.

Frage: Das vergangene Wochenende war geprägt vom G7-Gipfel. Als politisch über alle Maßen getriebener Politik-Macher – wären Sie auf so einer Bühne gern dabei gewesen?

CL: Nein, ich bin Realist. Das war ein Treffen von Staats- und Regierungschefs. Und wer FDP-Mitglied wird, weiß, dass er nach menschlichem Ermessen niemals Regierungschef werden kann, weil wir eben ein politischer Spezialanbieter sind. Ich sage Ihnen aber, was ich gern tun würde: Ich würde gern im Deutschen Bundestag sprechen. Da will ich rein!

Frage: Hätten Sie im Gegensatz zu den G7 Herrn Putin am Ende doch nach Elmau gebeten?

CL: Grundsätzlich gilt natürlich: Das Völkerrecht ist wichtiger als kurzfristiger wirtschaftlicher Erfolg. Es kann und darf in Europa nicht wieder Vasallenstaaten geben, die aus dem Kreml Direktiven bekommen. Dennoch halte ich es für falsch, dass Putin nicht bei dem Treffen war. Mit Sanktionen zu reagieren ist das eine, aber das darf nicht dazu führen, dass man den Dialog unterbricht. Wenn die Gespräche abbrechen, fallen wir ja sogar hinter den kalten Krieg zurück.

Frage: Trotzdem noch mal kurz zu Elmau: Schlucken Sie, wenn Sie in den Nachrichten hören, was so ein Treffen den deutschen Steuerzahler am Ende kostet?

CL: Es wäre einfach zu sagen, dass ich dafür kein Verständnis habe. Aber ich sage: eine Volkswirtschaft mit 2600 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung im Jahr muss in der Lage sein, alle sieben oder acht Jahre Gastgeber für die unbedingt notwendige Gipfeldiplomatie zu sein.

Frage: Wir reden in Deutschland über die Krisen und Bedrohungen der Welt und gleichzeitig darüber, ob man Marihuana zukünftig am Büdchen verkaufen soll. Ein wilder Themen-Spagat, oder?

CL: Das ist wohl so. Es gibt nun mal große und kleine Themen. Bei dem gerade von Ihnen angesprochenen geht es ja nicht um das Recht auf Rausch, sondern es geht um Jugendschutz. Wir haben in Deutschland die Situation, dass der Besitz und Konsum von Cannabis toleriert wird, der Verkauf aber unter Strafe steht. Und das ist nichts anderes als ein Programm, den Schwarzmarkt anzufachen. Ein direkter Angriff auf den Jugendschutz.

Frage: Zurück auf Start: Wenn Sie heute mit 36 auf Ihren Anfang mit 18 zurückblicken – sind Sie heute da, wo Sie damals hin wollten?

CL: Das hätte ich wahrlich nicht so geplant. Mein ursprünglicher Lebensplan war mit Sicherheit nicht, mit 36 Jahren Vorsitzender der außerparlamentarischen FDP zu sein. Niemand weiß, was kommt. Aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass dies das spannendste Projekt meines Lebens ist.

Frage: Hat Sie erst eine Form von „Lindner-Mut“ in die Lage versetzt, sich diesen Herausforderungen zu stellen?

CL: Vielleicht ja, aber Mut braucht auch immer eine Form von Demut, weil er sonst zu Übermut oder Hochmut wird.

Frage: Sie wünschen sich also für Deutschland eine Mentalitäts-Veränderung. Wohin soll’s gehen?

CL: Wir reden vom Spezialfall der „German Angst“. Damit ist gemeint unsere Zögerlichkeit, unsere Bedenken, unser Besitzstandsdenken, unsere Skepsis. Ich bin davon überzeugt, dass die Zukunft unseres Landes besser wird, wenn wir uns bemühen, uns mit neuen Techniken anfreunden. Eine gewisse Risikobereitschaft an den Tag legen. Das genau meine ich mit „German Mut“.

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