01.09.2013FDPAußenpolitik

WESTERWELLE-Interview für "Welt am Sonntag" und "welt.de"

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab "Welt am Sonntag" und "welt.de" das folgende Interview. Die Fragen stellten JOCHEN GAUGELE und TORSTEN JUNGHOLT:

Frage: Herr Westerwelle, seit Beginn des Syrien-Konflikts haben Sie sich für eine politische Lösung eingesetzt. Nun bereiten die USA eine militärische Intervention vor. Hat Ihre Diplomatie versagt?

WESTERWELLE: Vor allem Russland blockiert seit Jahren den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Syrien-Frage. Wir haben in den vergangenen Tagen sehr darauf gedrängt, dass der Sicherheitsrat noch einmal mit den furchtbaren Vorgängen in Syrien befasst wird. Ich begrüße, dass dies von Großbritannien dann auch angestoßen wurde. Wir werden uns weiter mit Nachdruck für eine gemeinsame Haltung der Weltgemeinschaft einsetzen. Die Bundeskanzlerin und ich haben dazu zahllose Gespräche geführt, mit unseren Partnern und Verbündeten im Westen ebenso wie mit Russland, China und den Staaten der Region. Eines ist klar: Nur eine politische Lösung, im Wege von Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien und der Einsetzung einer Übergangsregierung, kann Syrien dauerhaften Frieden und Stabilität bringen.

Frage: Wie bewerten Sie die von der US-Regierung vorgelegten Beweise der Schuld Assads für den Giftgasangriff?

WESTERWELLE: Die vom amerikanischen Außenminister John Kerry vorgebrachten Argumente wiegen schwer. Sie weisen klar in Richtung des Assad-Regimes. Sie sind plausibel. Jeder sollte sie ernst nehmen. Umso mehr setzen wir uns jetzt dafür ein, dass die Untersuchungen der Vereinten Nationen so schnell wie irgend möglich abgeschlossen werden. Wir werden weiter intensiv mit unseren Verbündeten und Partnern beraten und uns für eine geschlossene Haltung der Weltgemeinschaft einsetzen.

Frage: Welchen Beitrag erwarten die USA von Deutschland? Und welchen sind Sie bereit zu leisten?

WESTERWELLE: Eine militärische Beteiligung Deutschlands ist nicht angefragt, sie wird von uns auch nicht in Betracht gezogen. Uns setzen schon das Grundgesetz und die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung enge Grenzen. Die Mittel für das deutsche Projektbüro zur Unterstützung des Wiederaufbaus durch die gemäßigte syrische Opposition erhöhen wir weiter. Auch der von uns mit den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgelegte Trust Fund sammelt erfolgreich erhebliche Mittel für die Wiederaufbauarbeit der Opposition. Deutschland engagiert sich in außerordentlichem Umfang humanitär. Noch nie zuvor haben wir so viel Mittel zur Linderung der Not in einem Land bereitgestellt. Wir gehören zu den größten Gebern für die syrische Flüchtlinge.

Frage: Um militärische Unterstützung wird es nicht gehen.

WESTERWELLE: Es geht nicht darum, mit dem Ziel eines regime change in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen oder eine militärische Entscheidung zugunsten der Rebellen zu erzwingen. Es geht um die richtige Antwort der Weltgemeinschaft auf den erstmaligen Einsatz chemischer Massenvernichtungswaffen im 21. Jahrhundert. Solche Waffen sind seit langem international geächtet und völkerrechtlich verboten. Würde die internationale Gemeinschaft zur Tagesordnung übergehen, wenn der Einsatz chemischer Massenvernichtungswaffen bewiesen ist, wäre dies ein schwere Bürde für unsere Zukunft. Jeder, der den Einsatz solcher Waffen in Erwägung zieht, muss wissen, dass er mit Konsequenzen der Weltgemeinschaft rechnen muss. Unsere Haltung orientiert sich hier an unseren außenpolitischen Interessen und unseren Wertvorstellungen.

Frage: Wie lange dauert es, bis die Vereinten Nationen die Ergebnisse ihrer Inspektion bekannt machen?

WESTERWELLE: Ich habe dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zugesagt zu helfen, damit die Ergebnisse zügig vorliegen. Wir leisten unseren handfesten Beitrag, damit die Untersuchungen schnell zu Ende gebracht werden können. Die Inspektoren haben mitsamt der von ihnen genommenen Proben in einem vom Auswärtigen Amt gecharterten Flugzeug die Region verlassen und sind nach Europa zurückgekehrt. Ich erwarte, dass die Analysen der Proben jetzt unverzüglich beginnen, mit allem Hochdruck vorgenommen und dann im Sicherheitsrat beraten werden.

Frage: Deutschland hat ein Raketenabwehrsystem an der türkisch-syrischen Grenze stationiert. Die Bundeswehr könnte damit unversehens zur Kriegspartei werden ...

WESTERWELLE: Das Mandat des Deutschen Bundestages für diesen Einsatz in der Türkei ist rein defensiv und wird von der Bundesregierung strengstens beachtet.

Frage: Die Bundeswehr bleibt in der Türkei - ganz gleich, was passiert?

WESTERWELLE: Ich muss es anderen überlassen zu spekulieren.

Frage: Ist das ein Thema für den Wahlkampf?

WESTERWELLE: Wir reden über einen blutigen Bürgerkrieg mit inzwischen Zehntausenden Toten, Millionen Flüchtlingen und dem Einsatz chemischer Waffen. Das ist eine höchst ernsthafte Lage, über die wir bei uns in Deutschland natürlich sprechen sollten und zwar ohne parteitaktische Hintergedanken. Wir haben von Beginn an in der Syrien-Frage intensiv das Gespräch mit Russland geführt. Ich bin in meinen Gesprächen mit Moskau mehrfach fast an die diplomatische Schmerzgrenze gegangen. Wir haben alles versucht, die russische Regierung umzustimmen.

Frage: War es ein Fehler Obamas, einen Giftgaseinsatz als "rote Linie" für eine Intervention zu markieren?

WESTERWELLE: Die ganze internationale Gemeinschaft - ausdrücklich auch Russland und China - hat damals deutlich gemacht, dass sie einen Chemiewaffeneinsatz in Syrien nicht hinnehmen wird. Wir sind in den letzten Jahren bei der Vernichtung der weltweit verbliebenen Bestände dieser geächteten Waffen gut vorangekommen. Deutschland hat sich dafür besonders engagiert, erhebliche Mittel eingesetzt und auch sein technisches Know bei der Vernichtung chemischer Waffen bereitgestellt, in jüngster Zeit etwa in Libyen. Es gibt aber noch immer Staaten, die sich dem internationalen Verbots- und Vernichtungsregime entziehen. Dazu gehören insbesondere Nordkorea und Syrien. Deshalb gilt: Wer nach einem Einsatz solcher Waffen einfach wegschaut und zur Tagesordnung übergeht, ermutigt dazu, dass erneut solche Waffen eingesetzt werden könnten. Auch deshalb lautet unser eindringlicher Appell an Russland, gemeinsam mit der Weltgemeinschaft hier ein klares Zeichen zu setzen.

Frage: Ist eine Intervention ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates völkerrechtlich legitimiert?

WESTERWELLE: Unser Ziel ist eine geschlossene Haltung und gemeinsames Handeln der Weltgemeinschaft im Sicherheitsrat. Alles andere sind Spekulationen, an denen ich mich sicher nicht beteiligen werde.

Frage: Das Assad-Regime droht, Attacken auf Syrien würden den Nahen Osten in einen "Feuerball" verwandeln. Wie ernst nehmen Sie das?

WESTERWELLE: Ich mache mir nicht erst seit der Zuspitzung der letzten Tage.allergrößte Sorgen über die Gefahr eines sich in der Region ausbreitenden Flächenbrandes.

Frage: In welcher Lage sehen Sie Israel?

WESTERWELLE: Für die deutsche Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten ist die Sicherheit Israels immer ein Anliegen von größter Bedeutung. Ich teile die Sorgen, die man sich in Israel um die eigene Sicherheit macht.

Frage: Verändert sich die Terrorgefahr in Deutschland, wenn eine Intervention in Syrien erfolgt?

WESTERWELLE: Diese Frage stellt sich auch dann, wenn die internationale Gemeinschaft bei einem Einsatz von Massenvernichtungswaffen wegsehen würde.

Frage: Wie gehen Sie persönlich mit der Situation um? Wie schaltet man von Krisenbewältigung auf Wahlkampf um - und damit auf Reden in Bierzelten?

WESTERWELLE: Ich glaube, es ist verständlich, dass mich die aktuelle Lage in Syrien rund um die Uhr in Beschlag nimmt. Ich werbe aus tiefer Überzeugung für Schwarz-Gelb. Die Ergebnisse der Arbeit der christlich-liberalen Regierungskoalition sind ausgesprochen positiv: von der Haushaltskonsolidierung über die Entlastung von Familien und Mittelstand bis hin zur niedrigen Arbeitslosigkeit, besseren Bildungschancen und endlich wieder steigenden Löhnen und Renten. Und wenn ich an die Alternative Rot-Rot-Grün denke, spornt mich das noch mehr an.

Frage: Vor vier Jahren haben Sie die FDP zu ihrem besten Wahlergebnis geführt. Haben die Liberalen das Beste daraus gemacht?

WESTERWELLE: Ich stelle nüchtern fest: Deutschland geht es so gut wie seit der deutschen Einheit nicht mehr. So anerkannt, wie Deutschland heute in der Welt ist, war es lange nicht mehr. Dass wir noch nicht alles erreicht haben von dem, was wir uns vorgenommen haben, stimmt. Aber hätten wir in der ersten Amtszeit schon alles geschafft, müssten wir uns um keine zweite bemühen.

Frage: 20 Monate nach der erfolgreichen Bundestagswahl hat Philipp Rösler den Parteivorsitz übernommen, Sie sind Außenminister geblieben. Hat das der FDP geholfen?

WESTERWELLE: Erst einmal freue ich mich über den Zulauf, den Philipp Rösler und Rainer Brüderle haben. Und zweitens unterstütze ich sie mit ganzer Kraft.

Frage: Brüderle ist 67, Rösler will mit 45 aus der Politik aussteigen. Wem gehört die Zukunft der FDP?

WESTERWELLE: Wir haben in der FDP ein Team, zu dem beide an der Spitze gehören - und noch andere mehr. Unsere Mischung aus Jüngeren und Älteren stimmt. Die personelle Verbreiterung ist der FDP in diesen vier Jahren ganz augenscheinlich gelungen - im Bund wie in den Ländern, wenn ich zum Beispiel an Christian Lindner in meiner Heimat in Nordrhein-Westfallen denke.

Frage: Für Sie gibt es kein Zurück in die Zukunft?

WESTERWELLE: Nein. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste meine sehr fordernde Arbeit als Außenminister noch mit der Tätigkeit des Parteivorsitzenden vereinbaren, wüsste ich gar nicht, wie ich das unter einen Hut bringen sollte.

Frage: Wie schätzen Sie Ihre Aussichten auf vier weitere Jahren als Außenminister ein?

WESTERWELLE: Das ist jetzt in den Händen der Wähler ...

Frage: ... und der Parteiführung.

WESTERWELLE: Selbstverständlich.

Frage: Politik ist nicht mein Leben, hat Roland Koch gesagt, als er nicht mehr Politiker sein wollte - und kaum einer hat es ihm geglaubt. Wie ist das bei Ihnen?

WESTERWELLE: Genauso. Aber jetzt und noch einige Jahre länger ist Politik mein Berufsleben, wenn es nach mir geht.

Frage: Wo möchten Sie leben, wenn Sie die Politik hinter sich haben?

WESTERWELLE: In Deutschland. Ich glaube, wir wissen manchmal gar nicht, wie gut wir es haben.

Frage: Die wenigsten Menschen leben im Hier und Jetzt. Viele schwelgen in der Vergangenheit, andere hoffen auf die Zukunft. Zu welcher Gruppe gehören Sie?

WESTERWELLE: Das Leben wird nach vorne gelebt und nach hinten verstanden. Zu dieser Gruppe zähle ich.

Frage: Haben Sie, was man landläufig als Gottvertrauen bezeichnet?

WESTERWELLE: Ja, das habe ich.

Frage: Sind Sie gläubig?

WESTERWELLE: Ja.

Frage: Wie äußert sich das?

WESTERWELLE: Zum Beispiel setze ich mich auf jeder meiner Reisen in schwierige Länder für Religionsfreiheit und insbesondere für Christen ein.

Frage: Gott ist ein Liberaler, sagt Rainer Brüderle. Haben Sie auch den Eindruck?

WESTERWELLE: Das hat er mit einem Augenzwinkern gesagt. Unser Herrgott liebt alle Menschen - einschließlich der Opposition.

Frage: Zu den massiven Steuersenkungen, die Sie im vergangenen Wahlkampf versprochen haben, ist es nicht gekommen. Jetzt stellen Sie die Abschaffung des Solidaritätszuschlags in Aussicht, und die Kanzlerin winkt schon ab ...

WESTERWELLE: Erst einmal haben wir eine vierköpfige Familie im Schnitt um 800 Euro pro Jahr entlastet. Ich hätte mir mehr gewünscht, aber das war angesichts der Erblast der Schuldenkrise nicht drin.

Frage: Werden Sie das Ende des Soli fordern?

WESTERWELLE: Ich teile die Haltung von Philipp Rösler und Rainer Brüderle zum Soli. Es ist doch gut, dass es unter lauter Parteien, die auf höhere Steuern und weniger Entlastung setzen, die FDP gibt, die sich laut und deutlich dem Mainstream der Steuererhöher entgegenstellt.

Frage: Verhindert das nicht die Schuldenkrise?

WESTERWELLE: Ich gebe keine Entwarnung, was die europäische Schuldenkrise angeht. Ich glaube, wir sind aus dem tiefsten Tal heraus, aber noch nicht über dem Berg. Deswegen ist es wichtig, dass wir den Kurs der Haushaltskonsolidierung und von Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit fortsetzen. Wir dürfen in Europa einfach nicht in die alte Schuldenpolitik zurückfallen. Deshalb lehne ich den Vorschlag der Opposition für Eurobonds ab, und ich rate davon ab, neue Hilfspakete anzukündigen, bevor die schwierigen Reformen in den Schuldenstaaten umgesetzt sind. Das würde den Reformelan vor Ort wohl nicht steigern.

Frage: CSU-Chef Seehofer hat sein Herzensprojekt, die Pkw-Maut für Ausländer, zur Bedingung für die Unterzeichnung eines Koalitionsvertrags gemacht. Sie könnten das ähnlich halten, wenn es Ihnen mit dem Ende des Soli so ernst ist ...

WESTERWELLE: Ich sage via "Welt am Sonntag" meinem lieben Freund Horst: Nach der Wahl kommen die Mühen der Ebene.

Frage: Sie müssen es wissen.

WESTERWELLE: Man lernt. Und vor allem dazu.

Frage: Als Sie Parteichef waren, galt für die FDP: Lieber Opposition als Ampel. Sind Sie sicher, dass Brüderle und Rösler genauso handeln?

WESTERWELLE: Auf unserer Parteikonferenz Mitte September haben der Spitzenkandidat und der Parteivorsitzende das erste Wort. Die Alternative wird ganz einfach sein: Entweder Union und FDP sitzen zusammen in der Regierung, oder Union und FDP sitzen zusammen in der Opposition. Herr Gabriel und Herr Trittin würden mit Herrn Gysi sofort eine Koalition begründen.

Frage: Vielleicht fragen Gabriel und Trittin ja erst die FDP.

WESTERWELLE: Es ist bekannt, dass ich ein Anhänger christlich-liberaler Koalitionen bin. Ich habe diese Koalition mitbegründet. Sie ist erfolgreich wie keine andere Koalition seit der deutschen Einheit. Ich werbe für ihre Fortsetzung, denn die Alternative ist eine Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei. So ist es schon in meiner nordrhein-westfälischen Heimat gemacht worden - allen anderen Beteuerungen zum Trotz.

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