WESTERWELLE-Interview für die "Westfalenpost"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Westfalenpost" (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte DR. WINFRIED DOLDERER:
Frage: Herr Westerwelle, haben Sie Frau Merkel schon das Du aufgekündigt?
WESTERWELLE: Wie käme ich dazu?
Frage: Weil sie neuerdings Schwarz-Rot doch eine viel schönere Kombination findet als Schwarz-Gelb - treulose Tomate, oder?
WESTERWELLE: Schnaps ist Schnaps und Dienst ist Dienst. Als Kanzlerin wird sie auch weiter der antreibenden und manchmal heftigen Kritik meiner Partei ausgesetzt sein. Im Persönlichen ist unser Verhältnis stabil, sympathisch und freundschaftlich.
Frage: Wie bewerten Sie denn dann Merkels neu gewonnene Ansicht, daß sich die Probleme im Bündnis mit der SPD besser lösen lassen als mit Ihnen?
WESTERWELLE: Daß stimmt ja nicht. Nehmen Sie das Hin und Her in der Gesundheitspolitik. Da werden sich die beiden Koalitionsparteien letzten Endes nur darauf einigen, die Bürger noch stärker zur Kasse zu bitten, um an den Strukturreformen vorbeizukommen. Man kann die Zukunft nicht mit Trippelschritten und dem kleinsten gemeinsamen Nenner gewinnen.
Frage: Auf sehr viel mehr hätten Sie sich beim Thema Gesundheit mit der Union aber doch auch nicht einigen können, oder? Sie wollen schließlich die gesetzlichen Kassen abschaffen.
WESTERWELLE: Es wäre sicher auch zwischen Union und FDP nicht leicht geworden. Aber wir hätten wenigstens in derselben Richtung eine Lösung gesucht. Und zwar nicht in Richtung sozialistische Zwangskasse, genannt Bürgerversicherung. Viel vernünftiger wäre es, Wettbewerb zuzulassen zwischen verschiedenen Anbietern und den Bürgern Wahlfreiheit zu geben. In dieser Richtung denken doch auch viele in der Union. Übrigens genauso in der Steuerpolitik: Daß das Thema in der Union derzeit keine Rolle mehr spielt, heißt doch nicht, daß wir dort nicht eine große Zahl von Verbündeten hätten. Ich erinnere nur an einen gewissen Bierdeckelbeschluß.
Frage: Dessen Urheber Friedrich Merz freilich zu den verglühten Sternen am Unionshimmel zählt.
WESTERWELLE: Das ist in der Tat eine Entwicklung, die ich bedauere. Daß der neue Star der Union mittlerweile Horst Seehofer heißt, der nicht einmal böse wäre, wenn ich ihn einen Sozialdemokraten mit schwarzem Parteibuch nenne, und nicht mehr Friedrich Merz, ist ja bezeichnend für die staatsbürokratischen Anfälligkeiten der Unionsparteien.
Frage: Ist denn angesichts dessen Schwarz-Gelb für Sie noch eine Traumkombination, wenn schon nicht mehr für Frau Merkel? In Sachsen-Anhalt hat Ihnen ein schwarzer Ministerpräsident ja auch keine Träne nachgeweint.
WESTERWELLE: In Sachsen-Anhalt wäre Schwarz-Gelb mit einem loyalen Ministerpräsidenten, der noch gewußt hätte, wo der politische Gegner steht, ohne weiteres bestätigt worden. Das Verhalten der Union dort buche ich unter dem Kapitel Wiedervorlage in meinem Elefantengedächtnis ab.
Frage: Sie sind ja anders als Franz Müntefering nicht der Meinung, daß Opposition "Mist" sei. Was gefällt Ihnen an Ihrem politischen Dasein?
WESTERWELLE: Man ist freier, das, was wirklich nötig ist, auch offen auszusprechen. Es ist leider wahr, daß durch die Landtagswahlen am vorigen Sonntag trotz einer stabilen bis wachsenden FDP die Machtfülle der sogenannten großen Koalition noch größer geworden ist, nachdem wir zwei Landesregierungsbeteiligungen verloren haben. Noch nie in der Geschichte der Republik, auch nicht zu Zeiten der ersten großen Koalition, hat eine Regierung eine so große Mehrheit gehabt, nämlich zugleich im Bundestag wie im Bundesrat. Das bedeutet aber auch, daß diese Regierung keine faulen Ausreden mehr hat. Noch immer ist es ja so, daß Deutschland pro Arbeitstag 600 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verliert.
Frage: "Sogenannte" große Koalition? Ist sie Ihnen immer noch nicht groß genug?
WESTERWELLE: Ich möchte die unkritische Diktion von der "großen" Koalition mit einem Fragezeichen versehen. Friedrich der Große oder Katharina die Große stehen ihrer Leistungen wegen in den Geschichtsbüchern. Ob später einmal die Rede sein wird von Angela der Großen oder Franz dem Großen, ist weniger eine Frage der Quantität ihrer Regierungsmehrheit als der Qualität ihrer Regierungstätigkeit.
Frage: Gegen wen macht Opposition denn mehr Spaß, gegen Schröder-Fischer oder gegen Merkel-Münte?
WESTERWELLE: Spaß macht das insofern überhaupt nicht, als man sieht, wie andere Länder mit der richtigen Politik an Deutschland weiter vorbeiziehen. Allerdings ist es ein Unterschied wie Tag und Nacht, mit Frau Merkel oder Herrn Steinmeier zu reden im Vergleich zu Herrn Schröder oder Herrn Fischer, in deren Benehmen ich mitteleuropäische Zivilisationstechniken gelegentlich vermißt habe.
Frage: Ist es nicht dennoch schwieriger geworden im Bundestag mit diesen drei untereinander zerfallenen Oppositionsfraktionen...
WESTERWELLE: Einspruch, Einspruch! "Zerfallen" würde bedeuten, daß vorher etwas zusammen war. Die Vorstellung, daß die liberale Partei der Freiheit ausgerechnet mit den Postkommunisten sich in ein Boot begäbe, ist abwegig.
Frage: Der SPD-Generalsekretär Heil sieht aber schon Gemeinsamkeiten, nämlich, daß FDP und PDS im Bundestag beide für Extrempositionen stehen. Fühlen Sie sich ertappt?
WESTERWELLE: Nicht daß Herr Heil demnächst noch mit einem Extremistenerlaß gegen unsere Partei der Mitte kommt. In Rheinland-Pfalz hätte seine SPD dann ja 15 Jahre überaus erfolgreich mit Extremisten zusammengearbeitet.
Frage: Wenn Sie die Postkommunisten so schrecklich finden, warum schreiben Sie denen dann freundliche Briefe, um gemeinsam im Bundesrat gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer Front zu machen?
WESTERWELLE: Freundlich war daran allenfalls die Formel "mit freundlichen Grüßen". Ansonsten war das eine Forderung an die PDS auch in den beiden von ihr mitregierten Bundesländern, ihren Worten gegen die Mehrwertsteuererhöhung Taten folgen zu lassen. Ich würde die Erhöhung übrigens viel lieber mit der SPD verhindern, aber die hat es ja vorgezogen, ihr vor der Bundestagswahl gegebenes Wort zu brechen.
Frage: Verhindern können Sie ja jetzt erst recht nichts mehr, nachdem Ihnen zwei Regierungsbeteiligungen abhanden gekommen sind. Wäre es nicht besser gewesen, vorher etwas weniger heftig auf die Pauke zu hauen?
WESTERWELLE: Was wir verloren haben, ist eine strategische Sperrminorität gegen Verfassungsänderungen im Bundesrat. Das bedauere ich, das gebe ich unumwunden zu. Wir hätten gerne zum Beispiel bei der Föderalismusreform die Möglichkeit behalten, gröbste Torheiten von Schwarz-Rot aufhalten zu können. Als wir die Sperrminorität noch hatten, haben wir ja auch durchgesetzt, daß die dringend notwendige Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern angepackt wird. Ich sehe nach diesem Wahltag keinen großen schwarz-roten Ehrgeiz mehr, das noch voranzutreiben.
Frage: Welche der "gröbsten Torheiten" hätten Sie denn gerne verhindert?
WESTERWELLE: Daß die Mobilität von Familien, die von einem Bundesland in ein anderes ziehen müssen, dadurch in Frage gestellt wird, daß ihre Kinder Gefahr laufen, auf der Schule wieder bei Null anfangen zu müssen, ist ein Manko dieser Föderalismusreform.