03.09.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Thüringische Landeszeitung"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Thüringischen Landeszeitung" (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte HARTMUT KACZMAREK.

Frage: Viele Kommentare nach dem so genannten Wechsel-Gipfel von gestern sprechen von einer PR-Show. Steckt wirklich mehr hinter dem Treffen als nur PR?

WESTERWELLE: Bei dem Wechsel-Gipfel. ging es darum, öffentlich zu zeigen, daß wir gemeinsam regieren wollen. Und daß die Summe unserer Gemeinsamkeiten größer ist als unsere Meinungsunterschiede. Außerdem ist in der gemeinsamen Erklärung der drei Parteivorsitzenden beispielsweise ein sehr konkretes Bekenntnis zum Neuanfang im deutschen Steuersystem mit niedrigeren Steuersätzen verankert.

Frage: Es gibt sicher eine große Schnittmenge an Gemeinsamkeiten. Aber es gibt auch Differenzen. Stichwort Mehrwertsteuer oder innere Sicherheit. War das Thema oder ist das ausgeklammert worden?

WESTERWELLE: Gestern ging es um die Gemeinsamkeiten. Aber wir haben natürlich auch über die Frage gesprochen, wie wir die Bürger entlasten können, die durch die Entwicklung bei den Benzinpreisen immer mehr belastet werden. Unser Vorschlag: Die nationale Rohölreserve wenigstens zu einem Teil abzuschmelzen, um die Benzinpreise zu stabilisieren.

Frage: Den hat die Bundesregierung jetzt ja teilweise aufgegriffen. Reichen die Maßnahmen, die der Kanzler bekannt gegeben hat, aus? Im Augenblick kann man ja nur darauf vertrauen, daß die Konzerne die Entlastung an den Märkten auch über einen niedrigeren Preis an die Verbraucher weitergeben.

WESTERWELLE: Auf die Weltmarktpreise können nationale Regierungen nur schwer Einfluß nehmen, aber wenn Deutschland die zweithöchsten Energiepreise in ganz Europa hat, liegt das nicht am Weltmarkt, sondern an der hohen Steuerbelastung, mit denen vor allem Rot-Grün die Energie in Deutschland verteuert hat.

Frage: Sollte eine neue Bundesregierung weitere Entlastungen der Bürger in Angriff nehmen und wenn ja welche? Müßte man nicht doch daran denken, Ökosteuer oder Mineralölsteuer kurzfristig zu senken?

WESTERWELLE: Richtig ist: Der Begriff Zapfpistole hat für viele derzeit einen bedrohlichen Klang. Wir müssen den Anteil des Staates an den Spritkosten senken, denn die Autofahrer sind nicht die Melkkühe der Nation.

Frage: Experten sagen, die Auflösung der nationalen Ölreserve bringe nichts.

WESTERWELLE: Es ist unser klares Ziel, die Binnenkonjunktur anzukurbeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen, indem die Bürger nicht immer stärker belastet werden. Kaufkraft ist die Voraussetzung für eine stärkere Binnenkonjunktur und damit auch für neue Arbeitsplätze. Das geht nur durch die Entlastung der Bürger.

Frage: Und was sagen Sie zu dem Argument, wir haben kein Mengen-, sondern nur ein Preisproblem.

WESTERWELLE: Der Preis hängt mit Menge und Knappheit zusammen.

Frage: Wie stehen Sie dem Vorschlag von Edmund Stoiber gegenüber, die zusätzliche Mehrwertsteuer, die durch den hohen Benzinpreis eingenommen wird, für die Absenkung des Benzinpreises zu verwenden?

WESTERWELLE: Besser ist es, auf eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von vornherein zu verzichten.

Frage: Der Parlamentarische Geschäftsführer der Union und Thüringer CDU-Spitzenkandidat, Manfred Grund, hat vorgeschlagen, den Bürgern zu versichern, den ersten finanziellen Spielraum in einem Haushalt zur Absenkung der Ökosteuer zu verwenden.

WESTERWELLE: Ich freue mich, daß auch in den Reihen unseres zukünftigen Koalitionspartners sich die Meinung weiter ausbreitet, daß die Rückführung der Ökosteuer auf der Tagesordnung bleiben muß. Die FDP war von Anfang an dagegen. Die Idee, die Renten an der Tankstelle zu sichern, war eine Schnapsidee von Rot-Grün. Jetzt steigen die Benzinpreise und die Rentenbeiträge.

Frage: Noch einmal das Thema Mehrwertsteuer. Bleiben Sie bei Ihrem Nein zu einer Erhöhung?

WESTERWELLE: Dabei bleibt es. Wir wollen keine Mehrwertsteuererhöhung.

Frage: Die FDP liegt laut ARD bei sechs, im ZDF bei sieben Prozent. Schwächeln Sie etwas?

WESTERWELLE: In anderen Umfragen liegen wir bei acht. Das sind alles Momentaufnahmen. Jetzt kommt es auf den Endspurt an. Ich rechne mit einem guten Wahlergebnis für die FDP, vor allem aber mit einer Mehrheit für Schwarz-Gelb, denn wenn es keine Mehrheit für Schwarz-Gelb gäbe, dann hätten wir eine linke Mehrheit im deutschen Bundestag aus SPD, Grünen und PDS. Das muß verhindert werden.

Frage: Schwarz-Gelb ist beliebter als die Große Koalition, hat die ARD ermittelt.

WESTERWELLE: Zu Recht. Denn Union und FDP stehen für einen wirklichen Neuanfang in der deutschen Politik und nicht für die Fortsetzung von Trippelschritten und Hakenschlägen.

Frage: Wird es eine explizite Zweitstimmen-Kampagne geben?

WESTERWELLE: Wir haben von Anfang an um die Zweitstimme geworben, weil wir mit einer gegenseitigen Koalitionsaussage von Union und FDP in die Bundestagswahlen gehen. Wir wollen Rot-Grün ablösen. Aber wir wollen natürlich auch innerhalb einer schwarz-gelben Koalition, daß die FDP und damit liberale Politik gestärkt wird gegenüber manchem, der doch noch zu konservativ denkt.

Frage: Die Menschen bewegen die schrecklichen und dramatischen Bilder aus dem Katastrophengebiet in den USA. Brauchen die USA jetzt unsere Solidarität und müssen wir da nicht noch mehr tun?

WESTERWELLE: Uneingeschränkt ja. Deswegen werden wir auch die Hilfsaurufe für die betroffenen Menschen in den Katastrophengebieten unterstützen. So wie uns geholfen wurde von den Amerikanern, so werden wir jetzt nicht unser Herz verschließen.

Frage: Also ist jetzt nicht die Zeit, über mangelnden Klimaschutz oder ähnliches zu diskutieren.

WESTERWELLE: Das muß man später nachholen. Jetzt steht die Hilfe im Vordergrund. Wenn Herr Trittin ein peinliches parteipolitisches Süppchen auf den schweren Schicksalen der betroffenen Menschen kocht, dann disqualifiziert ihn das.

Frage: Gibt es in Sachen EU-Beitritt der Türkei Dissens mit der Union?

WESTERWELLE: Für die FDP ist klar: Es ist dringend notwendig, daß die Türkei alle europäischen Mitgliedstaaten anerkennt, bevor es die Aufnahme von Mitgliedsverhandlungen gibt. Man kann nicht EU-Mitglied werden wollen, ohne alle EU-Staaten anzuerkennen.

Frage: Innere Sicherheit: Die CDU-Kanzlerkandidatin hat sich in Gera für eine Ausweitung der Videoüberwachung ausgesprochen.

WESTERWELLE: An neuralgischen Punkten muß es auch Video-Überwachung geben. Aber ich möchte nicht, daß man einen dreistündigen Spaziergang durch Gera anschließend anhand einer möglichen Videoüberwachung minutiös dokumentieren kann. Das Entscheidende ist das richtige Verhältnis von Bürgerfreiheit und Bürgersicherheit.

Frage: Welchen Eindruck haben Sie von diesem Kurzwahlkampf? Ist es anders als vor drei Jahren?

WESTERWELLE: Ja, es ist konzentrierter und argumentativer, weil es Neuwahlen nach dem Scheitern einer Bundesregierung sind. Die Menschen interessieren sich sehr stark für die politischen Argumente und Konzepte.

Frage: Am Sonntag gibt es das TV-Duell zwischen Schröder und Merkel. Die Mehrheit glaubt im Vorfeld, daß Schröder besser wegkommen wird. Macht Sie das als potenzieller Koalitionspartner von Frau Merkel besorgt?

WESTERWELLE: Ich rechne damit, daß Gerhard Schröder besser strahlen wird. Aber Angela Merkel wird besser argumentieren. Und auf Letzteres kommt es an.

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