14.11.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Süddeutsche Zeitung"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Süddeutschen Zeitung" (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte PETER BLECHSCHMIDT:

Frage: Herr Westerwelle, wie lange geben Sie der großen Koalition?

WESTERWELLE: Weil diese große Koalition so ziemlich alle Wahlversprechen gebrochen hat, wird die Furcht vor dem Wähler ein tragendes Motiv sein. Da kann man gut und gern auch vier Jahre durchhalten.

Frage Es hagelt Kritik von allen Seiten. Da ist die Koalitionsvereinbarung vielleicht doch nicht so schlecht?

WESTERWELLE: Das erinnert mich an die Geschichte von dem Geisterfahrer, der meint, alle anderen, die ihm entgegen kommen, verhalten sich regelwidrig.

Frage Edmund Stoiber spricht von einer Gesamtkonzeption. Sehen Sie die?

WESTERWELLE: Ja, das ist eine sozialdemokratische Gesamtkonzeption. Angela Merkel wird die erste Bundeskanzlerin einer sozialdemokratischen Regierung. Das sozialdemokratische Ideal ist der wohlwollende Staat, der den Bürgern alle Probleme abnimmt, sich immer weiter aufbläht und sich deswegen auch immer neue Mittel durch Steuer- und Abgabenerhöhungen erschließen muß. Das glatte Gegenteil wäre in unserer Zeit notwendig. Mehr soziale Marktwirtschaft, mehr Eigenverantwortung, weniger Belastung der Bürger und der Unternehmen. Unterm Strich ist dieses Bündnis, das da geschlossen wurde, ein historischer Fehler.

Frage Was ist der größte Fehler?

WESTERWELLE: Daß noch nie eine Regierung seit Gründung der Republik so viele Steuererhöhungen auf einmal beschlossen hat. Das ist das größte Steuererhöhungsprogramm, das es je gegeben hat. Diese Kompromißfindung war doch eine Farce. Die SPD sagt, keine Mehrwertsteuer-Erhöhung, die Union sagt, zwei Prozentpunkte Erhöhung, und dann hat man sich in der Mitte getroffen, indem man die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte erhöht.

Frage Wo hätte man denn mehr sparen können?

WESTERWELLE: Für uns gilt unverändert, was Union und FDP vor der Wahl als gemeinsamen Politikwechsel vorgestellt haben: Abbau von Subventionen und steuerlichen Ausnahmen, Rückführung der Bürokratie, Einsparungen bei den überflüssigen Staatstätigkeiten. Die große Koalition hat als erstes den Regierungsapparat aufgebläht, indem sie noch einen zusätzlichen Ministerposten geschaffen hat. Gleichzeitig von der Bevölkerung zu verlangen, sie müsse sparen, ist eine Frechheit.

Frage Was halten Sie von dem 25-Milliarden-Investitionsprogramm?

WESTERWELLE: Diese Patientengenesungstheorie von Angela Merkel, man müsse jetzt im ersten Jahr Geld in die Wirtschaft pumpen, damit sie im nächsten Jahr die Steuererhöhungen verkraften kann, ist vorgeschoben. In Wahrheit wird dieses nebulöse Programm, wenn überhaupt, nur ein Strohfeuer auslösen. Im Übrigen ist der Grund, daß die Mehrwertsteuer-Erhöhung erst im Jahr 2007 kommen soll, ein politischer. 2006 stehen fünf Landtagswahlen an, da fürchtet die Koalition die Quittung der Wähler.

Frage Und die Reichensteuer?

WESTERWELLE: Das ist nichts als Symbolik und die Aufforderung zur Kapitalflucht. Sie wird die Investitionen in Österreich und in der Schweiz fördern.

Frage Welche Strategie wollen Sie als stärkste Oppositionspartei verfolgen?

WESTERWELLE: Wir werden die Regierung antreiben und kontrollieren. Man darf ja nicht vergessen, daß unter einer großen Koalition 75 Prozent des Staates unter der Kontrolle der beiden großen Parteien stehen. Wir werden aber auch eine konstruktive Opposition sein, wie sich an unserer Bereitschaft zeigt, an der Föderalismusreform mitzuwirken.

Frage Denken Sie an eine Klage gegen den Haushalt 2006, der ja erklärtermaßen nicht verfassungsgemäß sein soll?

WESTERWELLE: Ich habe unsere Haushaltspolitiker gebeten, das juristisch zu prüfen. Daß ein Haushalt vorsätzlich als verfassungswidrig angekündigt wird, das ist einmalig in der deutschen Finanzpolitik. Es hat ja schon Haushalte gegeben, die auf Kante genäht waren - wir haben alle noch die Luftbuchungen von Herrn Eichel im Kopf. Aber hier geht die große Koalition mit bemerkenswerter Chuzpe über die Verfassung hinweg. Das werden wir im Interesse der Steuerzahler notfalls auch vor dem Verfassungsgericht bekämpfen.

Frage Frau Merkel gibt das auch als Beleg für die neue Ehrlichkeit aus.

WESTERWELLE: Die Verfassung zu brechen, ist keine Ehrlichkeit, sondern schlicht unzulässig.

Frage Erwägen Sie ernsthaft die Einsetzung eines neuen Lügenausschusses?

WESTERWELLE: Dieser Vorschlag kommt aus den Reihen der Haushaltspolitiker der FDP. Sie wußten genau wie die Haushaltspolitiker der Union um die wahre Lage der Staatsfinanzen. Insoweit ist die Begründung der Union, man habe ja das Ausmaß der Misere nicht kennen können, nur vorgeschoben. Ich kann nur sagen: Ich schließe kein parlamentarisches Mittel aus.

Frage Befürchten Sie immer noch, daß die Groß-Koalitionäre die Rechte der Minderheit übergehen werden?

WESTERWELLE: Bisher haben sich solche Befürchtungen nicht bestätigt. Immerhin haben die beiden großen Parteien uns nach einigem Hin und Her ja den Vorsitz im Haushaltsausschuß zugestanden, so wie dies für die größte Oppositionspartei immer üblich war.
Frage Wen wird die FDP für den Vorsitz nominieren? Es heißt, Otto Fricke sei ein chancenreicher Kandidat.

WESTERWELLE: Ich kann hier der Beratung der Bundestagsfraktion nicht vorgreifen, aber daß ich Otto Fricke als einen außerordentlich kompetenten und bewährten Haushaltspolitiker schätze, muß ich nicht verschweigen.

Frage Wird sich eine harte Opposition auf ihr persönlich gutes Verhältnis zu Angela Merkel auswirken?

WESTERWELLE: Ich werde mir Mühe geben, daß das nicht eintritt. Aber ich werde als Vorsitzender der größten Oppositionspartei der Kanzlerin einer großen Koalition - zumal mit diesem staatsbürokratischen Steuererhöhungsprogramm - keinen Rabatt aus persönlicher Verbundenheit geben.

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