08.07.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Rheinzeitung"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Rheinzeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten URSULA SAMARY, CHRISTIAN LINDNER und JOACHIM TÜRK:

Frage: Wie müssen wir auf Anschläge wie in London reagieren?

WESTERWELLE: Die Freien Demokraten sind bestürzt über diese grausamen Anschläge. Mein ganzes Mitgefühl und meine Anteilnahme gelten den Opfern ? den Toten und den vielen, vielen Verletzten. Diejenigen, die so etwas tun, vertreten keine legitimen politischen Interessen, sondern sind barbarische Täter, die mit der entschiedenen Härte des Rechtsstaats verfolgt werden müssen.

Frage: Was will die FDP, wenn sie an der Macht ist?

WESTERWELLE: Wir werden Arbeit Vorfahrt geben und deshalb eine wirtschaftsfreundliche Politik machen. Wir werden für Bildung, Forschung sowie Bio- und Gentechnologie einstehen, weil sie der Schlüssel für neue Arbeitsplätze sind und große Chancen bieten, Krankheiten zu bekämpfen. Und wir werden dafür sorgen, daß unser Land leistungsbereit, aber auch tolerant bleibt. Der Staat ist nicht der Zensor privater Lebensentwürfe.

Frage: Welche Bürgerrechte wollen Sie , auch gegen die CSU, durchsetzen?

WESTERWELLE: Ich werde in einer Regierung mit der Union durchsetzen, daß die faktische Aufhebung des Bankgeheimnisses rückgängig gemacht wird. Die Tatsache, daß ein Beamter in einer Verwaltung ohne staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und richterliche Anordnung auf die Stammdaten eines jeden Kontos Zugriff hat, entspricht nicht unseren Rechtsstaatsprinzipien.

Frage: Dient das Gesetz nicht der Terrorismusbekämpfung?

WESTERWELLE: Wenn dem so wäre, könnten andere Parteien ja staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und richterliche Anordnung als Voraussetzung für den Zugriff akzeptieren. Die FDP will Terrorismus entschieden bekämpfen, aber keinen Generalverdacht gegen jeden deutschen Kontoinhaber. Daß inzwischen allein bei den Großbanken täglich 2000 Schnüffel-Anfragen eingehen und die Kosten auf die Kunden abgewälzt werden, ist nicht unser Staatsverständnis.

Frage: Bleibt es beim Nein zum Lauschangriff?

WESTERWELLE: Die Beschlußlage der FDP ist eindeutig. Diese Haltung mag in Bayern kritisiert werden. Mit dem Bundesverfassungsgericht befinden wir uns aber in bester Gesellschaft.

Frage: Die Union fühlt sich schon im Kanzleramt. Ist die Bundestagswahl schon gelaufen?

WESTERWELLE: Ich warne vor zu großer Siegessicherheit. Wer sich heute schon öffentlich selbst um Ministerposten bewirbt, riskiert eine schwarz-gelbe Mehrheit. Der Bürger will nicht wissen, wer welches Amt für sich schön findet. Er will wissen, wie sich die Zukunft Deutschlands wieder besser gestalten läßt. Man muß damit rechnen, daß die Lafontaine-PDS den Sprung in den Bundestag schafft. Damit ist auch die Mehrheit einer Linksfront aus SPD, Grünen und PDS nicht ausgeschlossen.

Frage: Ist eine Große Koalition nicht wahrscheinlicher?

WESTERWELLE: Bei einer Großen Koalition findet eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners statt. Wie wenig sie zu Stande bringen kann, zeigte der Jobgipfel. Selbst das, was vereinbart worden ist, gilt heute ja nicht mehr. Ich rechne auch nicht mit einer Großen Koalition, sondern mit Schwarz-Gelb oder Rot-Grün-Rot. Wenn Herr Schröder sagt, er würde niemals mit der PDS zusammenarbeiten, nehme ich ihm dies persönlich ab. Wenn aber die Wähler eine solche Linksfront zulassen, würde Herr Schröder mit stehenden Ovationen verabschiedet, damit ein anderer seine Rolle in einer Linksregierung übernimmt. Dies wollen wir verhindern.

Frage: Die Union will die Mehrwertsteuer erhöhen, die Öko-Steuer nicht abschaffen.

WESTERWELLE: Subventionsabbau hat sie blockiert. Wie ist das mit FDP zu machen?
Wir haben ein Konzept für niedrigere, einfachere und gerechtere Steuern vorgelegt. Wir haben vorgerechnet, wie dies durch Subventionsabbau und das Streichen von Ausnahmetatbeständen einschließlich des Bürokratieabbaus ohne eine Mehrwertsteuererhöhung zu finanzieren ist. Eine Steuererhöhung würde nur die Kaufkraft schwächen und die Schwarzarbeit fördern. Das kostet Arbeitsplätze und muß verhindert werden. Wenn die Politik sich frisches Geld in die Kassen holt, wird der Druck für notwendige Reformen genommen. Wir gehen mit ebenso klarer Gegnerschaft zur Reichensteuer in die Wahl. Sie wird nur zu Kapitalflucht und Verlagerung von noch mehr Arbeitsplätzen ins Ausland führen.

Frage: Wie wollen Sie die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen?

WESTERWELLE: Durch ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem, damit bei uns in Deutschland und nicht im Ausland investiert wird, damit die Kaufkraft und die Binnenkonjunktur wieder anspringen. Wir wollen einen Abbau von Bürokratie und eine Senkung der Lohnnebenkosten, ein klares Bekenntnis zu neuen Technologien und zur Verbesserung des Bildungs- und Hochschulsystems ? um Wissen als einzigen Rohstoff, den wir haben, zu fördern.

Frage: Mit Studiengebühren?

WESTERWELLE: Ja. Daß Kindergartenplätze von Familien bezahlt werden, aber Studenten, die später mehr verdienen als jeder Geselle oder jede Krankenschwester, ihr kostenloses Studium eben diesen Steuerzahlern verdanken, paßt nicht zusammen. Es muß sichergestellt werden, daß Gebühren erst später, im Berufsleben, zurückgezahlt werden. Es wird Stipendien geben, sich eine Stiftungskultur entwickeln. Unserer Vorschlag: Keine Studiengebühren verbieten, sie aber ermöglichen. Wir reden über 500 Euro pro Semester, womit die Hochschulen besser ausgestattet werden. Es soll mir keiner sagen, daß diese Summe ein Studium verhindert.

Frage: Sie haben die Agenda 2010 eine Schmalspur-Agenda genannt. Warum?

WESTERWELLE: Sie beschäftigt sich mit der Verwaltung von Krisen, aber nicht mit einer Wachstumsförderung. Ursprünglich hieß es in den offiziellen Broschüren: Der Einzelne soll wieder mehr Netto vom Brutto haben. Diese Passage ist getilgt worden. Das hat mit marktwirtschaftlicher Erneuerung nichts zu tun. Die Agenda 2010 ist längst abgelöst durch Heuschrecken und Reichensteuer.

Frage: Mit der Landes- FDP hat Rot-Grün die Steuerreform durchgesetzt ? mehr Kaufkraft brachte dies nicht.

WESTERWELLE: Diese Steuersenkungen sind durch die Öko-Steuer, höhere Abgaben und Bürokratie- oder Dosenpfand-Kosten wieder weggenommen worden. Außerdem haben wir inzwischen die zweithöchsten Energiepreise Europas. 40 Prozent sind durch den Staat gemacht.

Frage: Wie rasch könnte ein Politikwechsel spürbar werden?

WESTERWELLE: Das hängt vom Mut der neuen Regierung zu einem großen Wurf ab. Je mutiger eine schwarz-gelbe Regierung sich von der alten Trippelschritt-Politik verabschiedet, desto schneller ist dies auf dem Arbeitsmarkt zu spüren. Deshalb gehen wir auch mit dem Slogan "Mehr FDP. Mehr Mut" in den Wahlkampf.

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