WESTERWELLE-Interview für die "Pforzheimer Zeitung"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Pforzheimer Zeitung" (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten JÜRGEN METKEMEYER und MAGNUS SCHLECHT:
Frage: Herr Westerwelle, welche Voraussetzungen muß man erfüllen, um deutscher Staatsbürger zu werden?
WESTERWELLE: Man muß die Sprache lernen, und man muß unsere Werteordnung, wie sie in der Verfassung steht, akzeptieren und verinnerlichen. Ob man das nachprüfen kann, indem man die Frage stellt, wie drei deutsche Mittelgebirge heißen, wage ich zu bezweifeln.
Frage: Sie haben es erkannt: Die Frage, die wir Ihnen eben gestellt haben, stammt aus dem hessischen Einbürgerungstest. Darin wird unter anderem auch gefragt, was das Wunder von Bern sei. Muß man das wissen, um ein guter Deutscher zu werden?
WESTERWELLE: Wenn ich ehrlich bin, hätte ich das, bevor der Film gezeigt wurde, auch nicht gewußt. Fußball ist nicht mein Steckenpferd.
Frage: Gibt es eine Frage in dem Test, über die Sie sich persönlich geärgert haben?
WESTERWELLE: Nein. Vielleicht sei als Kunstsammler die Gegenfrage erlaubt, warum ausgerechnet nach Caspar David Friedrichs Kreidefelsen gefragt wird.
Frage: Vielleicht, weil der jetzt zum Teil abgebröckelt ist.
WESTERWELLE: Aber es ist nicht eines seiner stärksten Bilder.
Frage: Kann ein Fragebogen zur besseren Integration beitragen?
WESTERWELLE: Ich bin dafür, daß diejenigen, die nach Deutschland kommen, sich integrieren. Wer das nicht will, kann hier nicht bleiben. Ob diese Fragebögen, wie sie derzeit bundesweit diskutiert werden, dem Ziel gerecht werden, wage ich an einigen Stellen sehr zu bezweifeln. Aber daß die Integrationswilligkeit eine Voraussetzung für jede Einbürgerung ist, halte ich für zwingend. Zustände wie Zwangsehen oder sogenannte Ehrenmorde - allein die Bezeichnung ist eine Verhöhnung der Opfer - können wir in Deutschland nicht dulden. Wenn islamistische Patriarchen ihre Töchter aus der Schule holen und zwangsverheiraten, und das Ganze auch noch mit ihrer Religionsfreiheit begründen, dann nicht mit mir und nicht in Deutschland.
Frage: Wie viel Wahlkampf steckt in der Debatte um den Fragebogen?
WESTERWELLE: Das ist die Methode Koch, so etwas kurz vor der Wahl zu entdecken. Ich empfehle die Art und Weise, wie man die Integrationswilligkeit nachvollzieht und testet, ruhig und sachlich zwischen allen Bundesländern zu besprechen. Denn es ist nicht nachvollziehbar, daß ein Land einen solchen Test beschließt, und die anderen Länder damit nicht einverstanden sind. Es kann doch nur bundeseinheitliche Einbürgerungsstandards geben. Ansonsten kann man irgendwann im rot-roten Berlin reinkommen und zieht anschließend nach Hessen um.
Frage: Die CDU plakatiert in Baden-Württemberg, Liberale seien Schwätzer? Trifft Sie so etwas?
WESTERWELLE: Dieses Plakat habe ich noch nicht gesehen. Aber solche Überheblichkeit wäre ein guter Grund für viele bürgerliche Wähler, FDP zu wählen.
Frage: Wie wichtig ist es für die FDP, im Stammland Baden-Württemberg mit zu regieren?
WESTERWELLE: Das ist einmal wichtig für diejenigen, die eine gute Landesregierung wollen und in Baden-Württemberg leben. Ich rate immer dazu, wenn man das eine oder andere kritisiert, sich umzuschauen wie es bei den anderen Bundesländern läuft - eben durch die Bank schlechter als im schwarz-gelben Baden-Württemberg. Für mich als Parteivorsitzender der stärksten Oppositionspartei im Bundestag geht es auch darum, daß wir dem rot-schwarzen Kartell, der großen Koalition, noch eine andere Sicht entgegensetzen können. Würde die Union in Baden-Württemberg eine absolute Mehrheit bekommen, dann wäre sie nur noch ein treuer Vasall der großen Koalition in Berlin. Dann haben Sie Berliner Verhältnisse in Stuttgart.
Frage: Wenn die Bilanz Baden-Württembergs so gut ist, wie Sie sie beschreiben, hat dann Günther Oettinger als Chef der schwarz-gelben Koalition es nicht verdient allein zu regieren?
WESTERWELLE: Nein. Wenn ich alleine daran denke, daß schwarze Minister den Hut nehmen mußten, weil sie sich mit dem einen oder anderen Vertreter der katholischen Kirche auseinandergesetzt haben, so rate ich doch dazu, den liberalen Geist im Stammland kräftig atmen zu lassen.
Frage: Zurück zur Bundespolitik: Macht Opposition Spaß?
WESTERWELLE: Mal mehr, mal weniger. Wenn ich sehe, daß das zarte Pflänzchen der Konjunktur, das wir in diesem Jahr in Deutschland wachsen sehen werden, zum 1. Januar 2007 durch die größte Steuerreform in der Geschichte der Republik, nämlich die Mehrwertsteuererhöhung, zertreten wird, so macht mir das gar keinen Spaß, sondern dann empört mich das. Deswegen werden wir auch im Bundesrat mit unseren Regierungsbeteiligungen in den Ländern den Widerstand gegen die dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung organisieren. Diese Woche haben mir die Vertreter der Linkspartei aus Mecklenburg-Vorpommern und Berlin übermittelt, daß auch diese beiden Länder die Mehrwertsteuererhöhung nicht akzeptieren werden. Damit würde nur noch ein einziges Bundesland fehlen, um die Mehrwertsteuererhöhung, die ja ein Programm für Schwarzarbeit und gegen Arbeitsplätze ist, zu stoppen. Das zu organisieren versuchen wir, und auch darüber wird am Sonntag abgestimmt.
Frage: Wie sehr schmerzt es Sie persönlich, daß Sie nicht gemeinsam mit Angela Merkel regieren können?
WESTERWELLE: Ich bin mit meiner Aufgabe als Parteivorsitzender der stärksten Oppositionsfraktion im Bundestag sehr zufrieden und auch dankbar, daß ich ein solch ehrenvolles Amt ausüben darf. Denn gerade in Zeiten einer großen Koalition, ist die Kontrolle durch die Opposition von ganz besonderer Bedeutung. Die große Koalition hat im Bundestag 74 Prozent der Abgeordneten. Wäre das vergleichbar mit der Wirtschaft, so würde diese Machtkonzentration vom Kartellamt verboten. Ich hätte im Übrigen regieren können, wenn ich bereit gewesen wäre, unser Wort, das wir dem Wähler gegeben haben, so zu brechen, wie das die SPD beim Thema Mehrwertsteuer getan hat und dann eine Ampelkoalition gebildet hätte mit Herrn Schröder und Herrn Fischer.
Frage: Stichwort Schröder: Vermissen Sie ihn - als Gegner?
WESTERWELLE: Der Klageandrohung seiner Anwälte zufolge könnte ich ihn bald wieder als Gegner haben. Diesmal vor Gericht. Ich werde mich im Übrigen nicht von den Anwälten von Herrn Schröder einschüchtern lassen. Das empfinde ich als Angriff gegen die Meinungsfreiheit. Ich bleibe dabei, daß die Seitenwechsel von Herrn Schröder nach dem Ausscheiden aus dem Amt stillos und fragwürdig sind.
Frage: Können Sie uns drei Punkte nennen, die unter einer schwarz-gelben Regierung in Deutschland anders laufen würden?
WESTERWELLE: Wir hätten bereits ein einfacheres, niedrigeres Steuersystem. Wir hätten eine Entbürokratisierung des Arbeitsmarktes und hätten damit mehr Neuanstellungen im Mittelstand. Und wir hätten eine Politik, die vom Transrapid über die Nuklearforschung bis hin zur pharmazeutischen Erforschung von Bio- und Gentechnologie längst neue Arbeitsplätze nach Deutschland hätte anwerben können.
Frage: Heißt das, daß die FDP ihr komplettes Wahlprogramm hätte durchsetzen können?
WESTERWELLE: Nicht das komplette. Aber Angela Merkel, Edmund Stoiber und meine Person haben 14 Tage vor der Bundestagswahl auf einem so genannten Oppositionsgipfel eine mehrseitige Schrift der Öffentlichkeit präsentiert, die wir alle drei unterschrieben haben. Da ist ein einfacheres und niedrigeres Steuersystem genauso vereinbart gewesen wie auch eine Flexibilisierung des Arbeitmarktes für Neuanstellungen wie auch ein klares Bekenntnis zu neuen Technologien. Wer nach dem Desaster des Transrapids noch nicht verstanden hat, daß wir unseren technologischen Fortschritt verlieren, der riskiert die Grundlagen unseres Wohlstandes. Der Transrapid als modernste deutsche Spitzentechnologie durfte aus politisch-ideologischen Gründen in Deutschland nicht gebaut werden. Und bei Rot-Schwarz ist keine Änderung in Sicht. Vor vier Wochen lasen wir dann mit Sicherheit auch in der "Pforzheimer Zeitung", daß China nun seinen eigenen Transrapid baut. Solche Blödheiten darf sich ein Land auf Dauer nicht leisten.
Frage: Dann hat auch Angela Merkel Wort gebrochen.
WESTERWELLE: Ich kann mir manchen Meinungswechsel der Kanzlerin, der mich politisch enttäuscht, nur so erklären, daß sie von Sozialdemokraten im Kabinett eingemauert und umzingelt ist. Und damit meine ich nicht nur die der SPD. Daß der neue Star der Union nicht mehr Friedrich Merz heißt, sondern Horst Seehofer, der nicht einmal böse wäre, wenn ich ihn einen schwarzen Sozialdemokraten nenne, ist für die Entwicklung der Union bezeichnend und zugleich bedauerlich.
Frage: Was kann Jürgen Klinsmann von Guido Westerwelle lernen?
WESTERWELLE: Ich glaube, von mir am wenigsten, weil ich von denen, die im Bundestag sind, offensichtlich der einzige bin, der fast nichts von Fußball versteht. Alle anderen Politiker scheinen ja den Bundestag am liebsten demnächst mit der konkreten Mannschaftsaufstellung befassen zu wollen.
Frage: Und was kann er mental von Ihnen lernen?
WESTERWELLE: Ich weiß nicht, ob er die optimistische Fröhlichkeit des liberalen Rheinländers lernen muß.
Frage: Welcher Tag ist in diesem Jahr wichtiger für Deutschland? Der 26. März oder der 9. Juli - der Tag des Endspiels?
WESTERWELLE: Gut, daß Sie das mit dem Endspiel noch gesagt haben. Für Deutschland ist der 26. März sehr viel wichtiger. Und eine Bundesregierung, die den Wirtschaftsaufschwung psychologisch abhängig von der Tagesform von elf Fußballern macht, ist mit ihrem Latein ziemlich am Ende.