WESTERWELLE-Interview für die "Passauer Neue Presse"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Spitzenkandidat für die Bundestagswahlen 2005 DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Passauer Neuen Presse" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ANDREAS HERHOLZ und RASMUS BUCHSTEINER:
Frage: Täglich neue Umfragen: Halten Sie die Wahl schon für gelaufen?
WESTERWELLE: Die Chancen für Schwarz-Gelb und damit für einen Neuanfang in
Deutschland sind sehr gut, aber die Gefahr einer linken Mehrheit aus SPD, PDS und Grünen ist noch nicht gebannt. Eine Linkskoalition statt Schwarz-Gelb würde einen Rückschritt für unser Land bedeuten. Ob es dazu kommt, wird sich erst in den letzten Tagen entscheiden.
Frage: Union und FDP spekulieren bereits über Kabinettsposten: Es heißt, Sie wollen Justizminister werden...
WESTERWELLE: Warten Sie ab! Am Wochenende auf dem Parteitag der FDP werden wir
präzisieren, welche Persönlichkeiten bei uns für die Inhalte stehen. So wie Angela Merkel das Recht hat, das Kompetenzteam der Union vorzustellen, so wird mir niemand als Parteivorsitzendem und Spitzenkandidaten das Recht bestreiten, unser Kompetenzteam zu nennen.
Frage: Sie wollen liberale Minister im Auswärtigen Amt, im Wirtschafts- und im Justizministerium. Warum?
WESTERWELLE: Ich habe keine bestimmten Ressorts eingefordert, sondern darauf hingewiesen: Wir brauchen bestimmte strukturelle Grundlagen, um in einer Koalition vernünftig arbeiten zu können. Die Verantwortung in einer Regierung muß ausgewogen verteilt sein, damit sich bei schweren Entscheidungen keiner einen schlanken Fuß machen kann. Wenn die größere Partei das Kanzleramt führt, ist es klug, daß die kleinere Partei
Verantwortung im Auswärtigen Amt übernimmt. Ebenso sinnvoll ist es, die Zuständigkeit für die zusammenhängenden Felder Wirtschaft und Finanzen sowie Inneres und Recht aufzuteilen. Dieses Spiegelprinzip war ein bewährtes Modell aller Regierungen mit FDP-Beteiligung der letzten 35 Jahre. Wir werden ein Kollegialprinzip umsetzen. Das sorgt für bessere Kommunikation und gegenseitige Abstimmung. Wir werden einen ganz neuen Regierungsstil pflegen. Unter Gerhard Schröder mußten die SPD-Minister die unbequemen
Maßnahmen durchsetzen. Die Grünen waren für blauen Himmel, glückliche Hühner und die Pflege des diplomatischen Parketts zuständig. Wenn wir es anders machen, signalisieren wir: Die Regierung beschäftigt sich mit den Sorgen, Nöten und Chancen der Bürger und nicht mit sich selbst.
Frage: Wird es in einem schwarz-gelben Kabinett einen für Kultur verantwortlichen Minister geben?
WESTERWELLE: Die Kultur braucht eine Ministerzuständigkeit, wie es sie bereits für den Bereich Sport gibt. Wir sind eben nicht nur eine Sport-, sondern auch eine Kulturnation. Die Zerfaserung der Zuständigkeiten in der Bundes-Kulturpolitik hat Deutschlands Stimme auf europäischer Ebene geschwächt.
Frage: Wie wird das Hundert-Tage-Programm von Schwarz-Gelb aussehen?
WESTERWELLE: Wir müssen ohne Verzögerungen ein einfaches, gerechtes und niedriges Steuersystem auf den Weg bringen. Das ist die Mutter aller Reformen. Außerdem müssen wir unverzüglich auf Bürokratieabbau setzen. Hierzu planen wir einen ?Bürokratie-TÜV? für alle wirtschaftslenkenden Gesetze und Verordnungen. Das Ladenschlußgesetz wird zum 1. Januar 2006 abgeschafft. Die Länder sollen entscheiden, wann die Geschäfte geöffnet sein sollen und wann nicht. Unverzichtbar ist die Wiederherstellung des Bankgeheimnisses. Jeder Beamte darf derzeit ohne Zustimmung von einem Richter oder Staatsanwalt die Stammdaten jedes Kontos abrufen. Das ist ein Verlust an Freiheit, aber kein Gewinn an Sicherheit.
Frage: Wütender Widerstand gegen die Pläne von Union und FDP für den Arbeitsmarkt: Die Gewerkschaften drohen mit politischen Streiks und "Häuserkampf"....
WESTERWELLE: Wir suchen nicht den Konflikt mit den Gewerkschaften, aber wir werden auch keinen Zentimeter weichen, wenn es um Deutschlands Zukunft geht. Wir scheuen die Auseinandersetzung nicht. Viele Gewerkschaftsfunktionäre verwechseln ihre Interessen mit denen der Arbeitnehmer. Wir werden uns weder von Herrn Peters, noch von Herrn Bsirske oder Frau Engelen-Kefer von unserem Kurs abbringen lassen. Wir wollen die Fremdbestimmung der Belegschaften durch die Gewerkschaftsfunktionäre schwächen und die Arbeitnehmerrechte ausbauen. Dazu müssen betriebliche Bündnisse gestärkt und das Vetorecht der Funktionäre beschnitten werden. Damit stützen wir vor allem die
mittelständischen Unternehmen und werden unserem Ziel "Vorfahrt für Arbeit" gerecht.
Frage: Thema Mehrwertsteuererhöhung - wie wollen Sie die noch verhindern?
WESTERWELLE: Wir bleiben dabei: Es ist besser, auf die Mehrwertsteuererhöhung zu
verzichten. Die gestiegenen Energiepreise machen es noch einmal deutlich. Aber: Wir werden die Union vor Verhandlungen nicht mit der Methode "Friß Vogel oder stirb!" konfrontieren. In Koalitionsverhandlungen könnte die Union dann nicht mehr ohne Gesichtsverlust auf die Linie der FDP einschwenken. Wir verhalten uns vor der Wahl so klug, daß wir hinterher
auch eine reale Chance haben, uns durchzusetzen.
Frage: Jeden Tag neue Vorschläge von Angela Merkels Schattenfinanzminister Paul Kirchhof: Stiftet er mit seinen Vorschlägen über Reformen, die noch gar nicht anstehen, nicht nur Verwirrung?
WESTERWELLE: Für mich zählen die Programme der Parteien. Professor Kirchhof ist
ein steuerpolitischer Verbündeter der FDP im Geiste, auch in seiner Ablehnung einer Mehrwertsteuererhöhung. Die FDP ist bereits weiter. Wir haben mit Hermann-Otto Solms einen hervorragenden Steuerexperten, der sowohl die Theorie als auch die politische Praxis kennt. Er hat einen durchgerechneten Gesetzentwurf für ein neues Steuersystem vorgelegt. Das ist familienfreundlicher als jedes andere Konzept.