06.09.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Nürnberger Nachrichten"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab den "Nürnberger Nachrichten" (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ALEXANDER JUNGKUNZ:

Frage: Herr Westerwelle, welche Noten geben Sie den beiden TV-Duellanten?

Westerwelle: Zwei plus und Zwei minus. Für mich war Angela Merkel Punktsiegerin. Die von der SPD erhoffte Wende wird dieses Duell nicht bringen.

Frage: Gibt es eine Wende zu Lasten der kleinen Parteien, die Opfer der Zuspitzung auf die Spitzenkandidaten sind?

WESTERWELLE: Das mag für die Grünen stimmen. Aber für die FDP habe ich diese Sorge nicht. Schwarz-Gelb liegt gut im Rennen. Einen Neuanfang kann es nur mit der FDP geben.

Frage: Wenn es nicht reicht für Schwarz-Gelb, bestünde die Möglichkeit einer Ampelkoalition SPD/Grüne/FDP.

WESTERWELLE: Eine Ampelkoalition ist definitiv ausgeschlossen. Da paßt die politische Philosophie nicht. Die Grünen setzten auf Null-Wachstum, wir aber auf Wachstum, weil nur so Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland zu halten sind. Die Vorstellung, daß Herr Trittin und ich im selben Kabinett sitzen könnten, ist Realsatire. Wenn es für Schwarz-Gelb nicht reichen sollte, werden wir eine linke Mehrheit aus SPD, Grünen und PDS bekommen und damit eine linke Regierung. Dann wird Herr Schröder verabschiedet, und an seiner Stelle macht"s dann halt Herr Gabriel.

Frage: Oder doch eine große Koalition?

WESTERWELLE: Wenn die SPD die Wahl hat zwischen einer großen Koalition, sprich Juniorpartner bei der Union, und dem Kanzleramt in eigenen Händen, rechne ich damit, daß sie sich für die Macht entscheiden wird.

Frage: Am Sonntag steigt Ihr Wahlparteitag. Sie wollen dabei auch Namen für ein Kabinett nennen. Nun hat sich Wolfgang Gerhardt zur Außenpolitik geäußert. Läuft sich da der neue Außenminister warm?

WESTERWELLE: Seine Initiative, endlich wieder einen Kompaß in der deutschen Außenpolitik zu verankern und die Beliebigkeit zu beenden, ist mehr als unterstützenswert. Ich teile seine Kritik an der Achsenbildung der bisherigen Außenpolitik und seinen Aufruf zu einer stärker interessengeleiteten und werteorientierten Außenpolitik.

Frage: Mehrwertsteuer: Sie legten nun einen Kompromißvorschlag vor, diese Steuer nicht zu erhöhen und die Lohnnebenkosten um einen Punkt bei der Arbeitslosenversicherung zu senken. Hat das überhaupt noch einen Effekt?

WESTERWELLE: Wir sind für eine schnellstmögliche Rückführung der Lohnzusatzkosten. Wir haben vorgerechnet, wie man auf eine Mehrwertsteuererhöhung verzichten kann: mit Einsparungen in einem Volumen von 35 Milliarden Euro durch Bürokratieabbau, das Stopfen der Steuerschlupflöcher und Subventionsabbau.

Frage: Sie sind bei dem Thema "Mehrwertsteuer" schon vor Wochen eingeknickt und haben gesagt, dies sei nicht unbedingt der Knackpunkt.

WESTERWELLE: Man kann eine Partnerschaft vergessen, wenn man glaubt, dem Partner vorher mit einer Haltung "Friß Vogel oder stirb" drohen zu können. Wir werden entschieden verhandeln, aber werden uns vor den Verhandlungen so klug verhalten, daß die Kollegen von der Union ohne Gesichtsverlust auf unseren Kurs einschwenken können. Wir haben gute Verbündete mit Herrn Professor Kirchhof im Kompetenzteam der Union. Deswegen bin ich optimistisch, daß wir eine Mehrwertsteuererhöhung wegverhandeln können.

Frage: Stichwort Arbeitnehmerrechte: Sie lassen es auf gewaltige Konflikte ankommen.

WESTERWELLE: Mir geht es um mehr Arbeitsplätze und um die Stärkung der Arbeitnehmerinteressen. Wir werden betriebliche Bündnisse erleichtern, wir werden mehr Selbstbestimmung der Arbeitnehmer ermöglichen und damit die Fremdbestimmung durch Gewerkschaftsfunktionäre abbauen. Das ist nötig, um gerade im Mittelstand neue Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Ich suche keine Auseinandersetzung, aber ich werde ihr auch nicht einen Millimeter ausweichen.

Frage: Es gibt aber auch kritische Stimmen von Arbeitgeberseite, die sagen, solche Pläne brauchen wir nicht, weil das mit betrieblichen Bündnissen bisher schon gut funktioniert.

WESTERWELLE: Daß manche Arbeitgeberfunktionäre dieselben Probleme mit ihrer Entmachtung haben wie die Gewerkschaftsfunktionäre, ist verständlich. Tatsache ist, daß immer mehr vor allem mittelständische Unternehmen auf ihre Probleme aufmerksam machen, aber auch Arbeitnehmer. Die Liberalen sind gegen funktionärische Fremdbestimmung und für Selbstbestimmung vor Ort.

Frage: Wenn Sie aktive Arbeitsmarktpolitik streichen und die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit zerschlagen, dann haben Sie zunächst einmal vor allem eines: 500 000 bis eine Million Arbeitslose mehr. Und dann?

WESTERWELLE: Wir wollen die derzeitige Mammutbehörde aufgliedern, die so nicht führbar und reformierbar ist, das sieht selbst Florian Gerster so. Die Präsidenten bei der BA kommen und gehen in den letzten Jahrzehnten, doch die BA wird nicht wesentlich effizienter. Und das liegt an den Strukturen und nicht am schlechten Willen derer, die dort arbeiten. Deswegen werden wir dafür sorgen, daß es künftig eine Einheit gibt, die die Bundesarbeitslosenversicherung organisiert, also eine Versicherungsagentur auf Bundesebene. Zweitens soll es eine entsprechende Agentur für überregionale Vermittlungstätigkeiten geben. Und wir werden die Zuständigkeit für die Arbeitsvermittlung ersetzen durch viele kleine Einheiten, denn dort, in der realen Arbeitswelt vor Ort, muß Arbeitsvermittlung stattfinden.

Frage: Auf dem "Wechsel-Gipfel" wurden alle strittigen Punkte weitgehend ausgeklammert. Dazu gehört auch die Frage des Umgangs mit der Türkei.

WESTERWELLE: Natürlich gibt es zwischen Union und FDP auch Meinungsunterschiede. Die CSU ist eine konservative Partei. Wir haben ein anderes Gesellschaftsbild, wenn es um die Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen, um die Frauen, die Familie geht. Wir Liberale garantieren, daß es einen wirtschaftlichen Neuanfang gibt, ohne daß wir in den Mief der 50er Jahre zurück fallen. Die Toleranz hat uns als Anwalt. Was die Außenpolitik angeht: Die Türkei ist derzeit nicht beitrittsfähig, und die Europäische Union ist nicht aufnahmefähig. Wie das in 15 Jahren sein wird, kann heute keiner sagen. Die Türkei muß erst einmal die Bedingungen erfüllen, nämlich alle europäischen Mitgliedsstaaten anerkennen, ausdrücklich auch Zypern, bevor es Beitrittsverhandlungen geben kann.

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