19.02.2006FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Neue Osnabrücker Zeitung"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten BEATE TENFELDE und JENS PETER DOHMES.

Frage: Herr Westerwelle, Sie haben eine Sozialdemokratisierung der Union festgestellt. Kommt Ihnen der mögliche Koalitionspartner abhanden?

WESTERWELLE: Ich hoffe nicht. Aber wenn die Union immer sozialdemokratischer wird, in Wahrheit nur eine Politik macht wie die SPD nur in schwarzer Farbe, ist das für diejenigen, die auf einen Politikwechsel gehofft haben wie die FDP, beunruhigend und enttäuschend zugleich. Wenn die große Koalition sich in Wahrheit lediglich einig ist beim Abkassieren der Bürger, ist das keine Basis für einen selbsttragenden Aufschwung in Deutschland.

Frage: Die Rheinland-Pfalz-Wahl steht bevor: Warum zeigen sie in Mainz der CDU die kalte Schulter?

WESTERWELLE: In Rheinland-Pfalz haben SPD und FDP eine jahrzehntelange erfolgreiche Zusammenarbeit in der Landesregierung bewiesen. Es gibt dort gute Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildungspolitik und vor allem eine sehr mittelstandsfreundliche Ausrichtung der Landesregierung. Und daß die rheinland-pfälzischen Liberalen dann sagen "never change a winning team" halte ich für richtig. Koalitionsfragen sind immer zu beantworten vor Ort in den Ländern.

Frage: Die FDP hat 61 Sitze - und eigentlich nützt ihr das nichts. Warum ist die größte Oppositionspartei so still?

WESTERWELLE: Nichts nützen? Still? Daraus höre ich zu viel Geringschätzung unseres Verfassungsauftrages als Opposition. Opposition zu sein, erst recht stärkste Oppositionsfraktion zu sein, ist eine außerordentlich ehrenvolle, wertvolle und auch wichtige Tätigkeit in einer funktionierenden Demokratie. Gerade in Zeiten einer so genannten großen Koalition sollte die Arbeit der stärksten Oppositionsfraktion besonders beachtet werden.

Frage: Ein Hauch von Resignation?

WESTERWELLE: Nein, überhaupt nicht. Die Mühen der Ebene für diese Regierung kommen noch - und dem entsprechend die Aufmerksamkeit für die Gegenkonzepte. Solange die große Koalition fachlich, sachlich fast alles ausspart, was an Problemen in der Innenpolitik ansteht, kann sie den schönen Schein wahren. Aber - wie wir wissen - die Verdrängung und Ausblendung von Realität ist immer nur eine beschränkte Zeit möglich.

Frage: Was genau hat Kanzlerin Merkel ausgeblendet?

WESTERWELLE: Wir werden bisher vorzüglich - insbesondere auch durch die Bundeskanzlerin - im Ausland repräsentiert, aber eben nicht wirklich im Inland regiert. Eine Bundesregierung müßte sich mit der dramatischen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt auseinandersetzen, zügig ein international wettbewerbsfähiges Steuersystem vorlegen, das für neue Arbeitsplätze sorgt - wie das beispielsweise Österreich getan hat. Eine Bundesregierung müßte sich um die dringend notwendigen Veränderungen und Anpassungen im Gesundheitssystem kümmern. Die Pflegeversicherung müßte auf Kapitaldeckung umgestellt werden. In der Energiepolitik kann die Regierung noch nicht einmal in der simplen Frage Einigkeit herstellen, ob die unsinnigen und ideologisch bedingten Verkürzungen der Laufzeiten von Kernkraftwerken wieder rückgängig gemacht werden könnten.

Frage: Wie stellen Sie sich die Sanierung des Staatshaushaltes vor ohne Steuererhöhung?

WESTERWELLE: Auf der Ausgabenseite. Herr Steinbrück macht's genau so wie Herr Eichel. Beide sagen: Da ist ein Haushaltsloch. Und demnach bräuchten wir eine Steuererhöhung oder eine neue Steuer. Wichtiger wäre es, vom Subventionsabbau über die stärkere Treffsicherheit unserer Sozialleistungen bis hin zu einem Sparprogramm, was auch den eigenen Regierungsapparat angeht, die Haushaltskonsolidierung voranzutreiben.

Frage: Was konkret kann beim Regierungsapparat eingespart werden?

WESTERWELLE: Wie soll ein Bürger der Regierung die Sparappelle abnehmen, wenn diese als erstes den eigenen Apparat aufbläht. Ein ganzes Ministerium mehr, zwei Minister mehr, zahlreiche Staatssekretäre mehr - teure Posten in der Politik hat Schwarz-Rot geschaffen. Das ist nicht vorbildlich, sondern einfach unverschämt. Wer Sparsamkeit von den Bürgern erwartet, Renten kürzt und Steuern erhöht, bei Tarifverhandlungen im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft Zurückhaltung verlangt, kann doch nicht gleichzeitig so zulangen.

Frage: Die Regierung ist also nicht glaubwürdig?

WESTERWELLE: Eine Regierung, die selber Wein säuft und Wasser predigt, ist unglaubwürdig. Die Folgen dieses Abkassierens der Bürger werden wir übrigens bei den Tarifverhandlungen spüren. Daß Gewerkschaften sich Gedanken machen, wie sie drei Prozent Mehrwertsteuer-Erhöhung ausgleichen, ist doch nachvollziehbar, auch wenn es nicht vernünftig ist.

Frage: Was raten Sie?

WESTERWELLE: Wir schlagen vor, daß die Bundesregierung einen Pakt der Vernunft mit den Gewerkschaften schließt. Die Regierung verzichtet auf die dreiprozentige Erhöhung der Mehrwertsteuer, die ohnehin zu mehr Schwarzarbeit und weniger Arbeitsplätzen führen wird. Im Gegenzug verpflichten sich die Gewerkschaften auf moderate Forderungen in den anstehenden Tarifgesprächen.

Frage: Ist ein solcher Tauschhandel nicht ein Eingriff in die Tarifautonomie?

WESTERWELLE: Es ist ein unkonventioneller Vorschlag, aber er wäre vernünftig.

Frage: Seit wann nehmen Sie die Gewerkschaften so ernst, daß Sie ihnen einen Pakt vorschlagen. Sie haben sie einmal die Totengräber der Gesellschaft genannt...

WESTERWELLE: Ich habe einige Funktionäre immer wieder, und wie ich finde zu Recht, attackiert. Daß ich mit der Politik von DGB-Vize Engelen-Kefer seit Jahren nicht einverstanden bin, ist oft genug verwechselt worden mit der Behauptung, ich hätte etwas gegen Gewerkschaften und gegen das Wahrnehmen von Arbeitnehmer-Interessen. Das ist Propaganda. Wenn aber Ver.di wegen 18 Minuten längerer Arbeitszeit bei sicheren Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst einen Streik ausruft, wendet sich das in Wahrheit gegen die Beschäftigten. Genauso gilt auch: Wenn die große Koalition eine Politik des Abkassierens betreibt und gleichzeitig alles teurer macht - vom Sprit übers Heizen über die Kranken- und Rentenbeiträge bis hin zur drei Prozent höheren Mehrwertsteuer - provoziert sie geradezu fette Lohnforderungen. Die Bundesregierung ist schuld, daß die Gewerkschaften die Kultur der Zurückhaltung aufgeben.

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