08.10.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Leipziger Volkszeitung"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Leipziger Volkszeitung" (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte DIETER WONKA:

Frage: Erleben wir die Wiederbelebung eines alten Zieles: Die FDP als "Partei für das ganze Volk" und dem Ziel 18 Prozent - nur nicht mehr auf der Schuhsohle als Werbeträger?

WESTERWELLE: Die FDP hat das beste Wahlergebnis seit der Deutschen Einheit bekommen. Wir liegen im Trend, wie auch die Kommunal-, Landtags- und Europawahlen zuvor gezeigt haben. Es versteht sich von selbst, daß wir als Liberale weiter wachsen und auch neue Wähler für uns dauerhaft gewinnen möchten.

Frage: Fühlen Sie sich jetzt als der Größte in der FDP? 9,8 Prozent erreicht, Staatsmann statt Spaßvogel, nicht "umgefallen" und mehr denn je vorn, obwohl Freund und Feind über Sie gelästert haben.

WESTERWELLE: Ich will gar nicht verschweigen, daß ich in den letzten drei Jahren durch ein Sperrfeuer gegangen bin. Es bereitet mir auch persönlich etwas innere Genugtuung und auch ein Stück Befreiung, ein so großartiges Wahlergebnis als Spitzenkandidat mit erarbeitet zu haben. An mir haben sich ja wirklich Gegner wie Freund abgearbeitet. Noch vor wenigen Monaten bin ich aus Bayern als "der Junggeselle aus Bonn" abgetan worden. Jetzt konnte ich meinen Beitrag dazu leisten, daß wir auch in Bayern etwa zehn Prozent der Stimmen holten.

Frage: Was ist die Stärke des Wahlergebnisses?

WESTERWELLE: Erstens: Wir sind eine Partei für das ganze Volk, die Wohlstand für alle will. Etwa acht Prozent der Arbeitslosen und ebenso viele Arbeiter haben die FDP gewählt. Zweitens: Wir sind eine gesamtdeutsche Partei. Keine andere Partei hat ein so eng zusammen liegendes Wahlergebnis in Ost wie West geholt. Drittens: Wir werden sowohl bei Männern und Frauen gleichgewichtig stark gewählt. Viertens: Die FDP findet über alle Generationen hinweg Zustimmung. Diese FDP ist nicht einsperrt in ein bestimmtes Lager oder an eine bestimmte Einkommensklasse gebunden, sondern wird angenommen als eine Partei für das ganze Volk.

Frage: Können Sie ihrer Duz-Freundin Angela helfen, daß die an der SPD-Seite nicht alles Neoliberale der Re-Sozialdemokratisierung der Union opfert, nur um Kanzlerin zu werden?

WESTERWELLE: Schnaps ist Schnaps und Dienst ist Dienst. Das persönlich gute Verhältnis zwischen Angela Merkel und mir bleibt bestehen. Aber es ist ganz klar: Kommt es zur großen Koalition, dann wird auch die Union wo nötig kritisiert und getrieben. Die FDP wird als stärkste Fraktion die Opposition führen. Ich bedauere es außerordentlich, daß die Union schon vor Beginn offizieller Koalitionsverhandlungen mit der SPD in zentralen Fragen den alten sozialdemokratischen Umverteilungsreflexen wieder verfallen ist.

Frage: Ist schwarz-gelb eine dauerhafte Reformkombination für die FDP oder abhängig vom guten Verhältnis zwischen Merkel und Westerwelle?

WESTERWELLE: Wenn sich im Laufe der nächsten Wochen und Monate herausstellt, daß der von uns erwünschte Politikwechsel mit Union und FDP doch noch mehrheitlich im Bundestag möglich wird, werden wir diese Chance auch ergreifen. Die Union hat den Reserveplan, den man mit "Jamaika" umschreiben kann, und die SPD wartet nach wie vor darauf, nach dem Abgang von Gerhard Schröder die linke Mehrheit im Bundestag zu nutzen. Die werden die Juniorpartnerschaft an der Seite der Union benutzen, um bei nächster Gelegenheit die Mehrheit aus SPD, Grünen und PDS auszuprobieren. Die Parteien der großen Koalition werden sich jetzt gegenseitig die Treue schwören, aber praktisch zustande bringen werden sie nicht mehr als eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Die Sozialdemokraten in SPD und Union werden sich gegen die Kräfte der wirtschaftlichen Vernunft verbünden und durchsetzen. Das ist leider nicht der Neuanfang für unser Land. Die Hoffnung für Deutschland ist lediglich, das wird wohl keine vier Jahre halten.

Frage: Ist Schwarz-Gelb ihr natürliches Reformbündnis?

WESTERWELLE: Derzeit ist für uns die Union auf Bundesebene der einzige echte Partner. Das ergibt sich schon aus den Programmen. Aber wir beobachten auch sorgsam und in letzten Tagen mit einer gewissen Sorge, daß sich die Union von der staatsbürokratischen und sozialdemokratischen Umverteilungspolitik anstecken läßt. Wenn die Union sich schon hinter vorgehaltener Hand von dem Ziel eines niedrigeren, einfacheren und gerechteren Steuersystem verabschiedet, wenn plötzlich die steuerlichen Ausnahmetatbestände bleiben sollen und die Steuersätze nicht gesenkt werden, dann ist das eine schädliche Entwicklung für unser Land.

Frage: Brauchen Sie vertrauliche Kontakte zu den Grünen zum Zweck der Jamaika-Pflege?

WESTERWELLE: Es gibt regelmäßige parlamentarische Begegnungen zwischen den Kollegen der FDP und der Grünen. Aber offizielle Gespräche oder Sondierungen gibt es nicht, denn den Regierungsauftrag haben nicht wir, sondern die Union.

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