15.08.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Kieler Nachrichten"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab den "Kieler Nachrichten" (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ANNE GRAMM:

Frage: Welchen Rat würden Sie CDU/CSU nach den Aufgeregtheiten der vergangenen zwei Wochen geben?

WESTERWELLE: Ich gebe der Union keine Empfehlungen, sondern rede über die Ziele und Programme der FDP. Für uns ist klar, daß es nur einen gesamtdeutschen Wahlkampf geben wird. Die Meinung, daß die Klugheit in einem Bundesland weiter ausgeprägt sei als in anderen, teile ich nicht. Nach meiner Lebenserfahrung sind Dummheit und Klugheit über alle Landstriche in Deutschland gleichermaßen verteilt.

Frage: Die FDP hat eine relativ unkomfortable Situation in diesem Wahlkampf, denn alles schaut auf Union, SPD und die neue Linkspartei. Wie wollen Sie aus diesem Schatten heraustreten?

WESTERWELLE: Entscheidend ist ja nicht, was virtuell stattfindet. Die Wahlergebnisse der FDP in den vergangenen vier Jahren waren die besten seit der deutschen Einheit, wir sind jetzt in fünf Landesregierungen vertreten. Augenscheinlich wollen die Wähler einen politischen Neuanfang, der auf Leistungsbereitschaft, Weltoffenheit und Toleranz setzt - und dafür steht die FDP.

Frage: Laut einer Umfrage ist ein Großteil der FDP-Mitglieder mit Ihnen als Parteichef unzufrieden. Wie gehen Sie persönlich mit so einem Ergebnis um?

WESTERWELLE: Entscheidend ist doch, daß die Wähler - wie die Ergebnisse der vergangenen Jahre zeigen - es anders sehen als der eine oder andere Meinungsforscher. Natürlich freut man sich über positive Entwicklungen und ärgert sich über weniger gute. Aber die Umfrageergebnisse ändern sich inzwischen fast stündlich, ich habe dazu eine
äußerst professionelle Distanz.

Frage: Sie haben in den vergangenen Wochen vor allem mit dem strikten Nein zu einer Mehrwertsteuererhöhung auf sich aufmerksam gemacht. Zu wie viel Prozent entspricht diese Haltung politischer Überzeugung, zu wie viel taktischem Kalkül?

WESTERWELLE: Zu hundert Prozent unserer Überzeugung. Wir haben uns das Thema nicht gesucht, sondern es ist zu unserem Bedauern von der Union auf die Tagesordnung gesetzt worden. Die FDP ist der Überzeugung, daß Steuersenkungspolitik das beste Beschäftigungsprogramm ist. Wir wollen höhere Mehrwertsteuern in Koalitionsverhandlungen verhindern, weil sonst die Konjunktur geschwächt, die Schwarzarbeit zunehmen und die Binnennachfrage abnehmen würde.

Frage: Welche Reformen haben für Sie Priorität, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln?

WESTERWELLE: Wir wollen ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem einführen, weil nur das für Investitionen und Nachfrage, also neue Arbeitsplätze sorgt. Wir können den Abbau der Lohnzusatzkosten durch eine Reform der sozialen Sicherungssysteme schaffen, und wir werden die Bürokratie zurückführen, insbesondere soweit sie die neuen Technologien behindern.

Frage: Die FDP ist die Partei, die konsequenter als alle anderen für die private Absicherung des Alters und der Krankheitskosten eintritt. Ein Großteil der Bevölkerung wird sich das nicht leisten können. Wie wollen Sie für Ausgleich sorgen?

WESTERWELLE: Demjenigen, der nicht für sich selbst sorgen kann, wird selbstverständlich geholfen. Aber durch die Gemeinschaft der Steuerzahler, nicht durch die der Beitragszahler. Wir wollen ja deshalb die sozialen Kosten von den Arbeitskosten abkoppeln, weil es unfair ist, mit der sozialen Sicherung nur diejenigen zu belasten, die Arbeitnehmer sind, aber auch deshalb, weil auf diese Art die Lohnzusatzkosten immer weiter steigen, und das kostet Arbeitsplätze.

Frage: Franz Ruland, der Chef des Verbands der Rentenversicherungsträger, hat davor gewarnt, daß die Rentner für 2006 sogar mit einer Minusrunde rechnen müssen. Würden Sie diese Einschätzung bestätigen?

WESTERWELLE: Ich kann dazu keine Prognose abgeben. Es ist sehr schwierig, die Kassenlage sowohl bei der sozialen Sicherung als auch beim Haushalt zu bewerten. Es gibt eine systematische Verschleierungspolitik der Bundesregierung, wenn es um die Fakten geht. Ich fürchte, daß die wahre Lage Deutschlands schlimmer ist als die Regierung derzeit zugibt. Rot-Grün veräußert ja inzwischen nicht mehr das Tafelsilber, sondern sogar schon Pensionsrückstellungen für die Zukunft.

Frage: Hat die FDP es in den letzten Monaten nicht versäumt, sich als Bürgerrechtspartei zu positionieren? Die Anti-Terror-Pakete von Innenminister Otto Schily wären doch vor allem ein Thema der Liberalen gewesen. Da blieb es merkwürdig still. Die FDP steht für das richtige Verhältnis von Bürgerfreiheit und Bürgersicherheit.

WESTERWELLE: Wenn der Bundesinnenminister an diesem Wochenende die irrationale Behauptung aufstellt, die FDP sei ein Sicherheitsrisiko, dann ist er offensichtlich ein Verfassungsrisiko. Man kann die Freiheit der Bürger und den Rechtsstaat nicht schützen, indem man beides aufgibt, wie es offensichtlich der Bundesinnenminister vorhat. Die FDP, die von Herrn Schily so attackiert wird, ist in bester Gesellschaft - mit dem Bundesverfassungsgericht. Wenn er uns angreift, meint er auch das Bundesverfassungsgericht - das ist für einen Verfassungsminister ein peinlicher, grotesker Ausreißer.

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