WESTERWELLE-Interview für die "Frankfurter Rundschau"
Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Frankfurter Rundschau" (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten KNUT PRIES und THOMAS KRÖTER:
Frage: Herr Westerwelle, Franz Müntefering hat gesagt, Opposition ist Mist. Stimmen Sie ihm zu?
WESTERWELLE: Jedenfalls ist es Mist für Deutschland, daß wir in Opposition sind und zuschauen müssen, wie die Große Koalition Deutschland nicht erneuert, sondern noch mehr auf die schiefe Ebene bringt.
Frage: Sie haben der Rot-Grün frühzeitig das Ende prophezeit. Wie lange geben Sie Schwarz-Rot?
WESTERWELLE: Bis zur letzten Woche war ich mir ziemlich sicher, daß die Große Koalition nicht die gesamte Legislaturperiode hält. Wenn ich aber sehe, was sie beschlossen hat, halte ich es für gut möglich, daß sie vier Jahre im Amt bleibt - wer so viele Wahlversprechen bricht, muß die Rache des Wählers fürchten.
Frage: Harte Worte über Merkel, mit der Sie zusammengehen wollten. Enttäuscht?
WESTERWELLE: In der Sache ja. Das ändert nichts an meiner persönlichen Wertschätzung. Aber dieses Regierungsprogramm ist nicht der Politikwechsel zur marktwirtschaftlichen Erneuerung, den wir verabredet hatten, sondern das Gegenteil: Fortsetzung und Erweiterung der bürokratischen Staatswirtschaft.
Frage: Ist Frau Merkel eine Opportunistin?
WESTERWELLE: Mit Qualifizierungen, die ins Persönliche gehen, bin ich vorsichtig. Ich bewerte, was entschieden wird. Vor der Wahl hat die Union wie die FDP ein einfacheres, niedrigeres und gerechteres Steuersystem versprochen. Jetzt läßt sie sich auf einen Kuhhandel der ökonomischen Dummheit ein: Mehrwertsteuer-Erhöhung gegen Reichensteuer. Beides kostet Arbeitsplätze.
Frage: Wenn jeder alle seine Versprechen einhält, gibt es keine Regierung.
WESTERWELLE: Kompromisse sind nötig. Aber die Tarierung muß stimmen. Die Union hat den höchsten Preis gezahlt, damit es überhaupt zu Verhandlungen kam - das war ein großer strategischer Fehler. Die Analyse, die sich bei ihr ausbreitet - sie sei wegen zu großer Klarheit nicht gewählt worden - ist völlig falsch. Sie hat unter der Unklarheit gelitten. Nach der Berufung von Herrn Kirchhof zum Schattenminister wußte doch niemand mehr, wofür die Union steht: Für ihr Wahlprogramm oder dessen Flattax-Modell.
Frage: Das macht Ihnen die Arbeit zwar einfacher. Aber Opposition bleibt trotzdem Mist.
WESTERWELLE: Sie werden mir die Freude an einem der besten Wahlergebnisse in der Geschichte der FDP nicht nehmen. Wir werden uns nicht auf eine Totalopposition zurückziehen. Durch unsere Regierungsbeteiligung in den Ländern beeinflussen wir im Bundesrat genau so viele Stimmen wie die SPD. Wir kennen unsere Verantwortung. Deshalb blockieren wir Fortschritte in der Föderalismusreform nicht - auch wenn sie uns nicht reichen.
Frage: Welche Rolle hat die alte Gemeinsamkeit mit Merkel in der neuen Opposition?
WESTERWELLE: Wenn vier Parteien staatsbürokratische Politik machen, ist es gut, daß die FDP für ihre Alternative wirbt. Wir werden auch Anwalt all derer sein, die von der Resozialdemokratisierung der Union enttäuscht sind.
Frage: In welcher Kombination streben Sie den nächsten Anlauf zum Wechsel an?
WESTERWELLE: Das kann ich im Bund erst vor der nächsten Wahl beantworten. In den Ländern richtet es sich nach den jeweiligen Verhältnissen. Wenn sich Parteien auf unser liberales Programm zu bewegen, laufen wir nicht weg, und wenn sie sich entfernen, laufen wir nicht hinterher.
Frage: Und die Jamaika-Koalition unter Einschluß der Grünen - ist sie begraben?
WESTERWELLE: Die ist derzeit vom Tisch. Bei den drei Landtagswahlen im Frühjahr ist sie Unfug. In Baden-Württemberg hatten CDU und FDP bei der Bundestagswahl zusammen 54 Prozent. In Rheinland-Pfalz ist sehr fraglich, ob die Grünen überhaupt reinkommen, in Sachsen-Anhalt ist es ziemlich sicher, daß sie es nicht schaffen. Gescheitert ist das Modell für den Bund an den Grünen und an der CSU - nicht an der FDP.
Frage: Eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen FDP und Grünen ist der Blick auf Bürger- und Menschenrechte. Werden Sie die Grünen in der Regierung nicht noch vermissen?
WESTERWELLE: Nein. Die Grünen haben Bürger- und Menschenrechte, vom Luftsicherheitsgesetz bis zum Waffen-Embargo gegen China, immer nur als Tauschobjekte für andere Anliegen behandelt. Sie haben Otto Schily bei allen Verschärfungen gestützt. Was an ihm liberaler sein soll als an Günther Beckstein oder Wolfgang Schäuble, werden Sie mir nicht erklären können. Auch bei den Menschenrechten haben die Grünen nur die Backen aufgeblasen, aber nie die Koalitionskarte gezogen - obwohl sie es gekonnt hätten. Daß wir da ein anderes Kaliber sind, können Sie an der Koalitionsvereinbarung in NRW ablesen.
Frage: Stichwort China: Präsident Hu Jintao kommt dies Woche nach Deutschland, wo die alte Regierung nur noch geschäftsführend, die neue noch gar nicht im Amt ist. Kann man unter diesen Umständen einen neuen Akzent erwarten?
WESTERWELLE: Das ist die erste außenpolitische Bewährungsprobe für Angela Merkel. Sie hat sich im Bundestag unzweideutig gegen die Aufhebung des Waffenembargos ausgesprochen. Sie muß als designierte Kanzlerin zeigen, daß sie zu ihrem Wort steht und Glaubwürdigkeit beim Thema Menschenrechte besitzt. Sie muß in ihrem Gespräch mit Präsident Hu Jintao klarmachen, daß Deutschland in der EU gegen die Aufhebung des Embargos eintreten wird, bis die Menschenrechtslage in China sich nachhaltig gebessert hat. Vom designierten Außenminister Steinmeier ist dazu nichts zu erwarten. Er hat Gerhard Schröders Politik unterstützt, in der Menschenrechte zweitrangig waren.
Frage: Wo fordern Sie weitere Korrekturen in der Außenpolitik?
WESTERWELLE: Etwa im Umgang mit Rußland. Wir sind als Liberale für außenpolitische Kontinuität, aber bei einigen Schlüsselfragen sind Kurskorrekturen dringend nötig. Bei den Koalitionsverhandlungen hat die Außenpolitik bislang im Schatten gestanden. Auch das ist ein klarer Fehler.